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Honeggeratelier

Für eine schöne Welt

Anhand der ungleichen zwei, Gottfried Honegger und Kurt Sigrist, veranschaulicht Für eine schöne Welt, von ihren fundamentalen Gegebenheiten her, die gesamte Disziplin: die Masse und die Massen. Leichthin führt der Dokumentarfilm auftretende Gegensätze zusammen, egal welcher Art. Für eine schöne Welt belegt erneut, wie Erich Langjahr bei seinen Leisten zu bleiben versteht.

Text: Pierre Lachat / 17. Jan. 2016

Wie hat sich ein Künstler in den zwei oder drei, bisweilen vier Dimensionen der Wirklichkeit zu orientieren, auch angesichts der zahllosen Materialien und verfügbaren Motive und vollends inmitten der Millionen Farbtöne, die von absolut Weiss reichen bis zu absolut Schwarz, sprich: von farblos zu farblos? So gut wie alles, was ihm etwas zu bedeuten hat in der Kunst, ob es Eigenes oder Fremdes, Neu- oder Urzeitliches sei, führt zum Beispiel jemand wie Gottfried Honegger auf die geliebte Geometrie zurück; sie soll alles Beginnen und Gelingen bestimmt haben, mahnt er, selbst in vergangenen Epochen, noch bevor die Zeichner, Maler und Bildhauer ahnen konnten, was für einem mysteriösen Zauber sie dabei unterlagen.

Zeitlos unsichtbar, wie die Formen und Definitionen, die Längen-, Tiefen- und Breitenverhältnisse sind, sie teilen und verteilen in Honeggers Verständnis alle Fläche und sämtlichen Raum; und erst damit kommt zutage, wie viel an geometrischer Vorsorge in jeder scheinbaren Leere drin verborgen ist. Persönlich nennt es Honegger das, was hinter aller Kunst steckt; und dementsprechend weiss er jede Praxis auf eine einleuchtende Theorie zu stützen und umgekehrt. Letztlich scheint er zu bezweifeln, ob die hervorgebrachten Entwürfe und Gebilde überhaupt Bestand haben können ohne eine Klärung ihrer Herkunft. Mehr noch, seiner Überzeugung nach geraten die Be- und Umschreibungen, die Ab- und Herleitungen zu einem unabdingbaren Teil dessen, was da als ein Ganzes kreiert wird. Oder erzeugt sich das Resultat wie von allein und benutzt den Ausführenden nur als Mittler? Immerhin ist das gleichsam Selbsttätige beim Zustandekommen von Ergebnissen oft beschworen worden, bestimmt in der legendären écriture automatique der Surrealisten; das Geschriebene, meinten sie, verfasse sich aus eigenem Antrieb.

Mit 93 Jahren vermag Honegger genügend an verbaler Gewandtheit vor Kamera und Mikrofon zu demonstrieren, und er weigert sich offenbar, ausführliche Interpretationen als didaktische Verbrämung abzutun. Von daher wirkt er entschlossen, jedermann entgegenzutreten, der versichert, wahre Kunst spreche schon selber zu ihren Gunsten, ohne Beihilfe einer siebengscheit darüber ausgebreiteten Deutung. Kritiker und sonstige Senfzugeber freilich sind wohl selten auf der Höhe der notwendigen Erläuterungen, wie Honegger sie auffasst und abgibt.

Honeggervorkunst

Eine Generation jünger, schweigt Kurt Sigrist die meiste Zeit über, auch darum, weil er so dringend beschäftigt ist wie ein Handwerker. Zudem zieht er es vor, Segen und Ermunterung von berufeneren und beredteren Fürsprechern erteilen zu lassen. Während Honegger die Mobilität sucht und die zwei Dimensionen vorzieht, um dann eine dritte mittels Kommentar hinzuzugeben, arbeitet Sigrist überwiegend ortsfest und von Anfang an in drei Dimensionen; er repräsentiert wohl das, was im weitesten Sinn unter einem Plastiker zu verstehen ist. Anders gesagt, arbeitet er weniger mit dem eleganten Stift oder Pinsel, um stattdessen aus dem groben, schweren Material herauszuschuften, das förmlich geschleppt und gebändigt sein will. Vornehmlich besteht es aus frisch umgegossenem Metall, anfangs noch heiss und glühend; und damit bestimmt der Handwerkstoff gleich mit, welches die Farbe des entstehenden Gebildes sein wird. Statt flink über ein flaches Rechteck zu gleiten, heisst das, greift und entwirft der Künstler quer durch den Raum, den er ins Auge gefasst hat; und dabei muss er ihn auch in all jenen Teilen mitgestalten, die noch unbelegt sind und die es bleiben sollen.

Jedes breitere und tiefere Ausmass, das sich vor ihm auftut, kommt Sigrist klassisch wie ein aufzufüllendes Vakuum vor. Die Leere lockt und ruft, darin die Objekte ihren Platz zu finden haben, um sich millimeterscharf ins Verhältnis zu den noch offenen Abständen zu fügen. Denn was wäre schon der Raum, ohne jeden sprichwörtlichen Zwischenraum hindurchzuschauen? Soll das Auge beweglich und lenkbar sein, sodass sich das Licht gleich mit steuern und streuen lässt, dann hat der Blick sich teils verstellt, teils freigegeben zu sehen. Mehr als die Betrachter auf Distanz halten muss das Kunstwerk sie umschliessen, einbeziehen und in sich fassen; temporär bereichern sie das Arrangement um eine mobile Zugabe.

Fuer eine schoene welt

Auf eines ist Erich Langjahr keinesfalls aus: die beiden kreativen Deutschschweizer, Honegger und Sigrist, im selben Film gegeneinander auszuspielen oder etwa gar am Beispiel des einen zu argumentieren, der jeweils andere irre sich. Auch liegt es dem Autor fern, die Erzeugnisse, sei’s allein die des einen, sei’s nur die des andern, zu wahrer Kunst zu erheben. Anhand der ungleichen zwei veranschaulicht Für eine schöne Welt vielmehr, von ihren fundamentalen Gegebenheiten her, die gesamte Disziplin: die Masse und die Massen. Leichthin führt der Dokumentarfilm auftretende Gegensätze zusammen, egal welcher Art.

Im Stadtbewohner, der pausenlosen Betrieb gewohnt ist, ermittelt der Filmemacher den Liebhaber der Dichte, der Vielzahl und der viel erbetenen und erteilten handschriftlichen Signaturen; entsprechend genügt Honegger eine überblickbare Bildfläche mit ihren knappen Rändern, selbst wenn sie sich dehnt wie ein öffentlicher Platz von Zürich, der dem beauftragten Künstler freilich vorgegeben wird und sich höchstens noch ausschmücken lässt.

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Hingegen tritt in der Person des wortkargen voralpinen Landbewohners Sigrist der radikal andere Macher hervor. Er benötigt die ungerahmte Substanz, die mit Händen, Handschuhen und mechanischen Hebehilfen zu packen und zu verschieben ist, so sehr wie die Luft zum Atmen, in die das Resultat eintaucht. Allerdings gerät dann jedes einzelne Werk, zufolge der sich ausweitenden Vorgaben, zunehmend wuchtiger, gewichtiger und breiter ausgelegt. Denn was Raum beansprucht, wird ihn dauerhaft okkupieren wollen, samt den offen gebliebenen Lücken.

Für eine schöne Welt belegt erneut, wie Erich Langjahr bei seinen Leisten zu bleiben versteht. Verlässlich der Innerschweizer und der engen Landesgegend treu verbunden, findet er in den vier Waldstätten immer wieder Themen, Motive und Figuren: rund um den mehrarmigen See herum oder nur wenig darüber hinaus, bis auf ein paar Ecken der nahen Stadt Zürich. Seit bald vierzig Jahren wird dabei aller touristische Heimatkitsch tunlichst vermieden. Kaum ein anderer Schweizer Filmemacher repräsentiert so beharrlich wie Langjahr das, was die Franzosen milde herablassend den Regionalismus nennen. Gemeint ist damit eine Beschränkung auf das Naheliegende, wie es etwa die Literatur anstandslos duldet, während es auf der Leinwand verpönt scheint. Von einem Cineasten wird im Minimum erwartet, er habe die verschiedenen Gegenden seines Landes quer zu durchmustern. Möglichst aber soll er rund um den Erdball operieren, um bitte sehr Exotisches herbeizukarren. Von daher ist der Titel Für eine schöne Welt mit ironischem Bedacht zu lesen. Lasst die Kollegen getrost nach den vier Winden schnuppern, Langjahrs Geräte hecheln keinen Reisefreudigen hinterher. Und zurück nach Hause kommen die Globetrotter sowieso immer.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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