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Le confessioni 3

Le confessioni

Le confessioni ist vielleicht der erste Kinofilm, der die globale Einteilung in Selbstgerechte und Dubiose infrage stellt. Wenn Roberto Andò auf der Leinwand bewusst bühnenmässig arrangiert, mit einem Treffen der G‑8-Staaten als Szenerie und kleines Welttheater, dann soll sichtlich an die Stücke etwa Friedrich Dürrenmatts erinnert werden.

Text: Pierre Lachat / 29. Nov. 2016

Verbreitet bis durch und durch korrupt zu sein, so lautet der Verdacht, auch der Vorwurf, den die Länder des Westens ohne viel Bedenken auf andere richten, vornehmlich auf die Staaten Lateinamerikas und Südostasiens. Mindestens stillschweigend, seltener ausdrücklich umfasst die Unterstellung auch einen Freispruch, den ihre Urheber der eigenen Seite zugestehen. Das handliche Vorurteil hat Jahrzehnte überdauert, und es hat sich inzwischen, als die müde Selbstverständlichkeit, die es ist, aller ausfälligen Empörung entledigt. Achselzuckend heisst es dann eher schon: so bleibe es nun einmal, drüben seien die notorisch Anrüchigen vorzufinden, hüben strahlten die erwiesenermassen Unbeschmutzten.

Zur unhaltbaren Fiktion verrutscht

Le confessioni ist vielleicht der erste Kinofilm, der die globale Einteilung in Selbstgerechte und Dubiose infrage stellt. Dass Käuflichkeit spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts allgegenwärtig geworden sei und heute kein Land oder politisches System mehr verschone, sieht sich bei Roberto Andò unmissverständlich thematisiert, ja schon fast vorausgesetzt. Wenn der Autor und Regisseur auch auf der Leinwand bewusst bühnenmässig arrangiert, mit einem Treffen der G-8-Staaten als Szenerie und kleines Welttheater, dann soll sichtlich an die Stücke etwa Friedrich Dürrenmatts erinnert werden.

Grosszügig einquartiert an einem nämlichen Ort der Ostseeküste, bewegt sich eine Schar Delegierter während ein paar wenigen Tagen geschäftig durcheinander und lässt sich als kompetent und verantwortlich halten, und zwar für nichts Geringeres als das Wohl und Wehe der weiten Weltwirtschaft. Grundlegendes Prinzip ihrer Zusammenkunft ist das Gesetz des Schweigens, das nach aussen hin absolut zu gelten hätte, das sich dann aber nie ganz einhalten lässt. Zu vieles über zu viele wird von zu vielen gewusst, und es wird gewusst, dass es gewusst wird.

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Wie aus heiterem Himmel, und doch endlich, bekommen es dann die Versammelten vorgeführt und zu spüren: Heute wäre es, spät genug, für jeden an der Zeit, in sich zu gehen und seine Geständnisse abzulegen oder wenigstens einen Teil davon. Ja doch, es stimmt, die überkommene Zuordnung nach den Mächtigen und den Ohnmächtigen rund um den Planeten, aber auch nach den Diskreten und den Plaudertaschen ist zur unhaltbaren Fiktion verrutscht. Denn unter den Teilnehmern ist einer, der sich vorgenommen hat, nach Jahren aus dem unerträglich verlogenen Versteckspiel auszusteigen. Einen letzten Anstoss dazu verleiht ihm der Plan, der noch an Ort und Stelle gutgeheissen werden soll. Anscheinend gelte es, bestimmte Regionen der Welt vorsätzlich in die Armut zu treiben, um damit andere zu befördern.

Ein Informant zu viel

Vorderhand ist dafür ein ganz bestimmtes kleineres Land als Versuchskaninchen ins Auge zu fassen, wie an einem gewissen Punkt zum Vorschein kommt. Der fragliche Staat Europas verweilt noch ausserhalb der erlesenen G-8-Runde und muss kein einziges Mal bei seinem Namen genannt werden, seis im Kreis der Delegierten, seis gegenüber den Kinogängern. Denn was alle sowieso schon wissen, weit und breit, braucht nicht mehr eigens ausgesprochen zu sein.

An den Sitzungen herrscht zwar ein reiches Gewirr von Sprachen, das aber die Verständigung keineswegs erschwert und die Schweigepflicht samt deren Verletzung, zugleich untermauert wie unterläuft. Keine Sache wird noch so benannt, wie sie heisst. Und sich uneins zu geben, um dann doch eins zu sein, ist die eleganteste aller Regeln. «Agree to disagree.» Dafür, dagegen, was solls. Alle sind zufrieden.

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Der Ausbruchswillige nimmt sich mit langem Vorbedacht das Leben, hat aber eigens dafür einen unerwarteten Zeugen herbeibestellt. Salus, ein italienischer Mönch und Beichtvater, untersteht zwar selber jener vermaledeiten «omertà», versteht sich, kann aber schlecht ignorieren, was er zu sehen und zu hören bekommt: nämlich das jämmerliche Auseinanderbrechen der Phalanx aus lauter Mitwissern, die nun ihrerseits etliches zu beichten hätten, nachdem es einer von ihnen eben exemplarisch getan hat. In jedem Fall müssen sämtliche Versammelten damit rechnen, dass der ungebetene Priester das Maul aufreissen wird: ein Informierter zu viel, auf den kein rechter Verlass ist, auch wenn er anders geschworen hat.

Für den Moment verschieben die Experten ihre Reaktion noch auf den frühen Montag, um die Antwort jener ominösen Märkte abzuwarten, die so unberechenbar sind wie unmöglich einzugrenzen. Freilich, ob das Ende, mit seiner Wahrheit wenigstens für einen Tag, nun auch die Besserung eintreten lässt und damit den Schluss bedeutet, steht dahin. Denn da läuft ein Hund mit, immer ausgangs der Sitzungen, der anscheinend alles wittert, aber nichts zu bellen hat und keinesfalls verjagt werden darf. Salus, der nach Weihrauch und Soutanen riechende Ekklesiast, scheint bei dem artigen, fleissigen Vierbeiner auf besonders viel animalische Mitempfindung zu stossen.

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