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The Age of Adeline

Eine Liebesgeschichte auf den Kopf stellen zu wollen, ist zwar keine neue Idee, aber für das amerikanische Kino ungewöhnlich und im europäischen selten. Geschickt verdreht The Age of Adaline jedes seiner Motive ins jeweilige Gegenteil und kurbelt es ab und zu wieder zurück.

Text: Pierre Lachat / 17. Juni 2015

Eine Liebesgeschichte auf den Kopf stellen zu wollen, ist zwar keine neue Idee, aber für das amerikanische Kino ungewöhnlich und im europäischen selten. Geschickt verdreht The Age of Adaline jedes seiner Motive ins jeweilige Gegenteil und kurbelt es ab und zu wieder zurück. Kaum ein Schritt oder Tritt ist vorhersehbar, und was sich dann vollzieht, ist eine Wendung, die preiszugeben sträflich wäre und dem Leser gegenüber unfair, weil sie für einmal so gut wie unmöglich zu erraten ist.

Trotzdem, was so entsteht, ist ein Stück Hollywood, das wohl da und dort herkömmlich anmuten wird. Eine etwas straffere Stilisierung hätte kaum geschadet. Dennoch verfällt der Film nie in das oft dumpf Repetitive eines Amüsements für die ganze Familie. Da werden keine Erwartungen angehäuft, die sich dann prompt erfüllen, um Dank zu ernten, wie an einem Kindergeburtstag.

Die einzige Frage, die sich stellt, kann nur lauten: Wie soll dergleichen bloss gut gehen? Gibt es einen Weg aus dem angerichteten Kuddelmuddel heraus, wo es doch an den Haaren herbeigezogen ist? Auch ist es im vollen Sinn des Wortes von historisch erstmaliger Art und kommt nur in den Phantasien eines Spassvogels überhaupt vor. Es ist vielsagend, dass sich der Kern des entscheidenden einen Hokuspokus nur über einen im Off gesprochenen Kommentar erläutern lässt. Die paar Sätze beanspruchen kein seriöses Verständnis und verlegen die Handlung nach der komödiantischen Seite hin.

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Die Heldin ist für die Liebe weder zu jung noch zu alt, weder zu hässlich noch zu schön; Adaline erscheint weder ehrgeizig noch unbegabt, weder reserviert noch gefällig, weder krank noch immun, weder allzu feminin noch ihrem Geschlecht zu wenig verbunden. Indessen kommt ihr das abhanden, was eine Liebschaft erst in Gang setzt und auch einmal hinhalten lässt: nämlich jenes gelassene Fliessen des Daseins, das in Eintracht zu gehen hätte mit dem eines männlichen oder, wer weiss, auch weiblichen Gegenübers.

Gewiss, es wird niemand jünger, Adaline aber steckt unverrückbar fest: genau auf dem einen Punkt ihres Lebensbogens. Oder wäre sie bereits anderswohin unterwegs? Wie immer, sie überlässt die Zeit ihrem Fortgang und ihren Zufällen, auch dem unvermeidlichen Zerfall, und verweigert den obligaten Mitvollzug. Andere altern, sie bleibt zurück oder, je nach Sichtweise, stets voraus.

Wenn ein glückliches Paar wähnt, die Uhr sei für beide Liebende stehen geblieben, so tut Adaline etwas Ähnliches, aber aus ihrer Einsamkeit heraus. Sie unterliegt dem Fluch, mehr als lebendig, nämlich unvergänglich zu sein. Sie stirbt und stirbt und kann nicht ersterben, in einem Bereich zwischen «nicht mehr» und «noch nicht». «Age Control» hat bei Adaline nichts zu suchen: jene Maskerade, die gerade in Filmen dank raffinierter Schminke oder Schmiere unterschiedliche Lebensalter auf einem selben Gesicht trefflich zu fälschen weiss.

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Ihre Wahl läge nun zwischen dem einen und dem andern: Entweder du bleibst unter uns, oder du verlässt uns. Doch meidet Adaline jede Entscheidung; sie weicht aus, schwindelt, verschweigt und vertuscht das Unsagbare als unverständlich; sie verwischt ihre Spuren, sucht die Abwesenheit und fügt sich bestmöglich ins Unvermeidliche: so viel jedoch ohne klein beizugeben und voll einer Verzweiflung, der stattzugeben sie sich allerdings weigert.

Dabei besteht keine Aussicht für sie auf was immer für eine Klarheit oder Rehabilitation. Ein Durchhalten kann nur leerlaufen und vermag weder Hergang noch Ziel oder Zweck zu benennen. Da ist einfach zu viel des Daseins, zu viel des Guten wie des Leidens, zu viel der Ausdauer und der Angst. Nichts füllt aus, während alles überquillt. Es liegt nahe, Adaline als mahnende Symbolfigur einer sehr heutigen Epoche der Krisen und der fehlenden Orientierung zu deuten.

Nach Art introvertierter Filmfiguren versteht es Blake Lively in der Titelrolle, eine zweifellos vorhandene Lebenslust in sich hineinkriechen, statt sie nach aussen strahlen zu lassen. Immer wieder streift die Heldin Gelegenheiten, ihre schmerzhaft gehüteten Geheimnisse aufs Spiel zu setzen. Soll doch der ganze Schummel auffliegen, bloss endlich raus aus dem Kerker meines Ichs. Doch kommt ihr kein Mensch entgegen oder gar auf die Schliche. Alle wollen sie nur gnädig verstanden haben. Indessen kann es kaum anders sein, als dass sie samt und sonders ahnungslos geblieben sind.

Jemand in sich Verschlossener wie Adaline neigt dazu, sich für ein Unikat zu halten. Doch ihr begegnet mit Harrison Ford, genannt «old grouchy» oder alter Griesgram, einer, der gewollt so sehr in sich gerichtet wirkt, wie sie es notgedrungen selber ist, und der dennoch zu leben weiss. Zusammen und nebeneinander gehalten, bestätigen die zwei Darsteller glanzvoll, dass die Kunst des Schauspiels mitunter darin besteht, dem Publikum die kalte Schulter zu zeigen und Schutz hinter der Bühne oder Kamera zu finden, statt Applaus heranzuwinken.

Aber jenseits der Schlaumeierei sämtlicher Drehbuchschreiber und ohnehin über allem weht und waltet nur einer allein, nämlich der Gott des Zufalls. Launisch und wurstig, ja verantwortungslos befördert er gerade auch den Zerfall und versieht nach Belieben zwischen gestern, heute und morgen alles bald richtig, bald falsch. Mit einem schonenden Lächeln durchschaut The Age of Adaline das tolle Treiben des unbelehrbaren Gauklers oder Gauners.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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