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Vanite 01

Sterbehilfe mit Humor: La vanité

In La vanité erzählt Lionel Baier scheinbar die älteste Geschichte der Welt: Ein Mann und eine Frau begegnen sich. Doch wie er sie erzählt, wirkt schon auf den ersten Blick ungewöhnlich – und besticht durch verblüffende Frechheit.

Text: Hansjörg Betschart / 04. Nov. 2015

In [art:interview-lionel-baier2015:Lionel Baiers] schwarzhumorigem La vanité verbirgt sich schon hinter dem Titel mehr als es scheint, denn als Luther das Wort des Predigers Salomon («… et omnia vanitas!») mit «eitel» übersetzte, bedeutete das Wort noch «leer». Auch hinter dem im Zentrum des Films stehenden Sterbebett hängt ein Bild, das nicht ist, was es scheint – ein unpassendes Hotelbild, die Reproduktion eines Renaissancegemäldes einer «Vanité». Ausgerechnet ein herbeigebetener Stricher erklärt zum Schluss des Films die optische Täuschung des Holbein-Doppelporträts, das wir den ganzen Abend angeschaut, aber so nicht gesehen haben.

In La vanité erzählt Lionel Baier scheinbar die älteste Geschichte der Welt: Ein Mann und eine Frau begegnen sich. Doch wie er sie erzählt, wirkt schon auf den ersten Blick ungewöhnlich – und besticht durch verblüffende Frechheit. Der Architekt David Miller ist im Ruhestand. Der geht ihm aber entschieden zu wenig weit. Seit er Krebs hat und seine Frau gestorben ist, will er in Würde sterben. Die Frau, die ihm dabei helfen soll, dieses einsame Leben zu verlassen, arbeitet für eine Sterbehilfeorganisation und ist bereit, über ein paar fehlende Formalitäten hinwegzusehen. Sie treffen sich an einem Ort im Niemandsland, der für den ewigen Ruhestand wie geschaffen scheint.

Was nun folgt, ist eine leise, absurde Komödie, die ihren Witz aus ihrer Trockenheit zieht wie auch aus der absurden Grundsituation. So hat sich Baier an ein Schwimmbad aus den Zeiten der Expo 64 in Lausanne erinnert, das zum Motel umgebaut als Vorlage für seinen Nachbau im Studio dient. Mit der Lakonie von Kaurismäki lässt Baier die Dinge sich verheddern. Mit der Präzision von Tati setzt er die Figuren in seinen Kunstraum. Mit dem Aberwitz von Frank Capra – aber auch mit dramaturgischen Purzelbäumen à la René Clair – treibt er seine Geschichte ihrem optimistischen Ende zu.

In diesem Motel mit dem Charme einer Autobahnausfahrt bereiten nun der Mann und die Frau seinen Tod vor. Doch dann weigert sich der Sohn des Architekten, Zeuge zu sein. Während die ganze Sterbeangelegenheit nun einen anderen Verlauf zu nehmen scheint, fügen sich die Dinge zum makabren Guten: Ein Stricher erweist sich plötzlich als unverzichtbar, und der letzte Lebensabend verlängert sich etwas.

Dabei stellt Baier – nach seinem Roadmovie [art:233] – erneut die Schauspieler ins Zentrum. Doch diesmal tut er dies in einem Kammerspiel, das nur einen einzigen Schauplatz kennt. Auch damit zeigt sich Baier als Traditionalist: Wie die guten alten Studiofilmer entwickelt er seine Szenerie gern aus dem Raum heraus. War in [art:233] ein VW-Bus sein Bühnenbild, erzählt nun der Motelbau eine ganze Lebensgeschichte. Der Architekt Miller hat den Ort, an dem er seinen letzten Lebensabend verbringen will, einst gemeinsam mit seiner verstorbenen Frau gebaut. Das Hotelzimmer wird nun zu seiner eigenen Todeszelle. Das enge Zimmer schafft den narrativen Raum zwischen den Figuren.

Baier führt in aller Stille zwei Schauspielertemperamente zusammen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: Patrick Lapp spielt den Architekten mit minimalistisch nordischer Verschlossenheit. Carmen Maura als Sterbehelferin begegnet ihm mit südlichem Temperament. Von Ivan Giorgeff herzvoll assistiert, hat die Esperanza von Carmen Maura bald für den Sterbekunden Miller nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch ein offenes Herz.

Baier hat das alles im Studio gedreht. Das ermöglicht ihm eine dezent zeitlose Lichtgebung und öffnet der Kamera von Patrick Lindenmaier jeden denkbar möglichen Winkel – stellt auch das Bild von Holbein im Hintergrund in vielfältige Bezüge. Mehrfach gruppiert er seinen Freitodkandidaten vor Holbeins «Die Gesandten», lässt mal den Totenkopf wie ein Messer in den Kopf des Architekten fahren, mal aus seinem Körper ragen, mal stehen die beiden Botschafter wie stumme Zeugen im Raum, bis der Stricher schliesslich den Sterbewilligen in das Geheimnis des Bildes einweiht – zu unserer eigenen Verblüffung.

In La vanité wirkt kaum etwas natürlich improvisiert, eher etwas steif geplant. Baier verzichtet dabei auf den Flirt mit dem Mainstream des Halbdokumentarischen. Er steht dazu, dass Film Kunst ist und Kunst die Erfindung einer eigenen Wirklichkeit, die er mit pfiffigen Zitaten und einem gehörigen Gespür für makabre Komik konstruiert. Wenn auch alles mit der Sicherheit eines gestandenen Filmemachers inszeniert ist – mit dieser Kombination aus Künstlichkeit und Liebe zu den Schauspielern wird Baier möglicherweise bis ins hohe Alter ein Jungfilmer bleiben können. Zumindest ist er nun schon mit seinem dritten Spielfilm unverwechselbar geworden. Bei aller Liebe zum Vergänglichen gerät er nie in die Gefahr, im Lebenskitsch zu ertrinken: Er entwickelt seinen Stoff dort, wo er nicht schon vor lauter Betroffenheit entstellt ist. Wenn am Schluss der Himmel über dem Schwimmbad wie ein Feuerwerk leuchtet, dann wirkt das ebenso liebenswert kitschlos wie das Los seiner gescheiterten Figuren.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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