Filmbulletin Print Logo
Une nouvelle amie 01

Une nouvelle amie

Fast immer geht es in den Filmen von François Ozon um die Lust am Zuschauen – und damit auch um die Lust am und im Kino, auch in seinem neusten Film, Une nouvelle amie, erzählt Ozon von einem solchen lustvollen Schauen, das an- und erregt – und die Zuschauenden in das Geschehen verwickelt.

Text: Kristina Köhler / 11. Mär. 2015

Fast immer geht es in den Filmen von François Ozon um die Lust am Zuschauen – und damit auch um die Lust am und im Kino. In Swimmingpool (2002) war es die englische Krimischriftstellerin Sarah Morton, die im Ferienhaus in Südfrankreich vom Balkon aus das laszive Verführungsspiel der jungen Julie am Pool beobachtet und sich dabei in eine Schaulust verstrickt, in der Imagination und Wirklichkeit zunehmend miteinander verschwimmen. Ähnlich ergeht es dem Lehrer Germain in Dans la maison (2012), der über die Aufsätze eines Schülers in das Privatleben einer Familie eindringt – und dabei seinen eigenen Phantasien auf den Leim geht. Auch in seinem neusten Film, Une nouvelle amie, erzählt Ozon von einem solchen lustvollen Schauen, das an- und erregt – und die Zuschauenden in das Geschehen verwickelt.

Der Film beginnt als Geschichte von Claire und Laura, die sich schon als kleine Mädchen schwören, immer füreinander da zu sein. Wie Verliebte ritzen sie ihre Initialen in Bäume, werfen sich verschwörerische Blicke über die Tanzfläche zu. Wenn Laura mit einem Jungen knutscht, tut Claire es auch. Als Laura David heiratet, heiratet auch Claire. Doch dann stirbt Laura – und Claire bleibt übrig. Fast übergangslos leitet die rasante Eingangssequenz vom Hochzeitsmarsch zum Glockenläuten auf Lauras Beerdigung über. Schön wie Schneewittchen liegt Laura in ihrem Hochzeitskleid im Sarg. Und wer das Märchen kennt, der ahnt bereits, dass Laura wieder zum Leben erwachen wird …

Ozon wäre nicht Ozon, wenn er dieser märchenhaften Wiederauferstehung nicht einen besonders perfiden Dreh verleihen würde – und so lässt er Laura im Körper eines Mannes wieder auferstehen. Nach dem Tod seiner Frau schlüpft David in Lauras Kleider, schminkt sich wie sie und trägt eine Perücke, die an ihre Frisur erinnert. Als Claire ihn in dieser Aufmachung überrascht, hält sie ihn für einen kurzen Moment für die tote Freundin. Sie ist schockiert, behält Davids Geheimnis aber für sich. Und weil sie ihrer Freundin versprochen hatte, für deren Mann und Kind da zu sein, unterstützt sie David dabei, seine «weibliche Seite» auszuleben. So wird David zu «Virginia», seinem weiblichen Alter Ego, und Virginia zu Claires «neuer Freundin». Und Freundschaft, das lässt uns Ozon im Verlauf des Films immer deutlicher spüren, ist ein dehnbarer Begriff, der in zahlreichen Schattierungen daherkommt.

Ozon orientiert sich lose am Plot von Ruth Rendells Novelle «A New Girlfriend», erzählt diesen jedoch auf die ihm eigene Weise – als Geschichte eines Zuschauens, das verborgene Sehnsüchte hervorkitzelt. So beäugt Claire Davids Verwandlung zu Virginia zunächst noch skeptisch, gerät dann jedoch immer mehr in seine Geschichte hinein. Eine unbehelligte Zuschauerposition ausserhalb des Geschehens gibt es nicht – nicht für Claire und auch nicht für uns. Ozon “verführt” seine Zuschauer mit einem raffinierten Spiel aus Erwartungen und Klischees, mit überraschenden Wendungen und der Effizienz eines Erzählens, das sich in subtilen Wiederholungen und Spiegelungen voranschraubt. Zunächst kaum merklich, dann immer deutlicher baut er ein ausgeklügeltes Spiel von Vor- und Rückgriffen um den Plot, das verwirrende Spiegelungen zwischen Claire und Virginia herstellt. Während David sich als Virginia immer selbstbewusster auslebt, spürt auch Claire ihrer weiblichen Seite nach. So holt sie den Lippenstift hervor, tauscht die hochgeschlossenen Blusen gegen das ausgeschnittene Kleid und lässt sich von Virginias Lust am “Frausein” an- und offensichtlich auch erregen. So wird das, was zunächst als irritierend körperliche Form der Trauerarbeit beginnt, zunehmend zu einer Hommage an den “weiblichen” Körper: In Grossaufnahmen streicht die Kamera ganz nah an den Gesichtern und Körpern entlang; das Auftragen von Lidschatten und Lippenstift, das Bürsten der Haare werden zu intimen, erotischen Gesten. Nur das Epilieren mit dem Heisswachs, so die ironische Brechung, erinnert noch daran, wie “anstrengend” es ist, eine Frau zu sein.

Une nouvelle amie 02

Wenn Ozon stets ein bisschen am Abgründigen entlang erzählt, findet er eine ganz eigene Tonlage für eine Thematik, die Xavier Dolan in Laurence Anyways (2012) zuletzt auf fast schon verstörend-realistische Weise gezeichnet hatte und die Pedro Almodóvar stets in die schrille Exaltiertheit seiner Protagonistinnen überborden lässt. Die Stärke von Ozons Figuren liegt darin, dass sie gängige Erklärungsmuster wie Transsexualität, Homo- und Bisexualität, Travestie oder (in den dunkleren Momenten des Films) auch Nekrophilie an sich abperlen lassen. Ironischerweise spekulieren sie selbst fortlaufend darüber, warum David sich als Frau kleiden möchte. Ist er schwul? Oder pervers? Liegt es an der etwas zu engen Beziehung zu seiner Mutter, deren Kleider er aufgehoben hat? Macht er es, um der kleinen Tochter die verstorbene Mutter zu ersetzen – oder für sich selbst? Nichts von alledem und von allem ein bisschen. Auf herrlich subtile und spielerische Weise dekonstruiert <Une nouvelle amie> diese vermeintlichen “Erklärungen”, lässt sie unscharf ineinander übergehen und erinnert daran, dass sich menschliches Verhalten – zumal wenn es um Liebe und Lust geht – selten auf eine Formel bringen lässt. Da ist es nur konsequent, dass Ozon seinem Film eine ähnliche Komplexität zugesteht und als wilde Mischung von Thriller, Komödie und Melodram erzählt. Sein Film sei selbst ein bisschen «transgenre», scherzt Ozon mit Anspielung darauf, dass «transgenre» im Französischen auch «transgender» meint.

Dass man diese Verschiebungen mitmacht, verdankt sich nicht nur der Figur Claires, die als Zuschauerin in die Geschichte hineingerät, sondern auch dem Körpereinsatz von Romain Duris. Er spielt das Changieren zwischen David und Virginia mit einer Selbstverständlichkeit und einem Charme, dem man sich nur schwer entziehen kann. Wenn er als Virginia die Lippen schürzt, sich die Haare aus dem Gesicht streicht und die schmalen Hüften schwingt, wirkt das lasziv und verletzlich zugleich. Und dieses zartgliedrige Spiel legt er auch als David nie ganz ab. Die “tuntigen” Momente überspitzt Ozon wiederum zu einer Situationskomik, die Klischees und Vorurteile liebevoll-spöttisch entlarvt – so zum Beispiel, wenn Virginia völlig “overdressed” in hautengem Kleid, blonder Perücke und Highheels ins Einkaufszentrum aufbrechen möchte und ihren ersten öffentlichen “Auftritt” als Frau wie auf einer Showtreppe inszeniert.

Ebenso selbstverständlich wie Virginia/David sich am Kleiderschrank seiner verstorbenen Frau bedient, greift Ozon auf den Fundus der Filmgeschichte zurück: Virginia ist Lauras Wiedergängerin, aber sie hat auch ein bisschen was von Hitchcocks Blondinen (die Anspielung auf vertigo ist kaum zu übersehen), von Almodóvars exaltiert-schrillen Frauenfiguren, von Doris Day in ihren pastellfarbenen Négligés; in einer Person verkörpert sie Marilyn Monroe und den als Frau verkleideten Jack Lemmon aus Billy Wilders Some Like It Hot. So speist sich Virginia aus der Erinnerung an Laura, setzt sich aber auch – so Ozons medienreflexive Wendung – aus den vielen Bildern und Phantasien des Frauseins zusammen, die uns das Kino vermittelt hat.

Eigentlich erinnert der Film fortlaufend daran, dass wir im Kino sitzen. Allzu traumwandlerisch bewegen sich die Figuren in einer Welt, in der es keine finanziellen Sorgen gibt. Hier wird noch Tennis gespielt, schicke Autos stehen in der Garage; die Häuser und Interieurs scheinen geradewegs aus den Einrichtungszeitschriften zu kommen, die in David / Virginias Villa auf dem Wohnzimmertisch liegen. Doch gerade im Changieren zwischen dem märchenhaften Tonfall und den ironischen Brechungen liegt das kritische Potenzial des Films, der unbedingt auch als bissige Gesellschaftskritik zu verstehen ist. Noch vor zwei Jahren hatten Vertreter der Kirchen und eine bürgerliche Mittelschicht in Frankreich gegen das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare demonstriert. «Un père, une mère, c’est élémentaire», hatten sie auf den Champs-Élysées skandiert. Ozon legt seinen Figuren nun eine herrlich träumerische und zugleich abgrundtief zynische Entgegnung in den Mund. «Ein Kind braucht eine Mutter», sagt David. «Und einen Vater», sagt Claire. «Dann bin ich halt beides», findet David. Schlagfertiger lässt sich wohl kaum antworten auf Schubladendenken und Intoleranz.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

04. Nov. 2015

Rams / Hrútar

An Islands Nordküste herrscht die Natur über die Menschen. Ausgerechnet dort erreicht nun die Globalisierung – lange nach den Bankern – auch die Bauern. Mit einem Virus. Dieses wuchert nicht in Kreditblasen, es lässt einen anderen Wahnsinn ausbrechen: die Traberkrankheit – eine Art Schafswahnsinn, die das Schafshirn erweichen lässt.

Kino

24. Sep. 2014

Calvary

«It’s certainly a startling opening line», muss Father James in der Beichte zugeben. Mehr als nur überraschend, bestürzend ist der Eröffnungssatz von Calvary. John Michael McDonagh weiss, wie man die Zuschauer gleich am Anfang packt,

Kino

01. Feb. 2017

Elle

Schwer zu sagen, ob Isabelle Hupperts Stöhnen zu Beginn des Films Lust oder Schmerz ausdrückt. Schwer zu sagen, ob Elle nur Thriller ist oder nicht doch auch eine schwarze ­Komödie.