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American sniper 01

The American Sniper


Erstaunlich, wie Clint Eastwood mit 84 Jahren bar aller Altersmilde immer noch von missionarischem Furor getrieben, seine Storys von Gescheiterten, Verblendeten, halbwegs Bekehrten auf die Leinwand wuchtet. Rauer, kantiger, widersprüchlicher und angreifbarer als manch ein Junger.

Text: Michael Lang / 11. Mär. 2015

Der Schauspieler, Filmemacher und unerschütterliche US-Patriot Clint Eastwood, 1931 geboren, wendet sich nochmals dem Kriegsfilm zu. Einem Genre, das er 2006 mit Flags of Our Fathers und Letters from Iwo Jima adelte. Geschildert wurde der blutige Kampf um die strategisch wichtige Insel Iwo Jima im Pazifikkrieg 1945 aus Sicht der Kontrahenten USA und Japan. Zwei vexierbildartige Metaphern über pervertierte Loyalität, Kadavergehorsam und folkloregetränktem Nationalpathos.

Jetzt nimmt Eastwood diese Themen populistischer, publikumskompatibler wieder auf und verortet sie im zweiten Irak-Krieg. Sein Protagonist (Bradley Cooper mimt ihn mit Verve) heisst Chris Kyle, stammt aus einer bigotten texanischen Familie und wird wegen seines Schiesstalents in die Elitetruppe der US-Navy-Seals aufgenommen. Dort dient er von 1999 bis 2009 als Scharfschütze (Sniper) und wird zum erfolgreichsten Spezialisten seiner fragwürdigen Zunft. Sniper schalten aus der Ferne feindliche Kämpfer aus sowie zivile Männer, Frauen und Kinder, die sie als Bedrohung für die Kameraden an der Kampffront einstufen.

Eastwoods inszenatorisch eindrucksvoller, inhaltlich und formal polarisierender Film fusst auf Kyles Bestseller-Autobiografie (2012), die umstritten ist: Sie tangiert den Kriegsveteranen-Ehrenkodex, wonach die aufbauschende öffentliche Rede über Militäreinsätze verpönt ist. Kyle aber (von Kameraden «The Legend», von Feinden «Al-Shaitan», Teufel, genannt) neigte zur Aufschneiderei, wurde gar wegen übler Nachrede verurteilt.

Dazu äussert sich Eastwood nicht, und sogar das tragische Ableben Kyles (er wurde nach der Dienstzeit 2013 von einem traumatisierten Veteranen erschossen) erwähnt er am Schluss nur als Fussnote. Eastwood hütet sich also, eine «wahre Geschichte» nachzubeten. Wissend, dass es wahre Geschichten im Kino nicht gibt. Kyle dient ihm als zugkräftige Gallionsfigur für ein moralisches Statement zur Problematik der amerikanischen Jagdmanie auf Terroristen islamischer Provenienz seit den New-Yorker 9/11-Attentaten von 2001.

Eastwood zeigt Kyle als bärenhaftes, schlichtes Gemüt, das mit einem Klischeefeindbild vor Augen sein martialisches Helfersyndrom auslebt. Viermal zieht er im Film ins Gefecht und verlebt die Heimaturlaube mit seiner Gattin (Sienna Miller spielt sie sensibel), dem Sohn und der kleinen Tochter. Man wird dann Zeuge einer drastischen Wesensveränderung: Kyle verliert zusehends die Bodenhaftung, entfremdet sich von den Liebsten, findet sich im bürgerlichen Umfeld nicht mehr zurecht.

Eastwoods vornehmste Tugend ist seine kantige, lakonische narrative Dialektik, mit der er die Metamorphosen von versehrten Charakteren elegant zu verbildlichen weiss. Wie etwa im Western Unforgiven, in den Milieustudien Mystic River, Gran Torino, Million Dollar Baby, im Liebesdrama The Bridges of Madison County.

Diesen Qualitätslevel erreicht Eastwood hier nur partiell: Die visuell-akustische Bombastik redundanter Kampforgien bedient zwar einen faszinierenden Voyeurismus, vernebelt aber zuweilen die gewohnte kammerspielartige Tiefenschärfe arg. Originär ist Eastwoods Blick auf die Soldateska nur dort, wo er einen unüblichen Blickwinkel einnimmt: Einmal erkennt man aus der Vogelperspektive von Haus zu Haus vorrückende, kompakte Gruppen von US-Marines, die von unkoordiniert heranströmenden Gegnern eingekreist werden. Die Parteien prallen in dem Moment aufeinander, als ein infernalischer Sandsturm aufzieht. Es ist das sinnstärkste apokalyptische Tableau des Werks.

Irritierend wirkt dagegen das spekulative Comicartige gewisser Sequenzen: Kyles Sniper-Antipode, ein syrischer Söldner und Beau wie aus dem Fashion-Magazin, federt im leichten Tenue wie Spiderman über die Dächer zum nächsten Hinterhalt. Um dann vom muskelbepackten, eher schwerfälligen Kyle per Fangschuss erlegt zu werden; man folgt der letalen Kugel im Slow-Motion-Flug, wie beim Computergame.

American sniper 02

Solche effekthascherischen Mätzchen sind eigentlich Eastwoods Sache nicht, und so schätzt man die Momente, in denen er formal zur Ruhe kommt. Etwa dort, wo Kyle in einer Bar sitzt und mit seiner Frau telefoniert (was er auch bei Kampfeinsätzen tut, sic!). Sie wähnt den Gatten noch in Übersee und erfährt nun, dass er bereits in Texas weilt, aber, von Dämonen gepeinigt, das Heimkommen hinauszögert.

Hier manifestiert sich die wahre Kunst des präzisen Menschenbeobachters Eastwood wie auch im anrührenden Finale. Gezeigt werden dokumentarische TV-Aufnahmen vom Begräbniszeremoniell für den ermordeten Kyle auf einem Militärfriedhof. Die fahlfarbige High-Definition-Picture-Patina ist weg, und schlagartig ist man zurück in der medialen News-Realität. Wird aber mit einem archaischen Ritual von kollektivem Trauererlebnis konfrontiert, das Uneingeweihte ratlos lässt, doch für jeden Amerikaner – ungeachtet aller ethnischer, sozialer, religiöser Herkunft und politischer Gesinnung – sakrosankt ist. Weil jede Familie irgendwann Angehörige und Freunde auf den gottverdammten Feldern der Ehre verloren hat, an Leib und Seele verätzte Überlebende kennt. Dass American Sniper (wahrlich kein Feelgood-Movie) unerwartet zum Publikumserfolg in den USA wurde, hat damit etwas zu tun.

Erstaunlich, wie Clint Eastwood mit 84 Jahren bar aller Altersmilde immer noch von missionarischem Furor getrieben, seine Storys von Gescheiterten, Verblendeten, halbwegs Bekehrten auf die Leinwand wuchtet. Rauer, kantiger, widersprüchlicher und angreifbarer als manch ein Junger. Und ewig beseelt, was man altmodisch Zivilcourage nennt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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