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Glow

Irena Staub alias Lady Shiva war eine Diva, Prostituierte, Muse, Mode-Ikone, Model und Möchtegern-Sängerin. Sie war auf Zürcher Strassen und später auch in der internationalen Kunst- und Modeszene der Siebziger- und Achtzigerjahre eine einzigartige, strahlende Erscheinung, der sich kaum jemand entziehen konnte. Auch die Protagonisten von Gabriel Baurs Dokumentarfilm nicht, die nun mit Nostalgie zurückblicken.

Text: Tereza Fischer / 07. Dez. 2017

Der Film beginnt so, wie er enden wird: mit dem Gefühl seiner Protagonistin, nicht verstanden zu werden, nicht so gesehen zu werden, wie sie wirklich ist. Es sind Ausschnitte aus einem Film, den Irena Staub alias Lady Shiva drehen wollte. Durch die Fiktion scheint jedoch die Wirklichkeit hindurch. Die Diva, Prostituierte, Muse, Mode-Ikone, das Model und die Möchtegern-Sängerin war auf Zürcher Strassen und später auch in der internationalen Kunst- und Modeszene der Siebziger- und Achtzigerjahre eine einzigartige, strahlende Erscheinung, der sich kaum jemand entziehen konnte. Das belegen auch die zahlreichen Fotos, die Gabriel Baur in Glow oft als Triptychon, Vervielfachung oder Spiegelung auf der ganzen Breite der Leinwand anordnet und so die Bilder miteinander sprechen lässt. Dabei entstehen kleine Geschichten, die auch ohne Erklärung eine Welt wiederauferstehen lassen, in der alles möglich schien und in der Lady Shiva einen steilen Aufstieg von der Strasse in die Weltkunstszene gelang. Sie machen auch nach mehr als dreissig Jahren die Anziehungskraft dieser Sirene nachvollziehbar, der alle zu Füssen lagen. Die Freier und die Künstler, allen voran die Modedesignerin Ursula Rodel. Bloss Antonioni sah unter der geschminkten Oberfläche den schwierigen Charakter dieses imposanten Wesens und lehnte eine Zusammenarbeit ab.

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Rodel, deren Muse und Freundin Irena war, und Karl Lienert «Löwenherz», ihr damaliger Liebhaber und Bandmitglied der Underground-Band Dressed Up Animals, standen ihr am nächsten. Sie zeichnen in Glow in langen, etwas ungelenken Erzählungen Irenas Zeit als Diva nach. Das tönt oft nostalgisch und nimmt den Fotos eher ihre Strahlkraft, als dass es die Aufbruchzeit wiederauferstehen liesse.

Gabriel Baur verzichtet bei der Biografie auf Ausgrabungen aus Irenas Kindheit und Jugend. Es scheint, als wäre Lady Shiva aus dem nichts gekommen. Das zumindest ist Rodels Perspektive, die in Glow «die Hauptrolle spielt».

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Zwischen die Erinnerungen sind teilweise noch nicht veröffentlichte Archivaufnahmen montiert. Zu sehen sind Proben der Band und Irena, die überraschend mit Unsicherheit auf der Bühne kämpft. So öffnet sich ein Blick auf eine junge Frau, die eher eine Prinzessin sein möchte als eine Domina. Für sie sind Musik und Singen der persönlichste Ausdruck, die persönlichste Art, sich öffentlich zu zeigen, gleichzeitig fürchtet sie sich davor, sich auf der Bühne blosszustellen. Immer wieder greift Gabriel Baur die kläglichen Gesangsversuche auf. Aus dem Kontrast zu den auffälligen Selbstinszenierungen auf Laufstegen und vor der Kamera berühmter Fotografen entsteht eine Spannung, die auszuloten aber nur zum Teil gelingt. Manchmal wünscht man sich weniger Kommentar und mehr Raum für eigene Interpretationen, Zeit zum Nachdenken, mehr Zeit, um sich in den Bildern zu verlieren.

Glow erzählt von einer Ausnahmeerscheinung, aber auch eine wohlbekannte Geschichte: Eine junge strahlende Frau wird schnell berühmt, verglüht und stirbt viel zu früh. Die Schuld liegt bei ihr, denn sie hat mit ihrem Erfolg und ihrem überhöhten Anspruch nicht umgehen können und ist den Drogen verfallen. Irena Staub ist 1989 in Thailand mit dem Motorrad tödlich verunglückt. Oder, wie es Rodel insinuiert: Sie wurde umgebracht. Ein gewöhnlicher, zufälliger Tod passt nicht in das Bild einer Halbgöttin.

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Wir kennen dieses mythologisierende Narrativ aus Filmen wie [art:amy-asaf_kapadia:Amy] über Amy Winehouse oder Whitney: Can I Be Me über Whitney Houston. Lady Shivas Biograf Willi Wottreng hatte sie mit Marilyn Monroe verglichen. Bloss habe Irena das Pech gehabt, nicht von einem Filmproduzenten, sondern von einem Zuhälter angesprochen zu werden. Auch Marilyn verglühte. Der Glanz ist nur noch Erinnerung. Als solcher lässt er sich verkaufen und verfilmen, als Mythos von der Frau, die für ihren Ruhm mit dem frühen Tod büssen muss.

Glow zeigt aber noch eine Vision, was aus Irena im Alter hätte werden können: in der Person von Tabea Blumenschein, die zusammen mit Irena in Ulrike Ottingers feministischem Piratenabenteuer Madame X: Die absolute Herrscherin auftrat, einem Film, der mit allen Konventionen brach. Tabea, die Irena bewunderte und ihr nacheiferte, gehörte einst zu den schillernden Persönlichkeiten in West-Berlin, geriet später jedoch in Vergessenheit und wurde vorübergehend obdachlos. Immer noch auffällig geschminkt und gekleidet, malt sie heute in ihrer Marzahner Wohnung naive Bilder und imaginiert, sie lebe mitten in Paris.

Der Film endet dennoch dem wohlbekannten Narrativ folgend tragisch mit Irenas Verzweiflung: «Warum gehts nicht weiter?» Die Zeit, in der jeder etwas werden konnte, war langsam vorbei, so auch die Zeit von Lady Shiva.

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