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The Handmaiden / Ah-ga-ssi

Park Chan-wook spielt virtuos mit Genres, Stilen und Zitaten. Ein sinnlich-geistreiches Vergnügen.

Text: Till Brockmann / 09. Mai 2017

Obwohl das koreanische Kino eines der produktivsten und erfolgreichsten des Fernen Ostens ist, und das nicht nur auf dem heimischen, sondern auch auf den Märkten der benachbarten Länder, wird es bei uns im Verhältnis zu seiner Bedeutung eher selten wahrgenommen. Vielleicht weil die koreanische Kultur nicht so vertraut ist, wie es vermeintlicherweise die des gegenüberliegenden Japans ist. So können Filmliebhaber immerhin ein paar vergangene und vielleicht sogar derzeitige Regiegrössen Japans aufzählen, und für alle anderen besitzt das Land darüber hinaus ein nettes Sammelsurium an exporttauglichen Kulturgütern, die zwar ganz unterschiedliche Kanäle der Begeisterung bedienen, doch so zumindest eine gefühlte Nähe herzustellen wissen: Zen, Manga, Sushi und Sudoku, um nur einige dieser Kulturprodukte zu nennen. Auch China (und mit ihm das dazugehörige Hongkong) gelingt es irgendwie, sich auf der mentalen und kulturellen Landkarte zu platzieren, und sei es nur wegen seiner schieren Grösse und furchteinflössenden wirtschaftlichen Macht. Nachdem volksrepublikanische oder auch taiwanische Filme in den Achtzigern und Neunzigern an westlichen Filmfestivals geradezu mit Preisen überschüttet wurden, gelingt es ihnen auch heute noch, regelmässig an den grossen Filmmessen oder sogar im westlichen Kinosaal präsent zu sein – so etwa die Filme von Zhang Yimou, dessen kommerzielle Protzproduktion The Great Wall Anfang Jahr in der Schweiz immerhin 40 000 Eintritte verzeichnet hat, aber auch Arthouse-Filme wie die von Jia Zhang-ke.

Doch das erfolgreiche und auch in Zahlen produktive koreanische Kino, das durchaus etwas zu bieten hat (sieht man mal von den lokalen, in Asien beliebten, aber hier wohl eher untauglichen sentimentalen Schluchz- und Liebesfilmen ab), schafft es nur ganz selten, dem westlichen Desinteresse zu entgehen. Neben Kim Ki-duk ist es in den vergangenen Jahren noch am besten Regisseur Park Chan-wook gelungen, dessen flamboyante, stilistisch und auch inhaltlich oft wirblige Filme auch bei uns auf Interesse stossen. Fast alle seine Filme liefen auf einem der grossen Festivals, Sympathy for Mr. Vengeance (2002), Lady Vengeance (2005) oder Stoker (2013) kamen in die Kinos oder sind zumindest auf dem DVD-Markt erhältlich, und Old Boy gilt bei vielen westlichen Fimliebhabern sogar als Kultfilm. Zu hoffen ist, dass auch der neuste Film von Park Chan-wook, The Handmaiden, in unseren Kinos einen zählbaren Erfolg ausweisen wird. Und das aus einem ganz simplen Grund: Er hätte es verdient!

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Der Film basiert, eher lose, auf dem Roman «Fingersmith» der walisischen Autorin Sarah Waters. Während Waters’ Vorlage im viktorianischen Grossbritannien angesiedelt ist, setzt Park seine Figuren in dem von den Japanern besetzten Korea der dreissiger Jahre ihrem Schicksal aus. Ein koreanischer Hochstapler, der sich als ein japanischer Graf Namens Fujiwara ausgibt, hat es auf die reiche Lady Hideko abgesehen. Er möchte die mental und körperlich fragil wirkende Frau heiraten, ihr beträchtliches Erbe an sich reissen, um sie danach in eine psychiatrische Klinik abzuschieben. Hideko wohnt im riesigen Anwesen ihres sehr vermögenden Onkels Kouzuki, einem gebildeten, jedoch brutal-herrischen Büchernarr, der ebenfalls mit dem Gedanken spielt, seine Nichte zu heiraten. Vorerst missbraucht er Lady Hideko aber vor allem dazu, als Vorleserin von erotischer Literatur bei regelmässig einberufenen Herrenabenden zu dienen, zu denen auch Graf Fujiwara eingeladen wird.

Um seinen Plan durchzusetzen und noch ­besser das Gefühlsleben von Lady Hideko steuern und überwachen zu können, sorgt der Graf dafür, dass die Taschendiebin Sook-hee bei ihr als Dienstmädchen eingestellt wird. Im Gegenzug verspricht er Sook-hee einen Teil des Schmucks von Lady Hideko. Der Plan scheint zunächst aufzugehen: Die Herrin schliesst Sook-hee sofort in ihr Herz. Doch auch das Dienstmädchen findet Gefallen an der schüchternen und des Lebens und Liebens so unkundigen Herrin. Sook-hee, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, behandelt sie immer mehr wie eine Puppe, eine Metapher, die auch in den Filmbildern genüsslich zelebriert wird. Irgendwann begibt sich die Geschichte in die in Literatur und Film klassische Konstellation, bei der die Rollen von Herr(in) und Diener(in) austauschbar werden. Mehr noch: Es schleicht sich eine immer hand- und zungenfestere erotische Beziehung zwischen den beiden Frauen ein.

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Sook-hee bekommt nun Gewissensbisse und beginnt, ihre heimlichen Verpflichtungen gegenüber Graf Fujiwara infrage zu stellen, versucht sogar, die geplante heimtückische Hochzeit zu verhindern. Fujiwara, der dieser Kehrtwende auf die Schliche gekommen ist, schafft es dennoch, Sook-hee zu nötigen, den abgesprochenen Plan durchzuführen: Schliesslich fahren alle drei nach Japan, Fujiwara heiratet Lady Hideko, und kurze Zeit später bringen er und ­Sook-hee die verstörte Frau in die Irrenanstalt. Und dort …

Spätestens jetzt habe ich mir wohl böse Ressentiments seitens aller Spoiler-Phobiker eingehandelt. Doch ganz zu Unrecht. Denn erstens habe ich den Verlauf der Geschichte nur bis zum Ende des ersten von drei Kapiteln erzählt und selbst dabei so manches der viel komplexeren Wendungen unterschlagen. Und zweitens: Ob diese Handlungsschilderung wirklich der Wahrheit entspricht, stellt infolge der Film selbst vehement infrage. Die verworrene, sich spiegelnde, dann wieder kehrende, verschiedene Erzählperspektiven, zeitliche Ebenen und Tonlagen einnehmende Geschichte von Betrug und Gegenbetrug ist in der Tat nur schwer in Worte zu fassen. Dennoch ist das spätestens seit Christopher Nolan im modernen Kino beliebte Vexierspiel mit sich verändernden Erzählwahrheiten hier – anders als bei vielen weniger gelungenen Würfen – erheblich mehr als ein selbstgefälliges Stilmittel. Dem mäandrierenden Aufbau gelingt es wirklich trefflich, mal Neugier und Spannung, mal die Figurenentwicklung, mal eine rein kinematische Ästhetik und mal die narrative Logik zu bedienen. Und selten hat es so Spass gemacht, einen Film nach dem Ende mental noch mal Revue passieren zu lassen; dabei kann man tatsächlich Neues entdecken.

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Park Chan-wook, der vor seiner Regielaufbahn auch Kritiker war, zeigt die ganze Breite seines filmischen Wissens und Könnens, denn so ein eklektisches Spiel von Stilformen und auch Zitaten kann auch kolossal danebengehen, zur eitlen, postmodernen Augenzwinkerei werden. Bei jeder zweiten Szene hat man tatsächlich das Gefühl, hier komme einem etwas bekannt vor: die Tradition der asiatischen Geisterfilme oder Fantasyfilme, Kurosawas Rashomon natürlich, die japanische roman-porno- oder pinku-eiga-Tradition oder die verrückt überladenen Werke des Hongkongers Tsui Hark, aber auch Dangerous Liaisons oder Les diaboliques oder vielleicht Hitchcock, Tarantino und Brian de Palma. Und ist es nicht auch eine typische Film-noir-Geschichte? Das alles mag stimmen, doch die von Park in mehr als zweieinhalb Stunden gegossene Legierung ist weit mehr als die Summe ihrer Teile. Sie bewahrt sich selbst in ihrer Heterogenität ein hohes Mass an Stringenz, Selbständigkeit und Originalität.

Sehr gewinnend sind da zum Beispiel der Schauplatz und das Dekor: So, wie die Geschichte mit westlichen und östlichen Versatzstücken operiert, besteht das Herrenhaus von Kouzuki aus einem westlichen, im viktorianischen Stil erbauten Flügel, wo so manche (britische) Geistergeschichte spielen könnte, und aus einem japanischen Trakt, einem schönen Pavillon, bei dem jedes Verschieben von Türen und Trennwänden neue An- und Einsichten ermöglicht. In einem Teil dominiert abendländische Opulenz in Form von Kommoden, Vitrinen und Bettüberwürfen, von Tapeten und schweren Gardinen, im anderen die schlichten Geometrien Japans. Und manchmal verbinden sich diese widersprüchlichen Ästhetiken sogar im selben Bild.

Auch die Kameraarbeit scheint sich nicht festlegen zu wollen. Manchmal sucht sie schöne, stabile Zentralperspektiven, doch dann schwebt sie geisterhaft-zügellos durch die Räume, wird zur im wahrsten Sinn des Wortes kinematischen Kamera, die ungebunden jede erdenkliche Position einnehmen kann. Auch hier sind die vielen Perspektivwechsel indes funktional an das Geschehen gebunden: Oft ist die Kamera so platziert, dass sie ein Wissensgefälle zwischen Zuschauer und Protagonisten produziert, dann zum Beispiel, wenn wir die Mimik einer abgewandten Figur erspähen, die als ihr Kommentar zum Geschehen gilt. Andere Male bindet uns der subjektive Kamerablick hingegen strikt an die (begrenzte) Sicht einer Hauptfigur. Und wie jedes andere Ausdrucksmittel in diesem Film führt uns die Kamera auch gern an der Nase herum. Wie die Geschichte von The Handmaiden auch eine über das Geschichtenerzählen an sich ist, wirken die Kameraeinstellungen wie eine Reflexion über das Bildermachen. Trotzdem geht bei all diesem formalen Wettrüsten das Inhaltliche nicht unter, wie es – der Vergleich mag seltsam klingen – bei den computergenerierten Bildgewittern vieler bombastischer Mainstreamfilme leider oft der Fall ist, die die Figuren als eher leblose Hüllen zurücklassen. Formsprache und Inhalt stehen bei Park Chan-wook in jenem Einklang, den gute Werke fordern.

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Und selbstverständlich lockt der Film auch mit seiner allgegenwärtigen Erotik. Auch hier geht es von leichten Anspielungen und Symbolsprache über Softpornografisches bis zu Sadomasoszenen. Das Geschlechterverhältnis, neudeutsch: die Genderpolitik, steht dabei stets im Fokus. Die Männer sind in ihrer Sexualität dabei oft grotesk unbeholfen, bedienen sich rücksichtslos ihrer Machtposition, die sich dann aber gar nicht als solche herausstellt. Und sie kastrieren sich gegenseitig, wie eine Sequenz gegen Schluss uns zu verstehen gibt. Demgegenüber erscheinen die (lesbisch orientierten) Frauen subversiv mit der eigenen Sexualität umzugehen. Allerdings läuft der Film hier Gefahr, Klischees zu bestätigen, die er eigentlich hinterfragen möchte. In einer Szene zerstören die beiden Frauen die Bibliothek des fiesen Onkels Kouzuki, darunter auch die erotische Literatur, die Lady Hideko zum Pläsier der Mannsbilder vorlesen musste: Hier und in ähnlichen Szenen wird dann eben doch eine klassische Gegenüberstellung inszeniert, in der alles Männliche mit der Rationalität, der Kultur und der gesellschaftlichen Macht korrespondiert, während die Frauen sich ganz auf das Gefühl verlassen, auf den eigenen Körper, das Animalische und die Intuition.

Doch zumindest in einem stehen Männlein und Weiblein bei The Handmaiden auf einer Stufe: Sie sind erfrischend niederträchtig und rücksichtslos.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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