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Jurassic world 04

Jurassic World

Jurassic World ist bei weitem die konsequenteste Weiterführung aller bisherigen Fortsetzungen von Jurassic Park. Nach Steven Spielberg, dem Regisseur der ersten zwei Teile, geht das neuste Sequel einen Weg, «den keiner der früheren Filme einzuschlagen gewagt hat». Ein Film, «mit dem Jurassic Park zum Leben erwacht». Im Gegensatz zu seinen Vorgängern löst Jurassic World ein Versprechen ein, das sich schon seit dem ersten Film aufdrängt: den Park zu öffnen.

Text: Philipp Spillmann / 17. Juni 2015

Jurassic World ist bei weitem die konsequenteste Weiterführung aller bisherigen Fortsetzungen von Jurassic Park. Nach Steven Spielberg, dem Regisseur der ersten zwei Teile, geht das neuste Sequel einen Weg, «den keiner der früheren Filme einzuschlagen gewagt hat». Ein Film, «mit dem Jurassic Park zum Leben erwacht». Im Gegensatz zu seinen Vorgängern löst Jurassic World ein Versprechen ein, das sich schon seit dem ersten Film aufdrängt: den Park zu öffnen.

Wie das Original von 1993 spielt auch Jurassic World auf der Isla Nubar. Und wie damals übernimmt Special-Effects-Legende Phil Tippet die Führung über die Animationen. Von den früheren Schauspielern erscheint niemand auf der Leinwand, und auch die Regie wurde von einem noch eher unbeschriebenen Blatt geführt, dem Regisseur Colin Trevorrow, der 2013 von Spielberg für diese Aufgabe auserkoren worden war.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Zweiundzwanzig Jahre nachdem das Projekt des kauzigen Multimilliardärs John Hammond in einem Desaster endete, wird der Park endlich eröffnet. Im Gegensatz zu den früheren Sauriern lassen sich die Geschöpfe der neuen Anlage aber zähmen. Als talentiertester Trainer entpuppt sich der verwegene Parkangestellte Owen Grady, der unter der Aufsicht der attraktiven Parkleiterin Claire Dearing das Verhalten von Velociraptoren studiert. Inhaberin der Anlage ist die Masrani Global Corporation, die Wissenschafter beauftragt, aus mehreren Sauriern einen genetischen Hybriden zu züchten. Der Zuschauermagnet entpuppt sich dann aber als hochintelligente Bestie, die Menschen überlisten kann und aus blossem Genuss Jagd auf alles eröffnet, was sich bewegt.

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Wie seine Vorläufer ist Jurassic World ein Film, bei dem man schon im Voraus weiss, was man kriegt: eindrückliche Bilder, hektische Raubjagden, gestochen scharfe Saurierzähne. Eine unterhaltsame Katastrophengeschichte über eine Gesellschaft, die ihre Grenzen überschritten hat. Motivisch brav in der Tradition von antiken Unglücksszenarien wie Ikarus oder Büchse der Pandora. Und wie beim ersten Film bewegt sich die Kamera zuerst lange durch den riesigen Park, bevor die Echsen ausbrechen.

Auch an starken Begegnungen zwischen Mensch und Tier fehlt es nicht. Wenn in der Wassershow ein weisser Hai zum Imbiss eines riesigen Mosasauriers wird, der wie ein dressierter Delfin aus dem Wasserbecken springt, um seinen Köder zu holen, ist das nicht nur mit Humor gemeint. Die Szene markiert auch den Bruch mit den Prämissen von Haifischthrillern. Und sie macht klar: Jurassic World kündigt einen Horror an, der alle bisherigen Ungeheuer in den Schatten stellt. Eine ungeahnte Ära des Schreckens, verkörpert durch den immensen Fortschritt der genetischen Forschung. «Wir haben im letzten Jahrzehnt mehr von der Genetik gelernt als in einem ganzen Jahrhundert durch das Ausbuddeln von Knochen», verlautbart Claire.

Gerade die Verkündung dieser neuen Ära ist es, mit der Jurassic World die Ideologie seiner Vorgänger ans Licht treten lässt. Die Furcht vor den unkontrollierbaren Geschöpfen ist hier nämlich die Angst vor einer sich verselbständigenden Technologie. Die Eröffnung des Parks und die Bedrohung durch rational denkende Raubtiere zeigen, dass es sich dabei allerdings nicht um die Gentechnik, sondern um die digitale Technologie handelt. Die Angst vor einer hochgradig intelligenten Killermaschine, die wir selbst hervorgebracht haben. Um das zu veranschaulichen, lohnt sich ein Blick zurück auf das Original von 1993.

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Der Film beginnt prophetisch. Die ersten Worte des Hauptdarstellers Sam Neill sind: «Ich hasse Computer.» Mit dieser Bemerkung betritt er den Film als Dr. Alan Grant. Ein Paläontologe, der zusammen mit seiner Freundin Dr. Ellie Sattler und dem Chaostheoretiker Dr. Ian Malcolm von Unternehmer John Hammond gebeten wird, sich dessen Park näher anzusehen, um die letzten Bedenken vor der Eröffnung aus dem Weg zu räumen. Noch bevor sie ihre verhängnisvolle Reise antreten, erklärt Grant einer Touristengruppe in der Wüste von Montana den Knochenbau von Velociraptoren anhand eines Computerbilds. Als ein kleiner Junge meint, das Bild wirke nicht besonders angsteinflössend, greift Grant zu einer fossilen Raptorenklaue, mit der er dem Kind am Leibe demonstriert, worin die Gefahr dieses Sauriers besteht: in seiner hohen Intelligenz, die ihn in Rudeln jagen und Überraschungsangriffe aushecken lässt. Kurz: Was auf dem Bildschirm harmlos aussieht, ist in Wirklichkeit sehr gefährlich. Wenn das Lebendige aufhört, Bild zu sein, und Wesen wird, ist es bereits zu spät.

Die digitale Technik spielt eine Schlüsselrolle. Ohne die Rechenleistung moderner Computer wäre es Hammonds Team nicht gelungen, die Saurier-DNA zu rekonstruieren. Darüber hinaus werden sämtliche Laborabläufe, die elektrischen Zäune, die Überwachungskameras, die Fütterung der Tiere und die Fahrt durch den Park mit einem computergesteuerten System betrieben. Das Abschalten dieses Systems ist es dann auch, was die lauernde Bedrohung freisetzt.

Die Gefahr wird durch zwei Saurierarten verkörpert: den Tyrannosaurus Rex und die Raptoren, die sogar imstande sind, Türen zu öffnen. Das Gefährliche an diesen Kreaturen ist nun nicht unbedingt ihre Fähigkeit zu töten, sondern ihre Eigenschaft, sich nicht voraussehbar zu verhalten. Diese Bedrohung zeigt sich auch an den biologischen Kontrollmassnahmen, die im Park getroffen wurden. Um die Population in Schach zu halten, werden nur weibliche Echsen gezüchtet. Es stellt sich später im Film allerdings heraus, dass einige der Weibchen fähig sind, sich selbst zu befruchten. Eine Eigenschaft, die sie von der Amphibien-DNA erhalten haben, die genutzt wurde, um Sauriergene zu bilden. «Das Leben», meint der Chaosforscher Malcolm, «findet einen Weg.»

Jurassic world 02

Das Entscheidende bei Jurassic Park ist, dass die entleinte Schöpfung in ihrer gesonderten, exotischen Zone verbleibt. In der Insel manifestiert sich ein Bereich der Spekulation; das Versuchslabor einer Technologie, die noch weit davon entfernt ist, in die menschliche Wirklichkeit zu treten. Mit Jurassic World ändert sich das radikal. Die Insel steht mitten im gesellschaftlichen Bewusstsein ihrer Zeit. Sie wird mit Schiffen befahren, gilt auf dem Festland als Attraktion und gehört zu den Abenteuern, auf die man selbst Kinder schickt. Bigger than Cinema. Die Parallele zur digitalen Gegenwart ist klar: Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der das Digitale ein Instrument für Wissenschaftler und Militärs ist. Es ist etwas, an dem wir tagtäglich teilnehmen. Eine smarte Technologie, die wir in handliche Geräte bannen und für unsere Unterhaltung zu nutzen wissen. Aber eben auch eine Technologie, die noch nie so nahe davor stand, sich auf ungeahnte Art und Weise zu verselbständigen. Wir leben in einer Welt, in der, wie der Soziologe David Lyon meint, die Existenz sozialer Medien und die von Drohnenkriegen eng miteinander zusammenhängen.

In Jurassic Park war die Ursache des Unglücks noch menschliches Versagen. Die Katastrophe von Jurassic World ist lediglich die Folge eines Experiments; eines anonymen, von subjektiven Entscheidungen gelösten Unternehmens. Das Monster ist nun keine frankensteinsche Nachbildung, sondern ein «Überbild», das die tödlichsten Eigenschaften seiner und unserer Spezies in sich vereint. Ein Wesen, das wie in Friedrich Nietzsches Vorstellung vom Übermenschen darauf aus ist, den (letzten) Menschen abzulösen. Eine technologische Bedrohung, gegen die die digitale Gefahr der Vergangenheit so harmlos wirkt, wie die gezähmten Raptoren, die nun zur Rettung der Insel eingesetzt werden.

Was auf dem Spiel steht, ist wie bei allen Jurassic-Park-Filmen nichts Geringeres als die Zukunft der Menschheit, verkörpert durch die Figur des Kindes, das in jedem Film gerettet werden muss. Die spannende Frage, die sich für die bereits angekündigten Fortsetzungen von Jurassic World stellt, ist also: Was geschieht, wenn die Saurier die Insel verlassen?

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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