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A Girl Walks Home Alone at Night

Ein iranischer Vampirfilm, gedreht in Kalifornien, in traumhaften, traumähnlichen Schwarzweissbildern, deren suggestive Wirkung und symbolische Bedeutung stets mitschwingt und darum nie ausgesprochen werden muss, mit einem eigenwillig treibenden Soundtrack.

Text: Michael Ranze / 29. Apr. 2015

Plötzlich steht sie da, verhüllt mit einem schwarzen Tschador und darum im Dunkel der Nacht nicht gleich zu entdecken. Nie sieht man sie kommen, immer ist sie schon da, so wie Judith Anderson als Mrs. Danvers in Hitchcocks Rebecca. Manchmal gleitet das Mädchen, dem Dämon Belphégor gleich, aus der Schwärze heraus und zeigt sich seinen Opfern aus der Distanz, die Leere von Plätzen oder Parks mit starren Blicken überbrückend. Eine eigentümliche erotische Ausstrahlung geht von ihr aus, irgendwo angesiedelt zwischen furchtloser Ritterin und düsterem Gothic Girl, aber auch kühlem Fetischmodel. Doch man sollte sich keine Illusionen machen – dieses Mädchen ist gefährlich.

«Der Vampir ist anfänglich Teil eines Albtraums, der uns aus dem Dunklen heraus überrascht», hat Georg Seesslen einmal geschrieben, um dann zu konstatieren: «Seine Einsamkeit liegt nicht in der Einmaligkeit seines Wesens begründet, sondern in der Totalität seiner Begierden; der Blutdurst des Vampirs kann niemals gestillt werden.» Vampire gehören darum von Beginn an, seit Georges Méliès, zur Filmgeschichte. Dieser Aufeinanderprall von Angst und Verlangen, von Tod und Sex ist einfach zu spannungsreich, als dass Filmemacher, von Murnau bis Jarmusch, auf ihn verzichten wollten. Only Lovers Left Alive verband erst kürzlich Liebe und Alter, Musik und Überleben und schickte zwei Seelenverwandte quer durch die Jahrhunderte. Der Vampir wird immer mit uns sein. Er bleibt ein aktueller Mythos der Unterhaltungsindustrie, angesiedelt zwischen Grausamkeit und Grand Guignol, verbunden mit einem gerüttelt Mass an Kapitalismuskritik. Denn das “Aussaugen”, das Entziehen von Lebensenergie steht auch für entfremdete Beziehungen und den Verlust von Menschlichkeit. Zu den schönen Ideen von A Girl Walks Home Alone at Night, dem Debüt der iranisch-amerikanischen Regisseurin Ana Lily Amirpour, zählt, diesem Mythos treu zu bleiben und ihn doch auf ebenso aufregende wie originelle Weise abzuwandeln. Denn der Vampir ist hier eine Frau, eine Vampirin auf Skateboard, ein schwarzes Nachtgespenst, unterwegs in einem Land, das man bislang mit ganz anderen Mythen verband und hier einen zusätzlichen, anspielungsreichen Bedeutungsraum eröffnet: den Iran.

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Doch zunächst beginnt die Erzählung mit Arash, einem attraktiven Jungen, der mit seinem geliebten Ford Thunderbird durch die Nacht cruist, vorbei an schäbigen Ölpumpen und heruntergekommenen Häusern, Kakteen und Laternen, der einzigen Lichtquelle in dieser Geisterstadt, die zu allem Überfluss auch noch Bad City heisst. Bad City: ein düsterer, lebensfeindlicher Moloch, eine industrielle Wüste, so wie das heruntergekommene Glasgow in Bertrand Taverniers La mort en direct oder der kaputte Sündenpfuhl Detroit in Paul Verhoevens Robocop. Der Thunderbird eröffnet eine weitere Bedeutungsschneise: von Mobilität und sozialem Status, von Coolness und Americana, von fünfziger Jahre und James Dean. Doch plötzlich ist der Thunderbird weg, einkassiert von Saeed, einem ausgebufften Dealer und skrupellosen Zuhälter, der die Frauen, die in diesen düsteren Strassen für ihn anschaffen, schikaniert und erniedrigt. Emblematisch ist das Wort «Sex» auf seine Kehle tätowiert. Saeed hat bislang Hossein, den drogenabhängigen Vater von Arash, mit Heroin versorgt, doch weil der nicht zahlen kann, dient der Thunderbird als Pfand. Und dann kommt Saeed auf die absurde Idee, dass das namenlose Mädchen für ihn arbeiten könnte. Er nimmt es mit in seine Bude, legt lauten Techno auf, zieht Kokslinien. Doch es steht bloss da, unbewegt, tatenlos, beobachtend. Die Männer wissen nicht, was sie von diesem Mädchen halten sollen, und wenn sie es merken, ist es auch schon zu spät. Arash hingegen ist der Vampirin schon mehrmals begegnet, nun trifft er sie als Dracula verkleidet, weil er von einer Kostümparty kommt, nachts auf einsamer Strasse. Wenn das kein Zeichen ist!

Ein iranischer Vampirfilm, gedreht in Kalifornien, in traumhaften, traumähnlichen Schwarzweissbildern, deren suggestive Wirkung und symbolische Bedeutung stets mitschwingt und darum nie ausgesprochen werden muss, mit einem eigenwillig treibenden Soundtrack. Häufig sind die Bilder unbewegt und statisch. In ihrer Ruhe und Gelassenheit bauen sie eine Spannung auf, die nie nachlässt, im Gegenteil: Sie steigert sich stetig. Das Licht kommt zumeist von oben, von den Strassenlaternen, oder von vorn, von Autoscheinwerfern, die die Schwärze der Nacht nur schwer durchdringen. Ungewöhnliche, kontrastreiche Bilder sind so möglich: eine schwarze Silhouette, auf der gegenüberliegenden Seite eines Parkplatzes stehend, durch den Dunst kaum zu erkennen, umgeben vom Nichts. Ein Schutzengel der Hölle.

Natürlich geht es hier auch noch um etwas anderes, um eine Frau in einer islamischen, patriarchalisch-konservativen Gesellschaft, die sich gegen Männer wehrt, die Frauen erniedrigen. Die politische und soziale Brisanz des Films ist darum stets gegenwärtig. Den Tschador muss die Vampirin tragen, er ist ein Zeichen für religiöse Zugehörigkeit, muslimische Tradition, aber auch Unterdrückung. Doch er ist auch ein Versteck, das die Identität verhüllt und dann, in Verkehrung seiner Bedeutung, zur emanzipatorischen Geste wird. Wenn die Vampirin in leise gleitender Fahrt auf dem Skateboard die Nacht durchmisst, bläht sich der schwarze Tschador wie die Flügel eines Racheengels, Batman vergleichbar. Ein Akt der Befreiung.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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