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Banshun 01

Banshun

Dieses Lachen hat uns alle verzaubert, immer wieder, seit wir ihm das erste Mal begegneten, in den Siebzigern, als wir anfingen, die Filme von Yasujiro Ozu zu entdecken. Setsuko Hara, die Frau seines Kinolebens, die in fast allen seinen Filmen nach dem Krieg dabei ist, auf einem Radausflug ans Meer, eine Passage in der ersten halben Stunde von Banshun.

Text: Fritz Göttler / 04. Juni 2014

Dieses Lachen hat uns alle verzaubert, immer wieder, seit wir ihm das erste Mal begegneten, in den Siebzigern, als wir anfingen, die Filme von Yasujiro Ozu zu entdecken. Setsuko Hara, die Frau seines Kinolebens, die in fast allen seinen Filmen nach dem Krieg dabei ist, auf einem Radausflug ans Meer, eine Passage in der ersten halben Stunde von Banshun. Aufrecht und ein wenig steif, frohgemut und bemüht radelt sie dahin, sie strahlt und ist glücklich, und glücklich auch der Mann neben ihr. Japanische Jugend der Nachkriegszeit, Banshun ist von 1949. Diese Unbeschwertheit, diese schwerelose Freude, diese reine Bewegung, die ihr Glück daraus bezieht, der Bewegungslosigkeit so unglaublich nah zu sein.

Seitdem sind wir dem Geheimnis von Ozus Filmen und vor allem von Banshun hinterher, der vielleicht der schönste, der reinste, der geheimnisvollste seiner Filme ist, des japanischen Kinos und womöglich der Kinogeschichte überhaupt. Ein Kino-Glücksfall. Von diesen Momenten, von diesen Filmen geht all das Nachdenken und Nachforschen übers Kino aus, die ganze cineastische Reflexion, und zu diesen Momenten, zu diesen Filmen wird sie immer wieder zurückkehren.

Es ist ein Geheimnis ohne Geheimnishaftigkeit, das Ozus Filme auszeichnet, sie erzählen von den einfachsten Dingen, immer wieder, und das Einfache erweist sich dabei als ganz komplex, eine Komplexität, die gleichmütig ist zwischen Schmerzlichkeit und Heiterkeit. Immer wieder geht es um Kinder und ihre Eltern, junge Frauen und ihre Männer, die Angestellten und ihre Ambitionen, Väter und ihre alten Kameraden. Ums Erwachsenwerden und um ein Zurückscheuen vor der Zukunft, um Verpflichtungen und Freiheit, um den Wechsel von Bewegung und Innehalten.

Immer wieder geht es ums Alltägliche und wie es in eine filmische Wahrheit transformiert wird, indem «Form nicht etwas dem Lebendigen Hinzugegebenes, es Überformendes, vielmehr das sichtbar gewordene, zur Sichtbarkeit gebrachte, zur Sichtbarkeit geklärte Innerste des Lebendigen ist», schreibt Helmut Färber im Zusammenhang mit einem anderen Ozu-Film.

Banshun 02

Banshun handelt vom Abschied. Eine Tochter, Ende zwanzig, Setsuko Hara, lebt mit ihrem Vater, einem Universitätsprofessor, Chishu Ryu, in der Vorstadt, sie besorgt ihm den Haushalt, hat keine Ambitionen, überhaupt keine Lust, das Haus zu verlassen, eine eigene Existenz zu gründen, zu heiraten, wie es die Gewohnheit der Gesellschaft verlangt und die Tradition. Eine Tante fängt an, in dieser Hinsicht sich umzuschauen, schlägt einen potenziellen Mann vor, der Vater macht mit und gibt vor, selber an eine neue Ehe zu denken. Die Tochter wird sanft in eine ungewollte Ehe getrickst. Abschied vom Vater. Abschied von sich selbst.

Wie ein Uhrwerk läuft diese Geschichte ab, und diese Bewegung findet sich im Ruckeln des Vorortzugs wieder, der Vater und Tochter in die Stadt transportiert, eine Mechanik, die der allgemeinen Tendenz des Erzählkinos sich widersetzt, den Fluss der Bilder zu beschleunigen, das Stückwerk des Kinos unsichtbar zu machen. Schon im Drehbuch ist der Film minutiös montiert, Einstellung für Einstellung, von Ozu und seinem unermüdlichen Autor Kogo Noda zusammengesetzt in langen Sitzungen in Ozus Haus, bei entsprechendem Sake-Konsum.

Es bleibt in Ozus Filmen der einzelne Moment wahrnehmbar, als Element von Werden, Wandel, Übergang. Gegen Ende von Banshun, die Heirat ist beschlossen, machen Vater und Tochter eine letzte gemeinsame Reise, nach Kyoto. Hier bewegen sie sich gleichsam ausserhalb der Zeit, zwischen Erinnerung und Erwartung. In der letzten Nacht liegen sie in ihrem Zimmer in der Herberge, die Tochter spricht davon, dass sie ihr neues Leben akzeptieren will, bittet um Verzeihung für ihre Hartnäckigkeit, moniert, dass ihr des Vaters zweite Heirat nicht gefällt … Als sie den Kopf wendet und zu ihm blickt, scheint er eingeschlafen. Auf den stummen Blick der Tochter kommt einer der berühmten leeren Einstellungen Ozus, lang gehalten, auf eine Vase vor dem Fenster des Raums. Eine animistische, fast unheimliche Präsenz. Ein proustscher Moment, meint Gilles Deleuze: «Aber die Form dessen, was sich verändert, bleibt unverändert, vergeht nicht. Dies ist die Zeit, die Zeit selbst, ‹ein wenig Zeit in reinem Zustand› … Das Stillleben ist die Zeit, denn alles, was sich verändert, ist in der Zeit, nur sie selbst verändert sich nicht … In dem Augenblick, in dem das kinematografische Bild dem Foto am nächsten kommt, unterscheidet es sich zugleich am radikalsten vom ihm.»

Wie sich in Ozu-Filmen orientieren?, hat Frieda Grafe gefragt, 1973, nach der ersten Restrospektive im Münchner Filmmuseum. Ozu war neu und unbekannt damals, das japanische Kino wurde glorreich repräsentiert durch Kurosawa und Mizoguchi. Wie sich also orientieren – es gibt eine sehr komische Szene in Banshun, wenn der Professor und ein Besucher im Haus des Professors sich plötzlich nicht mehr sicher sind, in welcher Richtung eigentlich Tokio liegt. Wie sich orientieren, man könnte bei Roland Barthes Rat suchen; in «Das Reich der Zeichen» schreibt er über die Stadt Tokio, aber man könnte das auch getrost beziehen auf das Werk Ozus oder diesen Film, Banshun: «Diese Stadt kann man nur durch eine Tätigkeit ethnographischen Typs kennenlernen: man muss sich in ihr nicht durch das Buch, durch die Adresse orientieren, sondern durch Gehen und Sehen, durch Gewöhnung und Erfahrung. Jede Entdeckung ist hier intensiv und fragil. Wiederfinden lässt sie sich allein durch die Erinnerung an die Spur, die sie in uns hinterlassen hat …»

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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