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Legend 05

Legend

Sie galten als Glamour Twins, die Gebrüder Kray, die sich in den sechziger Jahren als führende Vertreter der Londoner Unterwelt etablierten. Ihre Fassade war eine Reihe von Nachtclubs, in denen Prominenz verkehrte. Fotos, auf denen die Krays mit Prominenten posierten, füllten regelmässig die Boulevardpresse. Inszeniert und geschrieben wurde Legend von Brian Helgeland, der sich einen Namen machte mit der Adaption von James Ellroys dickleibigen und komplexen Roman «L. A. Confidential», für die er 1997 einen Oscar erhielt.

Text: Frank Arnold / 16. Dez. 2015

Sie galten als Glamour Twins, die Gebrüder Kray, die sich in den sechziger Jahren als führende Vertreter der Londoner Unterwelt etablierten. Ihre Fassade war eine Reihe von Nachtclubs, in denen Prominenz verkehrte. Fotos, auf denen die Krays mit Prominenten posierten, füllten regelmässig die Boulevardpresse. Sie selber liessen sich vom Starfotografen David Bailey für ein Porträtfoto ablichten und wurden so zum Teil der Londoner Society. Und so war es nur konsequent, ihre Rollen in The Krays (1990, Regie Peter Medak) mit Prominenz zu besetzen. Die Brüder Gary und Martin Kemp, als «Spandau Ballet» erfolgreiche Musiker, machten sich dabei gar nicht schlecht. Die Faszination, die von den Krays ausging, hatte sich allerdings schon vorher (und auch später) in zahlreichen Büchern, zumeist aus ihrem Umfeld, niedergeschlagen, ebenso in Dokumentationen – eine in Grossbritannien offenbar ungebrochene Faszination, die jetzt zum zweiten Mal kinoreif wird.

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Inszeniert und geschrieben wurde Legend von Brian Helgeland, der sich einen Namen machte mit der Adaption von James Ellroys dickleibigen und komplexen Roman «L. A. Confidential», für die er 1997 einen Oscar erhielt, mit seinen bisherigen vier Regiearbeiten (zuletzt dem Baseballdrama 42) vermochte er aber dieses Niveau nicht zu halten.

Legend erzählt die Geschichte der Krays aus der Perspektive der jungen Frances Shea, in die sich Reggie verliebt und sie dann schnell heiratet. In ihrer Off-Erzählung mischt sich die naive Vortragsweise mit Einsichten in die Welt der Gangster, die über das hinausgehen, was sie selber mitbekam. Sehr schön bringt allerdings eine frühe Szene beide Welten zusammen: Als Reggie sie in einen seiner Nachtclubs ausführt (die grosse, glamouröse Welt unterstreicht der Film durch einen langen Tracking Shot, der den beiden in das Etablissement hinein folgt), muss er sich zwischendurch doch einmal kurz um seine Geschäfte kümmern und zeigt dabei die brutale Seite seiner Person.

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Hin- und hergerisssen zwischen einer bürgerlichen Existenz als Casinobesitzer mit Celebrity-Gästen und seinem Gangsterdasein, aber auch dadurch, dass er den psychotischen Ronnie, der zu Gewaltausbrüchen neigt, unter Kontrolle halten muss, vernachlässigt Reggie seine Ehefrau, die sich daraufhin in Drogen flüchtet, Depressionen verfällt und schliesslich Selbstmord begeht.

Trotz dieses Blicks von aussen, den des Amerikaners Helgeland auf ein Stück britischer Kultur, ist die zentrale Beziehung des Films nicht die zwischen Frances und Reggie, sondern die zwischen den Brüdern. Ronnie, bei dem später paranoide Schizophrenie diagnostiziert wurde, ist eine tickende Zeitbombe, tatsächlich wird der Mord an einem Rivalen, den er in einem Pub vor Zeugen erschiesst, zu ihrem Untergang beitragen. Insgesamt aber ist die Brutalität des Films vergleichsweise verhalten, wird immer wieder komisch gebrochen, was auch auf jene Szenen zutrifft, in denen David Thewlis als Buchhalter der Krays über finanzielle Exzesse klagt. Auch dass Ronnie den Abgesandten der amerikanischen Mafia ungefragt erklärt, dass er homosexuell sei, passt hierher.

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Sowohl in The Krays als auch in Legend gibt es eine Szene, in der die Mutter den Zwillingen und ihrer Gang, die den nächsten Coup planen, Tee und Plätzchen bringt. Während allerdings The Krays die enge Mutterbindung als ausschlaggebend für die psychische Verkorkstheit der Söhne identifizierte, spart Legend Erklärungen aus, erzählt nicht die Vorgeschichte, sondern beginnt erst zu einem Zeitpunkt, als die Brüder ihr kriminelles Imperium bereits errichtet haben und es in Auseinandersetzungen mit anderen Banden erweitern. Am Ende wirkt der Film fasziniert von seinen Protagonisten, ohne ihnen aber wirklich näher zu kommen.

Die Protagonisten sind eigentlich bloss einer, denn Tom Hardy verkörpert beide: Reggie mit Präsenz als jemand mit Charme und Charisma, Ronnie mit präzisem Spiel, Maske (und wohl auch CGI-Gesichtskorrekturen) als Psychopathen. Das hat schon etwas in den Konfrontationen der beiden miteinander, lenkt das Augenmerk auf die Verbundenheit der Zwillinge, ihre Gemeinsamkeiten bei allen Differenzen, zwei Seelen in einer Brust, gewissermassen. Aber es lenkt auch ab, auf das Spiel von Tom Hardy, ähnlich wie das bei Steve Carell in [art:foxcatcher:Foxcatcher] der Fall war: Man bewundert die Wandlungsfähigkeit eines Schauspielers, kann aber nicht umhin, die Arbeit der Maskenbildnerin wahrzunehmen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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