Filmbulletin Print Logo
Llmm 2d

Looking Like My Mother

Mithilfe von Interviews, Reenactments und surrealen Bildern wagt sich die Schweizer Regisseurin an ein schwieriges und oft verschwiegenes Thema: Ihre Mutter litt an einer manischen Depression mit Wahnvorstellung.

Text: Tereza Fischer / 29. Sep. 2016

«You look exactly like your mother», stellt eine alte Freundin der Mutter in charmantem, holländischem Akzent fest, als sie Dominique Margot die Tür öffnet. Später wird eine Cousine gar sagen, Tochter und Mutter seien sich auch charakterlich ähnlich gewesen, rebellisch und unkonventionell. Es mag nicht jede(r) gerne hören, dass er oder sie den Eltern ähnelt, schliesslich will man als junger Mensch um Himmels willen ganz anders werden, um sich dann aber mit zunehmendem Alter doch oft unheimliche Gleichartigkeit eingestehen zu müssen. Für Margot sind solche Parallelitäten Horrorvorstellungen, denn die Mutter litt an einer schweren manischen Depression mit Wahnvorstellungen. Wie ein Damoklesschwert schwebt eine mögliche Vererbung der Krankheit über der Regisseurin.

Der Film könnte auch heissen: Looking For My Mother. Damit liesse sich die filmische Suche nach den Eltern als lange Tradition im Schweizer Dokumentarfilm betiteln. Erst kürzlich hat sich Eva Vitija in [art:das-leben-drehen:Das Leben drehen] auf die dokumentarische Suche nach ihrem Vater gemacht, der ein Leben lang eine Film­kamera zwischen sich und seine Umwelt hielt und hinter ihr nur als Phantom präsent war. Am schönsten hat aber Peter Liechti in Vaters Garten seine Beziehung zu den Eltern auf Film gebannt und damit auch ein pointiertes Porträt einer aussterbenden Generation gezeichnet.

Erst nach dem Tod der Mutter spürte Dominique Margot, wie sie im Offkommentar (von Isabelle Menken gesprochen) sagt, eine späte «Mutterliebe». Es sind die zärtlichen Gefühle für eine Mutter, um die sich die Filmemacherin nach dem Tod des Vaters kümmern musste und die mehrheitlich nicht fassbar und oft abwesend war. Als Dominique Margot zwölf Jahre alt war, blieb die Mutter wochenlang wie gelähmt im Bett liegen, wusch sich nicht mal mehr, weil sie im Badezimmer Überwachungskameras vermutete. Um die Erinnerungen an diese Zeit lebendig werden zu lassen und sich dem Erleben der Mutter anzunähern, bedient sich Margot einer breiten Palette filmischer Strategien: Interviews, Reenactments, Archivmaterial, impressionistischer bis surrealer Bilder.

Llmm 1d

Die fragmentarische Darstellung von Margots Kindheit ist von einem persönlichen Voice-over und einem etwas steifen Reenactment dominiert. Die Laiendarsteller bewegen sich stumm und wie Puppen durch den dekorativ rekonstruierten Vorortmief der späten Sechziger. Der Fokus liegt dabei auf der beengenden Atmosphäre. Das Schlafzimmer, stellvertretend für die Mutter, wird von einer düsteren, unheimlichen Stimmung befallen. Über die Gefühle der Zwölfjährigen erfahren wir aber wenig. Das Nachempfinden des damaligen Erlebens wirft in vielen Punkten Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Die retrospektive Beleuchtung und Reflexion der erwachsenen Filmemacherin fehlt. Was empfindet Dominique für ihren Vater, den sie als einsam beschreibt und der sich liebevoll um sie gekümmert hat? Auch wenn alles scheinbar normal schien, wie erlebt die erwachsene Dominique rückblickend sich selbst als Kind? So bleibt dieser persönliche Essayfilm eigenartig unpersönlich.

Die Erkrankung an Brustkrebs bringt für Dominique Margot die bis dahin nie verspürte Sehnsucht nach der Mutter, der auch eine Brust amputiert wurde. Die Erbkrankheit ruft drängende Fragen hervor: Woher kommt die Depression? Aber auch: Wie geht man damit um? Die Filmemacherin versucht, in Gesprächen mit Verwandten auszuloten, was die Krankheit für eine Familie bedeutet. Veranlagung bleibt unheilvoll als prägnante Antwort hängen, aber auch die Ahnung, dass die in einer strengen Bergbauernfamilie Aufgewachsene in einem längeren Amerikaaufenthalt eine Freiheit entdeckte, die sie danach in einem beengenden Dasein als Mutter und Hausfrau verlor und schmerzlich vermisste.

Llmm 3d

Über das Erleben der Mutter geben die Briefe an ihre Freundin in Holland Auskunft. Diese blättert in einem dicken Ordner und liest aus der jahrzehntelangen Korrespondenz vor. Ihr gegenüber hat sich die Mutter geöffnet. Alle anderen scheinen über die Krankheit geschwiegen zu haben. Mit ihrem Dokumentarfilm bricht Margot dieses Schweigen. Ihr subjektiver Film ist auch ein Bild einer Gesellschaft, die mit dieser Krankheit nicht umgehen konnte, und der Schwierigkeit der Angehörigen, damit zu leben.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

05. Dez. 2012

Life of Pi

Als Yann Martels Roman 2001 erschien, war er einer dieser überraschenden Treffer ins Schwarze, mit einer ebenso verrückten wie fesselnden Geschichte, so elegant geschrieben und clever konstruiert, dass er den Man Booker Prize gewann und sieben Millionen Mal verkauft wurde. Ang Lee hat die dramaturgischen Fesseln, die ihm die Vorlage anlegte, immer wieder gelockert. Kleine Zufälle und Überraschungen, praktische Überlebensstrategien und märchenhafte Bilder, Prüfungen und Zwischenspiele – da ist genug, was das Interesse des Zuschauers wach hält.

Kino

12. Mär. 2014

Ida

Ida entsteht 2012 und kommt zum Schluss, dass sich die vorangegangenen Epochen neuerdings überblicken liessen, während von den eben begonnenen kaum noch etwas zu sehen sei. Der Film von Pawel Pawlikowski blendet ein halbes Jahrhundert zurück, in die frühen Sechziger mit ihrem zaghaften Wiederaufbau, um von dort einen Schritt weiter zu lenken: vor das Ende des Zweiten Weltkriegs.

Kino

05. Mai 2021

Drunk (Another Round)

Wunderdroge Alkohol? Vier Lehrer in Dänemark trinken sich ins Glück und merken bald, dass weder der Rausch, noch der Kater das Problem sind, sondern sie selbst. Dogma-Veteran Thomas Vinterberg gewann mit dieser Geschichte einen Oscar.