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Fading gigolo 01

Fading Gigolo

Keiner von den beiden ist auf Rosen gebettet, und jeder muss gerade wieder einmal schauen, woher die Reibe nächstens kommen soll. Wenn weder der schmächtige Senior noch der robustere Nachwachsende früher auf die Idee gekommen sind, nun endlich ins älteste Gewerbe der Welt zu investieren, dann ist es keinesfalls aus falscher Scham oder mangels Phantasie unterblieben.

Text: Pierre Lachat / 30. Juli 2014

Keiner von den beiden ist auf Rosen gebettet, und jeder muss gerade wieder einmal schauen, woher die Reibe nächstens kommen soll. Wenn weder der schmächtige Senior noch der robustere Nachwachsende früher auf die Idee gekommen sind, nun endlich ins älteste Gewerbe der Welt zu investieren, dann ist es keinesfalls aus falscher Scham oder mangels Phantasie unterblieben, sondern eher zufolge einer gewissen mentalen Verknappung. Denn sie teilen sich jene eingebildete Schlauheit, an die nur der Dumme selber glaubt; es ist eine Disposition, die ganze Imperien, politische und wirtschaftliche, kreiert und ruiniert.

Gesagt, getan. Ohne grösseren Kraftaufwand haben sie einander überzeugt, dass nichts schiefgehen wird. Der Ältere lässt seine Beziehungen spielen, der Jüngere so viel von seinem knabenhaften Schmelz, wie noch unverblasst geblieben ist. Der schon sanft ermattende Murray leitet seinem potenteren Gefährten, Fioravante, die Kundinnen zu; deren Wünsche gilt es prompt, mühelos und zur allseitigen Zufriedenheit zu erfüllen, auch in finanzieller Perspektive. Die vereinbarten Tarife sind zwar gleitend zu verstehen, je nach volatiler Marktlage; doch beginnen die baren Scheine prompt herbeizuflattern und sich wahrhaftig in eine nahezu saubere Partizipation aufzusplitten. Nur vereinzelt mag es so aussehen, als wäre der eine oder andere Hunderter wie von allein in die verkehrte Tasche geschlüpft.

Im ganzen Dialog von Fading Gigolo fällt das ominöse Wort pimp, sprich: Stenz, nur einmal. Denn mit so viel ordinärer Unverblümtheit reden keine soliden Geschäftsleute, geschweige denn zahlende Klientinnen. Wie es die Höflichkeit gebietet, wird nichts und niemand beim wahren Namen genannt: weder der Veranstalter noch der verrichtende Gigolo oder die Art des eingefädelten Verkehrs. Als Virgil Howard tarnt sich der Titelheld, noch ganz leidlich maskulin wiewohl allmählich schwächelnd, und tut es auch in Anlehnung, versteht sich, an das Beiwort viril. Da wirken selbst die Pseudonyme merkwürdig herbeigebogen, die Identitäten flüchtig. Wer keinen Namen hat, streift sich einen geeigneten vors Gesicht. Aus Murray, dem Unternehmer, wird Bongo.

Wer nun meint, einem peinlichen Herrenwitz von abendfüllender Länge aufzusitzen, irrt sich sehr. Denn wie immer gelenkig der Zuhälter und sein Zugehaltener einander in die Hände agieren und ebenso vortrefflich aufeinander zuschauspielern: Die Mär von den zwei tapsigen Käuzen nimmt dann eine ganz andere Wendung, um bald einmal die Frauen vor die Männer zu schieben. Da ist zunächst die sprichwörtliche blonde rich bitch von der oberen Ostseite, die aus Langeweile einen Haushalt zu Dritt aufzieht oder wohl eher eine solche Ménage-à-trois nur simuliert; und da ist die Laszive, die sich von ihrer eigenen Mannstollheit auch am konkreten Beispiel zu vergewissern sucht und wähnt, nie satt zu werden an der eigenen Lebens- und Wollust und an den frivolen Risiken, die dabei einzugehen sind.

Als eher aussergewöhnliche Kundin tritt hingegen, unerwartet, eine Witwe und sechsfache Mutter hinzu. Aus Gründen radikaler religiöser Observanz ist es Avigal verwehrt geblieben, jemals physische Zuneigung oder gar Zärtlichkeit zu erfahren, wäre es seitens ihres verstorbenen Gatten, wäre es seitens anderer Männer gewesen. Noch fast mädchenhaft zahnlückig bis gutgläubig und gefügig, hat die Anwärterin auf ein Quentchen Glück keine Ahnung, was für ruppige Üblichkeiten unter den Schlampen und Loddeln herrschen, egal welchen Geschlechts.

Trotz allem neigt sie dazu, just im dienstbaren Fioravante den einen zu erblicken, der ihr alles bisher Verpasste spät noch angedeihen lassen soll, abseits der schon mehr als reichlich absolvierten Gebärpflichten. Um die Empfängerin der honorierten Wohltaten, Avigal, und um den Verabreicher, Fioravante, alias Virgil, kreist der zentrale Widerspruch des ganzen Stoffes. Wo genau verlaufen die Schwächen und Grenzen einer stets dubiosen, öfter kriminellen Branche? Immerhin hat die käufliche Liebe auch ein paar widerstrebend akzeptierte, mitunter aufklärerische und dann doch verschwiegene Seiten und soll sie wohlweislich behalten. Der alte Mythos von der selbstlosen, geradezu mütterlich erziehenden Prostituierten blitzt wieder auf; allerdings tritt diesmal, an ihre Stelle, einer von den Freudenkerlen, die ungleich rarer sind. Fioravante, der Name wäre passend auch zu lesen als: «Blüte voran».

Fading gigolo 02

Mit Ausnahme einer Jahre zurückliegenden Nebenrolle hat bisher wenig Auffälliges Woody Allen und John Turturro verbunden: Namentlich auch vom Alter her gesehen, liegen doch Generationen zwischen dem Darsteller des Mittelsmanns Murray und dem Film-autor, der nun den Fioravante auch selber verkörpert. In dieser Hinsicht verfährt er übrigens bewusst ähnlich, wie sich sein Gegenüber auch immer wieder Rollen in den eigenen Arbeiten zugeteilt hat.

Die Besetzung mit Woody, der halben Portion, hat jedoch ihre guten Gründe und glücklichen Folgen. Schon das Drehbuch ist sichtlich von Allens leuchtenden Beispielen aus fast vierzig Jahren inspiriert und will, über die Präsenz des Meisters hinaus, auch ein bisschen von Turturros verehrender Nachempfindung durchscheinen lassen. Mehr aber noch besticht die kontrastierende Art und Weise des Spiels zu zweit: Allen wie gewohnt zappelig und wortreich bis gewollt karikierend; Turturro dagegen bewusst karg, sogar minimalistisch, doch ohne etwa seinem Gegenüber den Vortritt zu gewähren oder auf einen falschen Vergleich aus zu sein. Die perfekte Balance hilft, jede schulterklopfende Kumpanei und allen Anschein von Lobhudelei zu umgehen. Selber mit keinen komödiantischen Auftritten belastet, blendet sich Vanessa Paradis, als Avigal, zwischen die beiden Profis ein und gleitet schliesslich an dem verschworenen Männerduo vorbei in den Vordergrund.

Die Nachbarschaftsstreife des New Yorker Quartiers Williamsburg wittert mit gutem Grund eine schändliche Machenschaft und bringt den mutmasslichen Übeltäter, Murray, vor die örtlichen Rabbiner. Die läppische Frage, ob Bongo ein stolzer Jude sei, beantwortet der geborene Atheist Allen Stuart Konigsberg so: Ja, ich bin es, aber ich habe auch eine furchtbare Angst davor! Steht zu euren Ängsten, es trägt zum Überleben bei, hat er mit listigem Humor so vielen Männern geraten: etwa auch dem Verfasser dieser Zeilen.

Ob etwa auch Turturro einer von derselben Art sei, wird dann weiter erwogen, doch gibt er an, dies unmöglich wissen zu können. Nur für alle Fälle ist er, in der Rolle des Fioravante, ungefragt von Murray als sogenannter Sephardim ausgegeben worden: als ein Nachfahre jener Juden, heisst das, die sich vom fünfzehnten Jahrhundert an aus Spanien vertrieben sahen. Die Exilierten liessen sich auch in Italien nieder, woher dann wohl manche stammen: ob Turturri oder Fioravanti.

Mit derlei Argumenten zielt Fading Gigolo letztlich subtil auf eines: Wen hat es bloss noch zu kümmern, was für einer Nation, Hautfarbe oder Kirche jemand zugeschlagen wird, wenn er es ablehnt, eine Einweisung zuzulassen und ihrem Diktat nachzuleben? Jude, Nichtjude: Der Autor foutiert sich drum. Sepharde, Italoamerikaner: Wenns denn sein muss, wieso nicht? Die Frage ist ohne Bedeutung und bliebe besser ungestellt. Zugehörigkeiten sollen wechseln dürfen wie die Rollen eines Mimen. Der Rest ist Achselzucken, ein bisschen verlegen jedoch.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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