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Walk With Me

Während uns das Konzept der Achtsamkeit geläufig ist, ist ihr Urheber, der zenbuddhistische Meister Thich Nhat Hanh noch weitgehend unbekannt. Mit ihrem Dokumentarfilm wollen dies Marc J. Francis und Max Pugh ändern. Ein Blick in eine andere Welt.

Text: Tereza Fischer / 10. Aug. 2017

«You know Yoda? He’s little bit like that», erklärt ein junger buddhistischer Mönch auf Tournee in den USA einer Gruppe von Gefängnisinsassinnen, wie sie sich seinen Meister vorstellen sollen. Auch wenn der 90-jährige Thich Nhat Hanh äusserlich durchaus ein bisschen an den Jedimeister aus Star Wars erinnert, so hat er mit Kampfkunst wenig zu tun. Während des Vietnamkriegs engagierte sich der buddhistische Mönch, versuchte jedoch dem Leid zu begegnen, ohne für eine der Konfliktparteien Partei zu ergreifen. 1966 musste er Vietnam verlassen. In Frankreich hat er in der Folge eine Kirche und danach ein Kloster gegründet. Thich Nhat Hanh ist bei uns als Lehrer und Schriftsteller noch wenig bekannt, seine Lehre der Achtsamkeit hat sich jedoch bis in die hintersten Ritzen der westlichen Medizin und Psychologie verbreitet und füllt in beliebigen Abwandlungen die Bücheregale der Ratgeberabteilungen.

Mit ihrem Dokumentarfilm wollen Marc J. Francis und Max Pugh nun den Begründer dieser Lehre dem breiten Publikum näherbringen. Es ist das erste Mal, das einem Filmteam erlaubt wurde, im südfranzösischen Kloster Plum Village den Alltag der Mönche und Nonnen zu filmen. Seit 1982 lehrt Thich Nhat Hann dort Achtsamkeit und bietet auch Normalsterblichen die Möglichkeit, während eines Retreats die Prinzipien der Meditation und Achtsamkeit zu erleben und mit ins weltliche Leben mitzunehmen. Alejandro González Iñárritu war in den letzten Jahren 21 Mal da, und deshalb rührt er auch fleissig die Werbetrommel für Walk With Me.

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Vier Jahre lang tauchten die Filmemacher in das Klosterleben und in die Lehre des Zenbuddhisten ein. Der Fokus von Francis und Pugh gilt dabei jedoch weniger dem Zenmeister selbst, der nach einem Schlaganfall nur noch wenig spricht, sondern dem Leben der Mönche und Nonnen. In einem ruhigen Rhythmus und ohne Erklärungen zeigen sie Rituale wie das Abrasieren der Haare, alltägliche Verrichtungen im Garten und in der Küche, die stillen, langsamen Spaziergänge von Thich Nhat Hanh und seinen Schüler. Und immer wieder werden die Handlungen beim Ertönen einer Glocke unterbrochen. Mitten in einem Konzert oder beim der Gartenarbeit lassen die Nonnen und Mönche, die Besucher alles stehen und liegen und versuchen sich einen Moment lang bewusst der Atmung, dem Hier und Jetzt zuzuwenden.

Während die Besucher des Plum Village eine Ruhe vorfinden, die aufgestaute Emotionen löst und so manchen beim gemeinsamen Gesang und der Meditation in Tränen ausbrechen lässt, haben die permanenten Bewohner sich darüber hinaus von materiellen Dingen befreit. Sie verzichten grösstenteils auf den Kontakt zu ihren Familien und auf das Ausleben ihrer Sexualität. Bei den jüngeren Mönchen kommt in manchen Szenen auch die Kehrseite des Verzichts und der Ruhe an die Oberfläche: die Langeweile.

Was wie ein wertfrei beobachtender Dokumentarfilm anmutet, ist ein bis ins letzte Detail komponiertes Werk. So hatte etwa der Geräuschmacher viel zu tun, um das Kloster auf der Klangebene eindringlich erlebbar zu machen. Thich Nhat Hanhs Person selbst bleibt im Film eher flüchtig, nur einmal hören wir ihn ein Mädchen, das um ihren kleinen Hund trauert, trösten. Stellvertretend für seine körperliche und stimmliche Präsenz lässt das Voice-over, das Benedict Cumberbatch mit seiner sonoren Stimme emphatisch ausfüllt, die Essenz von dieser zenbuddhistischen Philosophie erahnen.

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In einer eindrücklichen Szene zeigt sich, warum jemand in Plum Village eine Heimat findet kann. Auf der gemeinsamen Reise durch die USA besucht ein junger Mönch seine Eltern. Dabei blickt er zurück auf sein früheres Leben, insbesondere auf seine jugendlich verquere Weltsicht. In seinen Tagebüchern findet sich ein Plan für das perfekte Leben: Schule, Karriere, Familie und Kinder, Wohlstand, Glück und Erfolg. Ein erschreckend sinnleeres Leben ohne Hindernisse, ohne Leid hat sich dieser junger Mensch für sich ausgedacht und glücklicherweise gemerkt, dass dies nicht alles sein kann auf dieser Welt. «You can't avoid suffering, otherwise you have seen nothing», hat Thich Nhat Hanh aber schon in seinen frühen Tagebüchern geschrieben.

Dieser ruhige Film, der etwas gefällig daherkommt, weil er viele erreichen will, lässt einen verführerisch in sich ruhenden Gegenpol zu einer Welt aufscheinen, in der alle ständig rennen, ohne je anzukommen.

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