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Rer laufenbasel

Reset – Restart

Mit drei Jahren wurde Mischa Steiner adoptiert. Lange wollte er nichts darüber wissen, doch mit 35 Jahren reist er in sein Geburtsland Korea: um zu bleiben. Eine radikale Entscheidung, doch der Dokumentarfilm vergisst, dazu Fragen zu stellen.

Text: Tereza Fischer / 07. Dez. 2016

Mischa Steiner, der Protagonist dieses Dokumentarfilms und Erstlings von Judith Lichtneckert, ist ein Adoptivkind. Als Dreijähriger kam er von Südkorea nach Basel. Mit 35 Jahren verlässt er die Schweiz, nicht nur um seinen Wurzeln nachzugehen, sondern um in seinem Geburtsland gleich ein neues Leben zu beginnen. Reset, restart. Eine überraschende und radikale Entscheidung. Schliesslich kennt Steiner Korea nicht besser als irgendein anderer Schweizer.

Die vielleicht erstaunlichste Aussage über seine Befindlichkeit macht Steiner gegen Ende des Films. Und sie trifft mitten in einen wunden Punkt seiner selbst und der Gesellschaft: In Südkorea stellt Steiner fest, dass er sich sogar im öffentlichen Raum geborgen fühlt. Da könne er endlich mit seinem Aussehen Frieden schliessen. Kann es sein, dass ein Mensch, der in der Schweiz bei liebevollen Eltern aufgewachsen ist, einen grossen Freundeskreis hat, lupenreines Baaseldytsch spricht und FCB-Fan ist, sich unbewusst die ganze Zeit wegen seines Aussehens fremd gefühlt hat? Kann es umgekehrt sein, dass der Grund, sich in einem fremden Land wohlzufühlen, für Steiner nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, in der Dazugehörigkeit zu einer grossen Familie liegt, sondern im Aufheben der äusseren Differenz? War sich Steiner selbst so viele Jahre fremd? Oder vielleicht nicht genug fremd, um sich kennenlernen zu wollen? Entlastet ihn das Fremdsein in Korea vom eigenen Gefühl sich selbst gegenüber?

Rer mischamutter

Diese Fragen werden wohlgemerkt nicht im Film gestellt. Nie ist die Rede davon, dass sich Steiner in der Schweiz unwohl gefühlt hätte. Rassistische Ausgrenzung scheint es nicht gegeben zu haben. So drängt sich immer stärker die Frage in den Vordergrund, was diesen radikalen Neustart motiviert hat. Lange Zeit wollte Mischa Steiner nichts von seiner Adoption wissen. Zehn Jahre liess er verstreichen, bis er die Unterlagen studierte. Danach scheint plötzlich ein Schalter gekippt zu sein.

Dass Adoptionen Identitätskrisen auslösen, ist nichts Überraschendes und potenziell fruchtbarer Stoff für einen Film. Es erstaunt deshalb, wie wenig Judith Lichtneckert unter die Oberfläche vorzudringen vermag. Stand die jahrelange Freundschaft zwischen ihrem Protagonisten und ihr als Regisseurin im Weg? Sie lässt sich jedenfalls viel zu sehr von dem lenken, was ihr Mischa Steiner anbietet. Und der vermag selbst nicht in sich hineinzuschauen. Er ist sich selbst ein Fremder.

Rer schwester

Anstatt in die Tiefe zu bohren, erzählt Lichtneckert viel zu umständlich vom Abschied von Basel und von der Ankunft im fremden Land. Oft wünscht man sich, nur beobachten zu dürfen. Vor allem die Verdoppelungen zwischen Bild und Kommentar stören. An einer eigentlich sehr schönen Stelle wird Lichtneckerts Misstrauen gegenüber der Macht des filmischen Bildes evident: Als Mischa Fotos von seinen Familienmitgliedern bekommt, steht er vor dem Spiegel und hält sich das Bild seines Vaters neben das Gesicht. Er sucht nach Ähnlichkeiten. Gerade durch das Unbeholfene eine witzige und zugleich ergreifende Szene. Sie wird aber durch das Darüberlegen des nichtssagenden Kommentars des Protagonisten banal. Er beschreibt nur, was wir ohnehin sehen, und lässt keinen Raum offen für eigene Interpretationen.

Rer mischavater

Wut und Trauer kommen schliesslich als Symptom einer unverarbeiteten Vergangenheit hervor. Spät im Film bereut Steiner sehr, nicht schon viel früher auf den Brief seiner inzwischen verstorbenen Schwester reagiert zu haben. Noch immer ist er nicht im Stande, den Gründen für sein Verdrängen nachzugehen. So überrascht es eigentlich auch nicht, dass Steiner fünf Jahre nach seiner Übersiedlung nach Seoul zufrieden lebt und die Schweiz nicht vermisst. Reset, restart, als wären die prägendsten Jahre im Leben eines Menschen nichts gewesen. Warum bloss? Eine Frage mit langem Nachhall.

Rer koreastadt

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