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Maggiesplan 04

Maggie's Plan

Mit lakonischen und auf den Punkt geschriebenen Dialogen und witzigen Situationen erinnert Maggie’s Plan an die Screwball Comedys der vierziger Jahre.

Text: Michael Ranze / 17. Aug. 2016

Es gibt eine schöne, emblematische Szene in Noah Baumbachs Frances Ha (2012): Die Titelfigur läuft mit schwarzer Lederjacke und vollem Rucksack durch die Strassen New Yorks. Wie ein aufgeregtes Kind hüpft sie über Bordsteinkanten und Zebrastreifen, vorbei an erstaunten Passanten, nur aufgehalten von gelegentlichen Pirouetten. Eine wundervolle Mischung aus Ziellosigkeit und Übermut, aus Schwerfälligkeit und Grazie, aus Unbeholfenheit und Schönheit strahlt diese Frau aus. Greta Gerwig spielt sie, und seitdem ist sie ein Star des Independent-Kinos, geliebt von den Zuschauern, umschwärmt von den Kritikern.

In ihrem neuen Film, inszeniert von Rebecca Miller, legt sie bezüglich Unsicherheit und Bindungsscheu noch zu. Diane Keaton in Woody Allens Annie Hall und Manhattan könnte Gerwigs grosses Vorbild sein. Und dann ist da noch Ethan Hawke als zweiter Hauptdarsteller, der durch seine Rolle in Richard Linklaters Before …-Trilogie ein ganzes Päckchen an Charme und Verführung, Verlieben und Entlieben, Anziehung und Unvernunft mit einbringt. Baumbach, Allen und Linklater – welch schönes (und natürlich komisches) Spannungsdreieck, in dem sich Greta Gerwig als Dozentin Maggie zu behaupten versucht.

Maggiesplan 03

Pläne geben Sicherheit. Sie sind Lebensentwürfe, die eine Richtung anzeigen und Orientierung im Alltag geben. Einen einmal aufgestellten Plan zu erfüllen, ist immer auch ein befriedigendes Gefühl. An einem Plan zu scheitern, erzeugt Druck und schlechtes Gewissen. Maggies Plan ist zunächst einfach und darum wirklichkeitstauglich: Sie will ein Kind. Einen Vater kann die Mittdreissigerin allerdings nicht gebrauchen – ihre bisherigen Beziehungen dauerten nie länger als ein halbes Jahr. Ein Samenspender muss her, und Guy, ein ehemaliger Mitschüler, wäre geeignet. In der Zwischenzeit hat Maggie John kennengelernt, einen schriftstellernden Kollegen, der seit kurzem an ihrer Universität lehrt. John ist unglücklich verheiratet – mit Georgette, einer kühlen, humorlosen Isländerin, die sich mit ihren akademischen Meriten brüstet und für die Flausen ihres Manns kein Verständnis hat. So wie Julianne Moore sie spielt, mit schwerem Akzent, harter Schale, streng zurückgekämmten Haaren und ständiger Genervtheit, ist sie eine dominante Xanthippe, die sich keine Zufriedenheit gönnt. Durch den Widerspruch zwischen äusserlichem Erfolg und innerem Zorn wirkt sie auch sehr komisch, und so stiehlt Julianne Moore mit ihrem vielschichtigen Spiel den anderen ein bisschen die Show: Sie ist, welch schöne Erkenntnis, auch eine begnadete Komikerin.

Über das Lesen der ersten Kapitel seines neuen Romans kommen sich Maggie und John näher, platonisch zunächst und sehr allmählich. Dann klopft er an Maggies Tür, um ihr seine Liebe zu gestehen. Drei Jahre später. Eine gewichtige Ellipse, die das bisher Geschehene als Prolog ausweist. Maggie und John haben geheiratet und ein Kind bekommen. Maggie könnte also glücklich sein. Doch John schreibt noch immer an seinem Roman, während sie den Alltag mit Haushalt und Kindererziehung bewältigen muss. Ein neuer Plan muss her.

Maggiesplan 02

Bereits 2009 spürte Rebecca Miller mit The Private Lives of Pippa Lee der Unzufriedenheit einer Ehefrau nach, die – früher ein lebensfreudiger, unabhängiger Wildfang – ihre Bedürfnisse ganz hinter die des Mannes zurückstellt. Maggie’s Plan geht dieses Problem sehr viel komischer an – mit lakonischen und auf den Punkt geschriebenen Dialogen und witzigen Situationen, die durchaus an das spannungsvolle, aber auch romantische Verhältnis der Geschlechter in den Screwball Comedys der vierziger Jahre erinnern. Dabei werden die Figuren nicht nur über ihre präzisen Wortgefechte definiert, sondern auch über ihr Äusseres. Maggie selbst strahlt mit ihren weiten, karierten Kleidern eine widersprüchliche Biederkeit aus, Guy disqualifiziert sich mit unvorteilhaftem Rauschebart und peruanischer Bommelmütze von vornherein als Liebhaber, während Georgette mit einer potthässlichen Jacke ihre singuläre Stellung herausstreicht. Kleider machen Leute, auch im negativen Sinn.

Von den bereits erwähnten Vorbildern ist Woody Allen vielleicht das wichtigste. Das macht sich vor allem an der gebildeten Mittelschicht fest, die der Film beschreibt. Millers Figuren leiden vor allem an sich selbst und hinterfragen sich und ihre Berufe ebenso neurotisch wie wortreich. So ist Guy Mathematiker, der die Mathematik zu sehr liebt und sich darum als Gewürzgurkenproduzent versucht. John lehrt «ficto critical anthropology», was immer das auch sein mag, und gefällt sich in der Rolle des faulen Genies, das Angst vor der Vollendung einer Arbeit hat. Und Georgette flicht ihren Trennungsschmerz in eine wissenschaftliche Arbeit ein – so wie Meryl Streep als Exfrau in Manhattan ein Buch über ihre Ehe geschrieben hat. Auch Slavoj Žižek, der slovenische Philosoph, kriegt sein Fett ab. Intelligent zu sein, ist eben nichts alles. Nebenbei geht es hier auch darum, dass Pläne nicht immer aufgehen und man sie auch mal missachten muss. Der letzte Blick von Maggie ist dafür ein schöner Beweis.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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