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Under the skin 01

Under the Skin

Neun Jahre lang hat der britische Regisseur Jonathan Glazer keinen Film mehr gedreht. Jetzt hat er sich des Romans «Under the Skin» des im schottischen Inverness lebenden Schriftstellers Michel Faber angenommen. Eine Satire aus der Zukunft.

Text: Michael Ranze / 30. Juli 2014

Verführerisch rote Lippen, eine atemberaubende, durch hautenge Jeans nachgezeichnete Figur, ein geheimnisvolles, häufig von Halbschatten verdecktes Gesicht, dunkle Augen, die Interesse bekunden, kräftige, schwarze Haare, die das Antlitz wie ein düsterer Rahmen zu umklammern scheinen, eine Bereitschaft zur Verführung, der kein Mann widerstehen kann – fast hat man den Eindruck, Samantha, jenes Operationssystem, dem Scarlett Johansson in Spike Jonzes Her ihre Stimme leiht, hätte endlich einen entsprechenden Körper gefunden. Johansson spielt eine schöne, entrückt wirkende junge Frau, die in einem weissen Lieferwagen langsam, ein wenig ziellos durch die belebten Strassen von Glasgow gleitet. Noch weiss der Zuschauer nicht, wer sie ist, was sie im Schilde führt. Reglos, aber wachsam hält sie Ausschau nach jungen Männern. Dann hält sie an, um jemanden nach dem Weg zu fragen. Sie täuscht Hilflosigkeit vor und lässt den ortskundigen Mann einsteigen, damit er ihr ohne weitere Umstände den Weg zeigen kann. Später, am Ziel angekommen, geht sie voran, auf einen endlos tief wirkenden Raum zu, und lässt dabei achtlos ihre Kleidung hinter sich fallen. Während ihr der Mann folgt, wie von unsichtbarer Kraft angezogen, versinkt er langsam in einer schwarz glänzenden, gallertartigen Masse, die die namenlose Frau zuvor noch festen Schrittes überquert hatte.

Eine Szene, die sich noch mehrfach wiederholen soll – auch wenn dadurch zunächst nicht klarer wird, was hier passiert. Ein eigentümlicher Wechsel aus Verführung und Verschwinden, aus Versprechen und Bedrohung bestimmt den Rhythmus des Films, und während man sich fragt, wohin das führen soll, ist man auch schon mittendrin in einem albtraumhaften, faszinierenden Mysterium, dessen Unbehagen man sich nicht entziehen will.

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Neun Jahre lang, seit Birth (2004) mit Nicole Kidman, hat der britische Regisseur Jonathan Glazer keinen Film mehr gedreht. Mit seinem Debüt Sexy Beast (2000) war er schlagartig bekannt geworden. Zwei Filme, die die Grenzen ihrer Genres – des Dramas, des Gangsterfilms – ausloteten und die Erschütterungen ihrer Hauptfiguren in den Mittelpunkt des Erzählinteresses rückten. Jetzt hat Glazer sich des Romans «Under the Skin» (deutsch: «Die Weltenwanderin») des 1960 in den Niederlanden geborenen, nun im schottischen Inverness lebenden Schriftstellers Michel Faber angenommen. Eine Satire aus der Zukunft, in der ein Alien in der Maske einer schönen Frau gut beleibte Erdenbürger einfängt, um die Bewohner ihres Heimatplaneten mit Nahrung zu versorgen. Glazer und sein Autor Walter Campbell haben den Film von dieser Bedeutung oder besser: Eindeutigkeit entschlackt. Darum erscheint Under the Skin zunächst wie das filmische Pendant zu einem Rorschachtest, der Auskunft geben könnte über den angstbesetzten Geschlechterkrieg zwischen Mann und Frau, über sexuelle Gefahr und unbestimmte Todessehnsucht. Es ist sicher kein Zufall, dass Scarlett Johansson diesen devil in disguise, diesen Teufel in Menschengestalt, spielt. Natürlich ihrer Schönheit und ihrer Sinnlichkeit wegen, vor allem aber dürfte ihr bisheriges Rollenprofil sie für die verführerische Ausserirdische prädestiniert haben. Spielte Scarlett Johansson zunächst, wie in Lost In Translation (2003), die Muse älterer Männer, die sich durch ihre Jugend und Schönheit einen Ausweg aus ihrer Lebenskrise erhoffen, wandelte sich ihre Mischung aus Erfahrung und Unwissen, aus Erotik und Unschuld seit in Good Company (2004) in eine fordernde Sexualität, die sich durch Neugier und Initiative speist. Eine Frau, die weiss, was sie will, die sich nimmt, wen sie will. Mit ihrer Willensstärke und Bestimmtheit ist sie den Männern überlegen, erst recht hier, in Under the Skin. Und mit einem Mal sind wir bei den Femmes fatales des Film noir, bei der fetischhaften Inszenierung weiblicher Schönheit eines Josef von Sternberg. Scarlett Johansson interpretiert ihre enigmatische Figur als Summe aller Frauenrollen, die sie bislang gespielt hat, von erfahrungshungrig über selbstbewusst bis sinnlich. Den Männern kommt in ihrer Mischung aus Arglosigkeit und Verführbarkeit darum eine unglückliche Rolle zu. Sie verschwinden aus dem Film wie im Treibsand, Opfer ihrer Neugier und ihres Impulses, mit einem uneingestandenen Verlangen, für ihren Fehler bestraft zu werden.

Glazer hat seinen Film in unterschiedliche Töne von Dunkelheit und Grau getaucht. Johanssons Profil ist häufig vom Schatten bedeckt, die Strassen sind schmucklos und regennass, die Dörfer trist und menschenleer. Interessant: Die Begegnungen im Lieferwagen hat Glazer mit versteckten Digitalkameras aufgenommen, die Fahrgäste sind Zufallspassanten, die sich ihrer Mitwirkung am Film nicht bewusst sind. Auch in den Strassen, einmal in einer Disco, wurde mit versteckten Kameras gefilmt. Das gibt Under the Skin einen semidokumentarischen Touch, der so gar nicht zu einem Science-Fiction-Film passen will. Glazer unterläuft die Konventionen des Genres und legt Schicht um Schicht unwirkliche, beängstigende Schreckmomente übereinander, manchmal befremdlich in ihrer Brutalität, manchmal faszinierend in ihrer unbestimmten Bedeutung. Umso überraschender kommen die Skrupel der sinnlichen Sirene, ihr Gewissen plagt sie, und so wechselt der Schauplatz von der Grossstadt über Landstrassen und Dörfer in einen Wald, wo der Alien, verschreckt durch einen Fremden, seine Maske und mit ihr seine Unverwundbarkeit, seine Kälte, sein Desinteresse ablegt. Die Ausserirdische ist menschlich geworden. Und damit ist ihr Ende nicht mehr zu verhindern.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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