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Don’t Blink – Robert Frank

«Who is Robert Frank? Laura Israel, eine langjährige Mitarbeiterin Franks, wird in der Folge versuchen, die Frage zu beantworten oder sich einer möglichen Antwort zumindest zu nähern.

Text: Patrick Straumann / 13. Juni 2016

Ein Kaminsims oder ein Regal, überfrachtet mit alten Fotoapparaten; eine Schachtel, auf der eine Puppe thront, dahinter ein gemaltes Bild einer Kuh. Auf dem Schreibtisch liegen Briefumschläge, Alben und ein Notizblock. Es folgen, dicht geschnitten, Auszüge aus Franks Filmen, darunter eine Einstellung, in der er mit einem Fotoapparat ins Bild tritt, um eine Aufnahme der Kamera zu schiessen, dann der maschinengeschriebene Titel und schliesslich eine Aussenaufnahme, ebenfalls aus der Filmografie des Autors stammend, in der die Frage zu hören ist: «Who is Robert Frank?»

Laura Israel, eine langjährige Mitarbeiterin Franks, wird in der Folge versuchen, die Frage zu beantworten oder sich einer möglichen Antwort zumindest zu nähern. Einerseits stützt sie sich hierbei auf mehrere meist in vertrautem Ton gehaltene Gespräche, andererseits zitiert sie Auszüge aus Franks (fotografischem und filmischem) Lebenswerk. Der formale Dialog zwischen gedrehtem Porträt und ausgewähltem Bildmaterial ist insofern einleuchtend, als der US-Schweizer selber stets darum bemüht war, die Grenzen zwischen Existenz und Darstellung möglichst fliessend zu halten. In Me and My Brother (1969) erfolgte die Introspektion noch über eine Substitutionsfigur; bereits in Conversations in Vermont (1971) standen allerdings die sich weitenden familiären Risse im Vordergrund. About Me (1971), ursprünglich als Auftragsarbeit über die New Yorker Musikszene gedacht, verdankt seinen Titel dem Kurswechsel des Autors: «Fuck the music. I’m going to do this film about me.»

Die Regisseurin setzt Franks Leben und Werk als genügend bekannt voraus, um auf eine nähere Timeline oder Zwischentitel zu verzichten. Tatsächlich besitzen die Aufnahmen in «The Americans» heute einen nachgerade ikonischen Status: Die melancholische Schärfe von Franks 1958 entstandenem Bildband hat die Wahrnehmung des Landes mittlerweile so tief mitgeprägt, dass «The New York Times» den Künstler jüngst als «The Man Who Saw America» vorstellen konnte. Ein Jahr später entstand Pull My Daisy, ein experimenteller, von Jack Kerouac nachsynchronisierter Kurzfilm, in dem neben Allen Ginsberg auch Gregory Corso und Delphine Seyrig einen Auftritt haben. Anfang der siebziger Jahre drehte Frank Cocksucker Blues, einen Dokumentarfilm über eine US-Tournee der Rolling Stones, die Mick Jagger jedoch mit der Bemerkung verbieten liess, die Band würde vermutlich nie wieder in den USA spielen können, wenn der Film an die Öffentlichkeit gelangen würde.

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Robert Franks Filmografie auf ihre formalen Konventionsbrüche zu reduzieren, greift zweifellos zu kurz, dennoch ist es seine in der eigenen Arbeit eingenommene Position, die seinem Spätwerk sein besonderes Profil verleiht. Er habe sich immer lieber «am Rande als in der Mitte der Strasse» bewegt, lässt er im Interview verlauten. Zu Beginn von Don’t Blink – Robert Frank sehen wir eine Einstellung aus Conversations in Vermont, in der er die Linse der Kamera reinigt. Ein weiterer Satz, der trotz der teils dominanten Musik (The Mekons, Tom Waits, Patti Smith und Bob Dylan) in Erinnerung bleibt: «Man kann das Schicksal durch seine Arbeit ändern, die Arbeit ermöglicht es uns, uns mit dem Schicksal zu befassen.» Später wird Israel einen Ausschnitt aus Me and My Brother zitieren, in dem eine Nebenfigur von ­einer radikal subjektiven Ausdrucksform träumt, die sich direkt auf die Leinwand projizieren liesse, «ohne dass der Künstler auf Filmmaterial zurückgreifen müsste: ‹Ich bin eine Kamera› – was wäre dies für ein wunderbarer Titel!»

Hier steht Frank allerdings nicht nur hinter der eigenen, sondern auch vor Israels Kamera: neunzigjährig, unrasiert, Flanellhemd und Baseball-Cap tragend, manchmal müde, doch stets mit hellem Blick. Meist zeigt er Goodwill, selbst wenn er sich auch mit milder Ironie aus der Affäre zu ziehen weiss: Was macht ein gutes Bild aus? Es muss «scharf sein, man muss die Augen sehen, im Idealfall auch die Nase, und: say cheese …» Auf der Einkaufstour im Postkartenladen sucht er Fotografien von «Tigern oder Bären; Tieren, die einen Menschen zerreissen können». Bei Ground Zero versucht er, mit einer Möwe zu kommunizieren («but: no chance»). Diese Momente, die von der Vertrautheit zwischen Israel und Frank zeugen, zählen zu den schönsten Passagen des Porträts. Allerdings fragt man sich, ob mehr Distanz seine Arbeit nicht eher zugänglich gemacht hätte. Was bleibt von der seinem Freund Sanyu gewidmeten Episode, wenn man den Film nicht kennt, den Frank dem Maler nach dessen Tod gewidmet hatte? Der Ausschnitt aus Conversations in Vermont setzt den Fokus auf die Sprachblockaden in der Vater-Sohn-Beziehung, der künstlerische Anspruch des Projekts, die in den Fotografien abgelagerte Vergangenheit zu hinterfragen und «vielleicht» über die Zukunft nachzudenken, bleibt jedoch ausgeblendet.

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Zumal die Fragen zum Verhältnis von Ästhetik, instant décisif und Zugriff im Zentrum von Franks sämtlichen Schaffensphasen stehen: Vor «The Americans» hatte er für «Harper’s Bazaar» Konsumartikel illustriert und mit Walker Evans gearbeitet. Im Verlauf einer Reise durch Peru realisierte er jedoch, dass seine Fotografie vorab «den Charakter der Menschen» zeigen sollte. Nach dem Tod seiner Tochter Andrea, die zwanzigjährig bei einem Flugzeugabsturz starb, erscheint seine Arbeit wie von Trauer überzogen. Viele Bilder resultieren aus einer (manuellen) Nachbearbeitung von Abzügen und Negativen, oftmals werden auch zwei oder mehrere Aufnahmen kollageartig in Bezug gesetzt. Die Filme wiederum, etwa Life Dances On (1980) und The Present (1996), sind ganz auf die inneren Empfindungen konzentriert und liessen sich in ihrem fragmentarischen und assoziativen Ausdruck am ehesten als Selbstporträts beschreiben. C’est vrai, ein am 26. Juli 1990 entstandenes einstündiges One-Shot-Video einer Fahrt durch die Lower East Side in Manhattan, bietet einen hypnotischen Einblick in das mysteriöse Zusammenspiel von Kontrolle und Zufall.

Die Autofahrten in Don’t Blink produzieren ebenfalls schöne Momente. Frank liebt es sichtlich, im Wagen zu sitzen; selbst im Tunnel behält er eine gute Laune. Verschlossener erscheint er im Studio in der Bleecker Street, wo er eine Schublade aufzieht und einen Stapel Bilder durchsieht. «Filme überstehen die Zeit, eine Fotografie ist jedoch immer nur eine Erinnerung», sagt er und legt die Aufnahmen auf den Tisch zurück. Wunde Erinnerungen steigen hoch, als er der Regisseurin die eng beschriebenen und von Zeichnungen durchzogenen Briefe seines Sohns Pablo zeigt, der jahrelang an Schizophrenie gelitten hatte und sich in den neunziger Jahren das Leben nahm.

In Mabou in Nova Scotia, wo Frank zusammen mit seiner Frau June Leaf ein am Meer gelegenes Haus besitzt, schwenkt die Kamera auf einen zentnerschweren Stein, den er in Andenken an seine Kinder auf seinem Land aufstellen liess. Die karge Landschaft und der eisige Wind hätten ihn an die Schweizer Berge erinnert, sagt er. Im Winter ist der abgelegene Küstenstrich monatelang eingeschneit, einzig der Briefträger, der sich täglich auf seine Runden begibt, garantiert den Anwohnern einen Kontakt mit der Aussenwelt. In Paper Route (2002), einem seiner letzten Filme, zeigt Frank den Mann bei seiner Arbeit. Trotz der Kälte erwarten ihn die Kunden vor der Haustür stehend. «Well, we made the circle», sagt der Postbote zum Abschluss. «That’s what we all do», antwortet Robert Frank.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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