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Beuys

Andres Veiel entdeckt in seinem neuen Dokumentarfilm Beuys wieder: «Mit dem Mauerfall verloren Beuys’ Ideenräume an Leuchtkraft, zurück blieben sein Fett und Filz in zahlreichen Museen, die auf Kunstmärkten zu immer höheren Preisen gehandelt wurden.»

Text: Erwin Schaar / 30. Mai 2017

«Jeder Mensch ist ein Künstler.» Dieses Diktum von Joseph Beuys gehört zu den vielen Missverständnissen, die gar oft zu ablehnendem Kopfschütteln oder distanzierenden Bemerkungen geführt haben. Dabei hat diese Feststellung nur eine zutiefst soziale Meinung dieses Kunstrevolutionärs offenbart, der damit die jedem Menschen innewohnende Fähigkeit zum Denken und damit zur Kreation einer Vorstellung vom Leben – auch in kleinsten Parzellen – formulieren wollte. Und daher hat Beuys es auch spezifiziert, was dann leider nicht mehr so schlagwortartig zu zitieren ist: «Ich weise darauf hin, dass das erste Produkt menschlicher Kreativität der Gedanke ist. Und sage aus diesem Grunde: Denken ist bereits Plastik. Gedanken wirken in der Welt.»

Andres Veiel, Psychologe und Dokumentarfilmer, 1959 in Stuttgart geboren, hat vor allem mit Balagan (1994) über eine jüdisch-palästinensische Thea­tergruppe und mit Black Box BRD (2001), einer parallelen Biografie des RAF-Mitglieds Wolfgang Grams und des von der RAF ermordeten Bankmanagers Alfred Herrhausen, positive Kritik eingeheimst. Mit Beuys scheint ihm eine dokumentarische Kompilation gelungen zu sein, die seine Zuwendung so offensichtlich vermittelt, dass die Zeugnisse wie ein persönliches Bekenntnis zusammengefügt sind. Wobei bei dieser empathischen, fast literarisch anmutenden Bild- und Worterzählung die beiden für den Schnitt Verantwortlichen Stephan Krumbiegel und Olaf Voigtländer mehr als nur erwähnt werden sollen. Fast genial mag man die Struktur der Bildfolge nennen, die aus Filmausschnitten, Fotos, Schwarzweiss- und Farb­material erstellt wird und ohne jegliche Kommentierung erkenntnisreiche Zusammenhänge herstellt (die wenigen Talking Heads sind wie Zeitzeugen und werden wie das übrige Archivmaterial behandelt): Das Kind Beuys spielt mit einem aufziehbaren Flugzeug, und kontinuierlich und deshalb scheinbar folgerichtig wird Beuys zum Flieger in Uniform, und die Flugzeuge werden zum Kriegsgerät, und Beuys erzählt seine Geschichte vom Abschuss seiner Maschine und von den Tataren, die ihn mit Fett und Filz vor dem sicheren Tod retteten. Die Glaubwürdigkeit dieser Narration bleibt offen wie ein Kunstwerk, das sich der Analyse verweigert. Wie eine Rechtfertigung seiner Phantasie klingt sein «Man hat mich damals zurechtgeschossen».

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Veiels Verständnis von Beuys’ Wirken ist nicht von kunsthistorischem Bewerten geprägt. Dass Beuys in der bis dahin als stringent angenommenen Entwicklung der Kunst eine Zäsur gesetzt hat, ist im Film von kaum eruierbarer Bedeutung. Die Zusammenstellung des Archivmaterials, darunter ist eine ganze Menge bisher kaum bekannter Dokumente, versucht sich ganz der Persönlichkeit eines Phänomens zu widmen, das mit seinen Zeichnungen, seinen Performances, seinen Wortkaskaden, seinen plastischen Schöpfungen zum Bild einer Gestalt wird, die schon fast einer Heiligen­legende gleicht. Dass der Jupp aus Düsseldorf auch eine ganze Menge von Witz und Humor besass, kommt zwar durchaus in Diskussionen und Aktionen zum Tragen – aber eher so, wie man auch Heiligen eine gelegentlich heitere Bemerkung zugebilligt hat oder zubilligen will.

Um diese Beobachtung nicht zu virulent werden zu lassen, mag man doch der Veiel’schen Sicht und Bewertung gerne folgen, weil sie von einer Überzeugung und Beweiskraft getragen ist, die eben dem sozia­len Wesen Beuys geschuldet ist und manches Zitat plötzlich so überzeugend erschliesst, dass der ästhetische Stellenwert nicht mehr behauptet werden muss, sondern meist eine fast körperlich spürbare Berührung auslöst.

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Das darf in ganz unmittelbarer Weise für die Aktion in der René Block Gallery 1974 in New York gelten: «I like America und America likes me». Drei Tage mit einem Kojoten in einem Raum, in Aktion zueinander, das Tier wie einen Partner betrachtend. Oder für die Performance «Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt» 1965 in Düsseldorf: «Die Idee, einem Tier etwas zu erklären, fördert den Sinn für das Geheimnis der Welt und der Existenz … noch ein totes Tier bewahrt stärkere Kräfte der Intuition als manche menschlichen Wesen mit ihrem unerbittlichen Rationalismus.»

Veiel erzählt nicht chronologisch, aber es ­finden alle Stationen in Beuys’ Leben Eingang. In der Verschränkung der Bilder und Ereignisse ergibt sich die verehrende, trotzdem keineswegs idolisierende Haltung, die nicht darauf aus ist, bewertende Kriterien für die Schöpfungen nach Art einer Kunstkritik einzuführen. Der Regisseur und seine Cutter betonen, wie wichtig es ihnen war, die Bedeutung von Beuys für heute, in dessen Vorstellungen von Ökonomie und Geld zu einer für den Film existenziellen Notwendigkeit zu

machen. So endet der Film auch nicht mit dem Tod von Beuys, sondern mit seinen Visionen von einem anderen Wirtschaftssystem: «Das war auch eher unsinnliches Material, ohne emotionale Nähe. Noch dazu mit einer unzugänglichen Sprache: Beuys argumentiert mit Begriffen aus der Wirtschaftslehre von Rudolph Steiner» (Veiel). Vielleicht ist das der Widerspruch zumindest im Anliegen des Regisseurs, nach einer so sinnlichen und emotionalen Porträtierung einer Person Sinn und Wert in eher akademischen Überzeugungen zu verankern. Da hätte die Auseinandersetzung mit der Beuys’schen Kunst doch ihren Stellenwert arg eingebüsst. Politische Sozialität und gestalterisches Schaffen sind eben nicht voneinander zu trennen.

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Die Liste der im Film gezeigten Werke ist dann erstaunlich vielfältig, und diese offenbaren doch wieder ihren Stellenwert für den Umbruch, der im Kunstverständnis der sechziger Jahre stattgefunden hat. Die gewiss oft rätselhaften Schöpfungen wurden auch die Grundlage für die soziale und politische Haltung von Beuys. Denn die Auseinandersetzungen um die Sinnhaftigkeit dieses Kunstwollens waren auch aufrührerisch, wie die Entfernung von Beuys aus der Düsseldorfer Akademie durch den Wissenschafts­minister von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, zeigt, der später immerhin als ein liberaler Bundespräsident gewertet wurde.

Die zögerliche Anerkennung von Beuys’ Bedeutung für die Kunst ist auch daran zu erkennen, dass erst 1979 Beuys als erster lebender europäischer Künstler im Guggenheim-Museum in New York ausstellen konnte und auch da noch Kommentare von Besuchern zu hören waren wie: «Wann wurde er aus der Anstalt entlassen?» Beuys: «Ist doch gar nicht schlimm, wenn die Leute aggressiv werden. Lass’ sie doch ruhig aggressiv werden. Da kommt man wenigstens mit den Leuten ins Gespräch. Das heisst, du musst es provozieren. Und Provokation heisst immer: Jetzt wird auf einmal etwas lebendig.»

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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