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The Party

In ihrem achten Film lässt Sally Potter eine Gruppe langjähriger Freunde aufeinander los. Das Ergebnis ist erfrischend kurz und heftig. Und sehr lustig.

Text: Philipp Brunner / 25. Juli 2017

Es hätte ein schöner Abend werden sollen. Eben zur Gesundheitsministerin im Schattenkabinett der linksliberalen Opposition ernannt, lädt Janet ein paar Freunde zum unkomplizierten Nachtessen ein. Schliesslich soll man die Feste feiern, wie sie fallen. Doch bereits die Vorbereitungen sind kontaminiert von Hektik und Unbehagen: Beim Kochen wird die Gastgeberin immer wieder von anrufenden Gratulanten unterbrochen. Auf die meisten – die sich offensichtlich vorsorglich bei der künftigen Ministerin anbiedern wollen – reagiert sie bereits magistral diplomatisch. Derweil sitzt Ehemann Bill im Wohnzimmer, legt eine Jazzplatte nach der anderen auf und macht keine Anstalten, seiner Frau behilflich zu sein. Obschon der Akademiker seinerzeit bewusst auf einen Aufstieg verzichtet hat, um Janet zu unterstützen, ist seine Begeisterung über ihren Karriere­sprung nun mehr als moderat.

Die Gäste trudeln nach und nach ein: April, Janets beste Freundin, hat ihren deutschen Partner Gottfried im Schlepptau; Martha, in die Jahre gekommene Professorin, bringt ihre junge schwangere Freundin Jinny mit. Auch der Banker Tom erscheint – und zieht sich gleich reichlich ramponiert ins Bad zurück, um sich mit einer Linie Koks für den Abend zu wappnen. Es kommt, wie es kommen muss: Irritationen häufen sich, Spannungen nehmen zu, spitze Bemerkungen machen die Runde. Was als entspannte Dinnerparty gedacht war, entwickelt sich zu einem Abend, in dessen Verlauf mehr Geheimnisse gelüftet werden, als den Beteiligten lieb sein kann.

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Sally Potter, von der auch das Drehbuch stammt, fügt sich mit The Party in eine lange Reihe ähnlich gelagerter Filme ein: In Richard Brooks’ Cat on a Hot Tin Roof (1958) entlädt sich die Geburtstagsfeier von Big Daddy in einem emotionalen Unwetter. In Mike Nichols’ Who’s Afraid of Virginia Woolf? (1966) liefert sich ein Ehepaar vor den Augen der Nachbarn ein unbarmherziges Duell. In Thomas Vinterbergs Festen (1998) wird – ebenfalls während eines Geburtstags – ausgerechnet der Jubilar des sexuellen Missbrauchs überführt. Und in Roman Polanskis [art:carnage:Carnage] (2011) prallen zwei Elternpaare aufeinander, die sich weitaus kindischer benehmen als ihre Kinder. Manche der Filme tauschen die Wohnung gegen das Feriendomizil aus: In La piscine (Jacques Deray, 1969) belauern sich Romy Schneider, Alain Delon, Maurice Ronet und Jane Birkin an einem südfranzösischen Swimminpool. In Luca Guadagninos [art:bigger-splash:A Bigger Splash] (2015) taumelt das Quartett um Tilda Swinton, Matthias Schoenaerts, Dakota Johnson und Ralph Fiennes auf der Insel Pantelleria gefährlich nah am Abgrund.

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Sie alle gehen von der gleichen Grundkonstellation aus: Eine kleine Gruppe von Figuren begegnet sich auf begrenztem Raum. Die Ausgangslage bietet Gelegenheit, verschiedenste Personentypen miteinander zu konfrontieren und ihr Verhalten in Krisensituationen herauszuarbeiten: Verheilt geglaubte Wunden brechen auf, schwelende Konflikte flammen auf, uneingestandene Rivalitäten oder Verliebtheiten kommen an den Tag. Manche der Figuren schmoren im eigenen Saft, andere entwickeln sich rasch und heftig, wieder andere entdecken ungeahnte Tugenden, während einige zu Egoisten mutieren.

So treten auch in The Party unterschiedliche Charakterzüge hervor. Der Akademiker Bill, der mit glasig-leerem Blick im Sessel sitzt, wirkt eigenartig abwesend. Banker Tom zittert wie Espenlaub und weiss seiner Umgebung nicht das Geringste entgegen­zusetzen. Gottfried wiederum, der selbst ernannte New-Age-Guru, ist eigentlich nur zu ertragen, wenn er den Mund hält. Im Vergleich zu ihnen machen sich die Frauen schon einiges besser, auch wenn das noch lange nicht bedeutet, dass sie über jeden Zweifel erhaben sind. Die stramme Linksliberale Janet ist überzeugt, als Gesundheitsministerin die Probleme der Gesellschaft anpacken zu können; privat allerdings ist sie durchaus bereit, teure Privatkliniken den staatlichen Krankenhäusern vorzuziehen. Die werdenden Mütter Martha und Jinny wiederum sehen der Geburt ihrer Drillinge mit alarmierend unterschiedlichen Gefühlen ent­gegen. Aus der Reihe tanzt einzig April, Janets Freundin aus alten Tagen, die nach eigenem Bekunden schon so einige Phasen (auch politische) durchlaufen hat. Mit der abgeklärten Weisheit der Erfahrenen kommentiert sie das Verhalten ihrer Freunde, legt zielsicher den Finger auf jede Wunde. Ihre Analysen sind scharf wie Rasierklingen, und ihre Direktheit kennt keine Grenzen. Diese Frau teilt mit Wonne aus, lässt an nichts und niemandem ein gutes Haar.

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Die kammerspielhafte Ausgangslage und der begrenzte Schauplatz – Küche, Wohnzimmer, Bad – führen dazu, dass The Party zum eigentlichen Schauspielerfilm, das Setting zur Bühne für ein exzellentes Darstellerteam wird, das mit Lust bei der Sache ist. Timothy Spall verleiht dem alternden Professor eine dumpfe Aura der Entrücktheit. Bruno Ganz geniesst seinen faselnden Gottfried in vollen Zügen, während Cillian Murphy das pure Gegenteil jener Mischung aus Aggression und Verletzlichkeit vorlegt, die er in der Gangstersaga §Peaky Blinders perfektioniert hat. Cherry Jones und Emily Mortimer agieren behutsam die wachsende Panik aus, die Martha und Jinny angesichts des Kindersegens überkommt, und Kristin Scott Thomas ist gewohnt grossartig in ihrer vermeintlichen Zerbrechlichkeit. Das unbestrittene Highlight ist freilich Patricia Clarkson. Sie, die immer noch viel zu selten in Hauptrollen zu sehen ist, verkörpert April derart hinreissend, dass es eine helle Freude ist und man meinen könnte, ihre Sarah aus Six Feet Under (2003–2005) sei bestens erholt vom letzten Trip wiedergekehrt.

Dass sich Potter entschieden hat, in Schwarzweiss zu drehen, erweist sich als Vorteil. Alexey Rodionov, der 1992 bereits ihren Durchbruch Orlando fotografiert hatte, begründet es so: Gerade beim digitalen Drehen sei das Problem mit der Farbe, dass die Bilder zu lebensnah würden. Schwarzweiss dagegen mache es einfacher, sich auf das Geschehen, die Schauspieler und deren Gesichter zu konzentrieren.

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The Party dauert herrlich kurze siebzig Minuten und wurde in nur gerade zwei Wochen abgedreht – ironischerweise just zu dem Zeitpunkt, als im Juni 2016 die Briten über den Ausstieg aus der EU abstimmten. Ein schöner Zufall, nimmt Potter doch mit Gusto die urbane britische Upper-Class, Post-Post-Feministinnen und alteingesessene Linksintellektuelle aufs Korn. Sie habe das bittersüsse Lachen heraufbeschwören wollen, «wenn wir Zeuge werden, wie diese Gruppe von Menschen dramatisch daran scheitert, ihrer eigenen Parteilinie – what is morally right and politically left – zu folgen». Denn tatsächlich klaffen bei fast allen Theo­rie und Praxis deutlich auseinander. Nur die famose April scheint den Spagat geschafft zu haben, wenn auch wohl nicht mit fliegenden Fahnen, sondern eher mit einigen Schrammen und blauen Flecken. Das macht sie innerhalb der Gruppe zu einer Art Aussenseiterin. Zum Glück, denn dadurch wird sie zur Vermittlerin zwischen ihren Freunden und uns Zuschauern. Dank ihr können wir uns über die Unzulänglichkeiten jedes Einzelnen amüsieren – und uns zugleich in ihnen wiedererkennen. Das gelingt deshalb so gut, weil Aprils Kommentare nie zynisch sind, obschon es ihnen gewiss nicht an Schärfe mangelt. Stattdessen sind sie Ausdruck eines liebevollen Blicks auf die anderen und sich selbst. Das macht April letzten Endes zu einem herzensguten Kerl – dem einzigen an dieser Party weit und breit.

 

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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