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Raving Iran

Anoosh und Arash organisieren im Iran ­verbotene Technopartys. Der Dokumentarfilm wandelt sich in einen Thriller, wenn sich die beiden entscheiden müssen: zwischen Heimat und Freiheit.

Text: Michael Ranze / 24. Okt. 2016

Raving Iran – ein Widerspruch, eine Unmöglichkeit liegt in diesen beiden Worten des Filmtitels verborgen. Denn: Im Iran gibt es keinen Rave. Techno und House sind in dem streng islamischen Land verboten, Pop, Rock oder Metal ebenso. Doch zum Alltag der Iraner gehört es, den Oberen ein Schnippchen zu schlagen und sich wenigstens im Privaten einige Freiräume zu schaffen, heimlich und versteckt, immer mit der Gefahr der Entdeckung. Und so gibt es, trotz aller Widrigkeiten, eine lebendige Technoszene im Untergrund Tehe­rans. Anoosh und Arash heissen zwei ihrer Helden, und Helden sind sie auch des Regiedebüts von Susanne Regina Meures. Sie sind DJs Mitte zwanzig und bringen die Leute mit ihren Techno- und House-Mixes zum Tanzen – immer kurzfristig angekündigt, immer an anderen Orten, immer bereit, schnell zu verschwinden. Doch das ständige Versteckspiel mit der Polizei hat die beiden Männer zermürbt. «Sie haben mich einmal erwischt und fast zu Tode geprügelt», sagt Anoosh.

Meures, in Mönchengladbach geboren und in der Schweiz als Fotoredakteurin tätig, war durch einen Artikel in einer englischen Tageszeitung auf das Phänomen «Rave im Iran» aufmerksam geworden, über Facebook nahm sie Kontakt zu den beiden Männern auf. Ohne Genehmigung drehte sie dann im Iran mit kleinen Canon-Kameras und Smartphones, die manchmal sogar an den Hemden festgenäht waren und dem Film eine ganz eigene Ästhetik aus Unmittelbarkeit, Bewegung, Radikalität und – der dunklen Bilder wegen – Beklemmung geben.

Zu einem frühen Höhepunkt des Films wird dabei der Rave an einem Ort, wo man ihn am wenigsten erwarten würde: in der Wüste. Hier, wo es nichts gibt ausser Sand und Hitze, tobt – welch wundervoller Kontrast – auf einmal das Leben: Die Menschen tanzen und feiern im Schutz der Dunkelheit. Das schönste Bild ist der Morgen danach: erschöpfte Leiber im Sand, mitgebrachte Taschen, Becher oder Planen, die Farbe in die Einöde bringen, hochgestellte Boxen und DJ-Pulte, die die sonst unangetastete Linie des Wüstenhorizonts durchbrechen. Ein emblematisches Bild praktizierter Lebensfreude – hier haben Menschen für wenige Stunden den Ausbruch gewagt. Anoosh und Arash wissen aber, dass es so nicht weitergeht.

Zurück in Teheran wollen sie eine CD mit selbst gemachtem Cover legal herausbringen. Doch ein Besuch im Ministerium für Kultur und Islamische Führung verläuft anders als erhofft. Die Beamtin ist zwar nicht unfreundlich, aber bestimmt. Sie weicht nicht von ihren Richtlinien ab. Immer heikler wird das Gespräch – bis die beiden Männer schnell das Gebäude verlassen. «Sie wollen belogen werden», sagt einer von ihnen, die Doppelmoral der Zensoren kritisierend. Das Abklappern von Plattenläden, wo die CD unter der Theke verkauft werden soll, verläuft zwar gelassener, aber nicht minder ergebnislos: Den Verkäufern sind die Hände gebunden. Mit versteckter Kamera macht Meures deutlich, wie wenig möglich ist im Iran bezüglich populärer Musik, wie frustrierend die Versuche sind, sie doch zu verbreiten. Und auch wie gefährlich.

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Zurück in Teheran wollen sie eine CD mit selbst gemachtem Cover legal herausbringen. Doch ein Besuch im Ministerium für Kultur und Islamische Führung verläuft anders als erhofft. Die Beamtin ist zwar nicht unfreundlich, aber bestimmt. Sie weicht nicht von ihren Richtlinien ab. Immer heikler wird das Gespräch – bis die beiden Männer schnell das Gebäude verlassen. «Sie wollen belogen werden», sagt einer von ihnen, die Doppelmoral der Zensoren kritisierend. Das Abklappern von Plattenläden, wo die CD unter der Theke verkauft werden soll, verläuft zwar gelassener, aber nicht minder ergebnislos: Den Verkäufern sind die Hände gebunden. Mit versteckter Kamera macht Meures deutlich, wie wenig möglich ist im Iran bezüglich populärer Musik, wie frustrierend die Versuche sind, sie doch zu verbreiten. Und auch wie gefährlich.

In seinem letzten Viertel verlässt der Film den Iran, ohne an Brisanz zu verlieren. Anoosh und Arash sind zur Streetparade nach Zürich, der grössten Technoparty der Welt, eingeladen worden, um vor Tausenden von Menschen aufzulegen, ihr Visum dauert fünf Tage. Jetzt sind die Bilder ruhiger, klarer, fröhlicher, leichter, heller, bunter, ordentlicher auch, weil nicht mehr heimlich gefilmt werden muss. Staunend nehmen die beiden das Treiben auf der Strasse wahr und schauen den Mädchen in Bikinis hinterher. Austausch mit Kollegen, Interviews für Radio und Zeitung und natürlich ein aufregender DJ-Set – Anoosh und Arash erhalten eine Ahnung davon, was woanders möglich ist. Mit einem Mal mutiert §Raving Iran zum Thriller, der allmählich seine Spannung aufbaut. Die Abreise rückt näher, die beiden jungen Männer müssen sich entscheiden: bleiben oder zurückkehren. Die Schwere ihrer Entscheidung, durch Diskussionen im Hotelzimmer und Telefonate in die Heimat noch forciert, steht dabei im Gegensatz zur Freiheit, die sie erleben. «Wir wollen nicht, dass ihr zurückkommt», sagt die Mutter. Was für ein Satz! Ebenso tragisch wie lakonisch bringt er den Zwiespalt von Exilanten, egal ob aus dem Iran oder anderswoher, auf den Punkt. Sie sind zwischen Heimat und Sehnsuchtsort, zwischen Familie und Selbstverwirklichung, zwischen Herkunft und Freiheit gefangen. Kein einfacher Weg.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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