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Toc 3

Taste of Cement

Ziad Kalthoums Dokumentarfilm über syrische Bauarbeiter in Beirut erzählt in eindrücklichen Geometrien und Analogien vom traurigen Ineinander von Aufbau und Zerstörung, von Krieg und Erinnerung.

Text: Dominic Schmid / 15. Jan. 2018

Eine filmisch-geometrische Symphonie aus Rechtecken, Rhomben und Dreiecken, geformt von Baugerüsten, Maschinen und Stahlstangen, meist vertikal orientiert, oft weitere Formen hinter sich rahmend; Bauarbeiter, die sich mit den Maschinen bewegen; Formen, die sich verschieben oder mutieren: ein Hochhaus, das immer weiter nach oben wächst. Die Arbeiter wirken souverän, ihr Handwerk gekonnt. Doch trotz aller Schönheit – der Aussicht, der Arbeit, der Bildkompositionen – liegt eine Spannung über den Bildern, die ihren Ursprung in den Gesichtern der Arbeiter zu haben scheint. Erst nach zwanzig Minuten Filmzeit sehen wir das Banner an der Baustelle, das die Bilder überhaupt erst richtig lesbar macht: Ab 19 Uhr gelte für alle syrischen Arbeiter Ausgangssperre. Zuwiderhandelnde würden bestraft. Eine Art Gefängnis sehen wir also, der schlimmsten Sorte noch dazu – nämlich eines ohne Türen und Wärter.

Toc 2

Das Hochhaus steht in Beirut, die Bauarbeiter sind Syrer, geflüchtet vor dem Krieg. Sie bauen in einem anderen Land neue Häuser, während die eigenen zerbombt werden. Die Baustelle zu verlassen, ist nicht erlaubt. Ihre Tage bestehen aus Arbeit, Essen, Schlafen, und wieder Arbeit. Dazwischen verfolgen sie auf kleinen Bildschirmen die Zerstörung ihrer Heimat.
Ohne jemals das ästhetische Register zu wechseln, wird aus einer filmischen Formstudie über die spezifischen Geometrien des Hochhausbaus in Beirut ein berührendes und tieftrauriges Dokument über Flucht und Gefangenschaft, über Krieg und ­Wiederaufbau – und darüber, dass diese Dinge ein und dasselbe sind. Nebst einem fiktiven poetischen Monolog eines unbekannten Arbeiters findet die Vermittlung der Informationen allein über die verschiedenen Geometrien statt, die der Film mittels Kameraeinstellungen, Schnitt und Ton kreiert oder einfach wiedergibt. Da ist die nicht ganz rautenförmige Öffnung im Erdgeschoss des Hochhauses, in der die Arbeiter morgens erscheinen und in der sie abends wieder verschwinden, um in den katakombenartigen Kellerräumen die Nacht zu verbringen. Da findet der in die Mitte des Bildes hinausragende Kranarm eine visuelle Entsprechung im Geschützrohr des Panzers, der da, wo gerade Krieg ist, die Häuser wieder zerstört. Und da sind immer wieder die von unfertigen Wänden gerahmten Aussichten auf die Stadt und das Meer, die in einer anderen Welt Freiheit verheissen. Ihr Gegenstück finden diese Aussichten auf den TV- und Handybildschirmen, mittels derer sich die Männer vom Krieg heimsuchen lassen. In extremen Nahaufnahmen spiegeln sich diese Bilder in ihren Augen; brennen sich nicht nur in ihre Seelen, sondern, dreifach gebrochen, auch in unsere.

Toc 1

Auch der Rhythmus von Taste of Cement selbst folgt gewissen Gesetzmässigkeiten. Gleicht die Be­­obachtung des Auf und Ab der Arbeiter am Hochhaus einem ruhigen Atmen, steigert dieses sich im Verlauf des Films zu einer Hyperventilation zwischen den verschiedenen Erfahrungsebenen: zwischen Baustelle und Krieg, Erinnerung und Wirklichkeit, Aufbau und Zerstörung, Leben und Tod. Dabei handelt es sich – dem Wachsen des Hochhauses zum Trotz – nie um eine Progression, sondern stets nur um Zyklen. Vor dreissig Jahren war es Beirut, das während des Libanon­kriegs zerstört wurde. In zehn Jahren werden es vielleicht die Flüchtenden eines weiteren Kriegs sein, die Syrien wiederaufbauen, während in deren Heimat alles zusammenfällt. Sisyphus’ Stein ist hier aus Zement geformt; auf dem Gipfel warten der Krieg und die Bomben. Jeder, der diesen erlebt hat, kenne den Geschmack von Zement. Er klebt an den Händen, auf der Zunge, auf der Seele. Eine Sequenz aus dem Krieg – eine Erinnerung? – ist nur schwer erträglich. Für einmal bewegt sich die Kamera horizontal, in ein zusammengestürztes Gebäude hinein, aus dem die wenigen Überlebenden befreit werden sollen. Der Zement, aus der geometrischen Form geraten, droht alles zu verschlingen – auch jene, die ihn in Form gegossen haben.

Die letzte Bewegung des Films ist eine noch nie dagewesene. Aus einem durch die Stadt fahrenden Betonmischer heraus zeigt die sich drehende Kamera ein gleichsam spiralförmiges Abbild der Stadt. Man kann etwas von der ewigen Wiederkehr des Gleichen in diese Bewegung hineinlesen. Oder sich endgültig der hypnotischen Traurigkeit dieses Films ergeben. Der Traurigkeit eines Hilferufs, der weiss, dass er nichts wirklich bewirken wird, selbst wenn er gehört werden sollte.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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