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L amour 01

L’amour est un crime parfait

Es gibt Filmemacher, die den Horizont lieben. Die unbegrenzte Weite beflügelt ihre Phantasie. Und es gibt Filmemacher, die es vorziehen, wenn sich vor diesen Ausblick Barrieren schieben. Sie mögen es, wenn ihr Erzählterrain von Bergen eingefriedet wird. Dass der Blick aufs Anderswo verstellt ist, bedeutet schliesslich nicht, dass sie ihrer Vorstellungskraft Schranken auferlegen müssten. Die Brüder Arnaud und Jean-Marie Larrieu gehören eindeutig zur zweiten Fraktion.

Text: Gerhard Midding / 04. Juni 2014

Es gibt Filmemacher, die den Horizont lieben. Die unbegrenzte Weite beflügelt ihre Phantasie. Und es gibt Filmemacher, die es vorziehen, wenn sich vor diesen Ausblick Barrieren schieben. Sie mögen es, wenn ihr Erzählterrain von Bergen eingefriedet wird. Dass der Blick aufs Anderswo verstellt ist, bedeutet schliesslich nicht, dass sie ihrer Vorstellungskraft Schranken auferlegen müssten. Die Brüder Arnaud und Jean-Marie Larrieu gehören eindeutig zur zweiten Fraktion; schon von Geburt wegen, denn sie stammen aus den französischen Pyrenäen. Für das flache Land sind sie zwar nicht vollends verloren, aber der Grossteil ihres Werks ist der Erkundung von Bergwelten gewidmet. In diesem Ambiente wissen sie die Seelenstimmungen, von denen sie erzählen, am besten aufgehoben. In Filmen wie Un homme, un vrai und Peindre ou faire l’amour erleben Paare in der dünnen Luft eine Neubelebung ihrer Sinne. Es sind Geschichten heilsamer Entwurzelung.

Für den Protagonisten von L’amour est un crime parfait hingegen ist die Bergwelt weder Ausflugsziel noch Schauplatz eines neuen Lebenskapitels. Marc, Literaturdozent an der Universität von Lausanne, lebt zusammen mit seiner Schwester noch immer in dem Haus, in dem sie ihre Kindheit verbrachten. Diese Prämisse gibt der Atmosphäre eine andere Tönung. Zwar ist sie wiederum rätselhaft, umgibt die Charaktere als ein Fluidum, in dem Unvorhergesehenes möglich wird. Aber diesmal mutet sie eine Spur bizarrer und vor allem bedrohlicher an. Denn mit der Adaption von Philippe Djians 2010 erschienem Roman «Incidences» erfüllen sich die Regisseure den lang gehegten Traum, einen Polar in der Schweiz zu drehen. Ein neuerlicher Anlass, ihre meteorologische Empfindsamkeit unter Beweis zu stellen: ein Winterfilm, in dem das Weiss des Schnees trügerisch ist.

L amour 02

Mit ironischer Entschlossenheit tasten sie die Konventionen des unvertrauten Genres ab. Eines Morgens findet Marc die Studentin, mit der er die Nacht verbrachte, tot in seinem Bett auf. Er kann sich nicht erinnern, wie es dazu kam. Auch ihr Name ist ihm entfallen – was erheblich häufiger passiert, denn sein Gefühlsleben hat sich auf eine Folge bedeutungsloser Eroberungen reduziert –, und er entschliesst sich, die Tote verschwinden zu lassen. Ein junger Inspektor nimmt die Ermittlungen auf. Auch eine geheimnisvolle Frau, die sich als Stiefmutter der Vermissten vorstellt, bittet Marc um Hilfe. Noch scheint er nicht unter Verdacht zu stehen. Aber Richard, seine Nemesis an der Fakultät, setzt ihn ebenso unter Druck wie eine Studentin, die sich nicht damit abfinden will, eine abgelegte Liebschaft zu sein.

Ein reinrassiger Thriller wird daraus nicht. Dieses Zögern steht im Einklang mit der Vorlage, deren Titel euphemistisch von Vorkommnissen spricht. Überdies mutet das Figurenpersonal zu exzentrisch an und ist die Kamera ein wenig zu überwältigt von der Universitätsarchitektur. L’amour est un crime parfait gibt sich vielmehr als muntere Wette mit dem Genre zu erkennen. Der riskanteste Einsatz dabei ist die Besetzung Mathieu Amalrics in der Rolle eines unwiderstehlichen Verführers. Dass der Zyniker Marc, gescheiterter Schriftsteller und nun dazu verdammt, kreatives Schreiben zu lehren, von derart vielen attraktiven Frauen umgarnt wird, ist eine launige Männerphantasie. Allerdings nimmt man dem Schauspieler diesen Part seit einigen Jahren bereitwillig ab. Mithin beste Voraussetzungen für ein Spiel mit der Ambivalenz, in dem viele Abgründe klaffen, dessen spektakuläres Ende sich jedoch in der Horizontalen des Genfer Sees zuträgt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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