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Trading Paradise

Einen wesentlichen Teil des weltweiten Rohstoffhandels wickeln Schweizer Firmen ab. Sie bereichern sich auf Kosten unter­privile­gierter Länder. Daniel Schweizer macht das Problem nicht nur sichtbar, er interessiert sich auch für mögliche Lösungen.

Text: Lukas Stern / 19. Sep. 2017

Auf das Ich folgt das Du. Der Bogen, den Daniel Schweizers Dokumentarfilm spannt, lässt sich so beschreiben: Da ist ein dokumentarisches Subjekt, das von sich spricht und seinem Heimatland, und das dann später direkt angesprochen wird. Erst «Ich», dann «Du». Zu Beginn sehen wir durch die Windschutzscheibe eines Autos auf eine sich aus der Unschärfe schälende Autobahn, die durch verschneites Schweizer Bergland führt. Aus dem Off mischt sich eine Stimme ein und erklärt: «Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Mensch mehr Rohstoffe verbraucht als in der gesamten Menschheitsgeschichte. Die Schweiz, dieses kleine Land im Herzen Europas, ist innerhalb weniger Jahre zur Drehscheibe im internationalen Rohstoffhandel geworden – dabei war mein Land in keiner Weise dazu prädestiniert.»

Später im Film sehen wir eine ältere Dame indigener Abstammung in die Kamera sprechen. Sie ist die Mutter des Häuptlings des brasilianischen Dorfs Cateté. Die untere Hälfte ihres Gesichts ist mit einem breiten schwarzen Streifen bemalt, in ihren Ohrläppchen klaffen riesige Löcher. Sie erzählt von dem Land, in dem sie aufwuchs, davon, wie schön es einst war. In ihrer Stimme liegt grosser Zorn; sie spuckt auf den Boden. «Ihr seid zahlreich gekommen und habt uns eingekreist», sagt sie dann – mitten hinein in die Linse.

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Diese beiden Szenen sind entscheidend, um zu verstehen, mit welcher Art von dokumentarischem Anliegen sich Schweizer mit den Funktionsweisen des globalen Rohstoffhandels sowie den Praktiken der lokalen Rohstoffgewinnung auseinandersetzt. Sicherlich folgt der Film über weite Strecken einer, wenn man so will, klassischen investigativ-analytischen Ambition. Viele der Global Player im Rohstoffhandel (es handelt sich hierbei um Megakonzerne, die weit höhere Umsätze erzielen als Unternehmen wie etwa Nestlé) haben ihre Firmensitze aus steuerlichen Gründen in der Schweiz. Die Selbstdarstellung – sie beginnt bereits bei den architektonisch-verspielten Gebäudefassaden in unmittelbarere Nähe etwa zum Genfersee – überschlägt sich in der Glanzrhetorik vom eigenen Nachhaltigkeitsbewusstsein, von der Investitionsleistung oder der Schaffung von Arbeitsplätzen und Infra­strukturen in wirtschaftsschwachen Regionen des Planeten. Die Globalisierung macht sich schon allein in ihrer Rhetorik verdächtig. Selbstverständlich hat das weltweite Wirtschaftsgeschehen nur wenig mit Symmetrie und Behutsamkeit zu tun. Es fehlt an Transparenz, Umweltstandards werden missachtet, Gesundheitsrisiken in Kauf genommen, Entschädigungen verweigert. Bauern in unmittelbarer Nähe einer gigantischen Minenanlage in Sambia zeigen ihre verdorbene Ernte; Ärzte stellen bei Anwohnern Lungenleiden fest; Tiere sterben, Flüsse werden vergiftet, Landbesitzer enteignet.

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Trading Paradise lässt Mitarbeiter von NGOs zu Wort kommen, die Aktivistengruppe «The Yes Men» polemisiert über Handelsstrukturen, Politiker nehmen Verbraucher mit in die Verantwortung, Demons­tranten brüllen und trillern gegen Wirtschaftskongresse an, Bürger in Brasilien, Peru oder Sambia berichten vom Alltag im Umfeld der Bergbauminen. In erster Linie versucht der Film Sichtbarkeit – vielleicht auch zunächst nur: Hörbarkeit – zu schaffen. In grossem Massstab wird ein Globalisierungsbild entworfen, auf dessen Grundlage sich dann sinnvoll über Korrekturen und Fortschritte nachdenken lässt. In diesem Sinn hat Trading Paradise eine klare politische Agenda – nicht zwingend eine ideologisierte oder parteiliche, sondern vielmehr eine pragmatische: Wo liegen Probleme, wie lassen sie sich lösen?

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Zugleich aber – und das ist das interessantere Register von Trading Paradise, zumal damit der Film als Film selbst auf dem Spiel steht – zielt er auf eine ethische Konfrontation. Es geht dabei um das dokumentarische Ich, das im Verlauf des Films zum Du wird; darum, dass der Film in einem gewissen Sinn zur Umpositionierung gezwungen wird – dass das aufklärende, sichtbar machende Subjekt, das sich im Offkommentar preisgibt, zugleich usurpatorisches und damit verantwortliches Subjekt ist: ob als Verbraucher oder als Staatsbürger eines europäischen Landes oder als Globalisierungsprofiteur in zumindest strukturellem Sinn. Von einer investigativen Aussenposition aus schafft Trading Paradise so nicht nur Sichtbarkeiten, sondern führt vor, wie das kippende dokumentarische Subjekt des Films einer äusserlichen Struktur unterliegt, einer Struktur, die aus dem souveränen, weil sprechenden Ich ein angerufenes macht – einer Struktur, die man Verantwortung nennen kann.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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