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Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm

«Schöne Wörter zusammensetzen gibt keine Kunst» (Bertolt Brecht)

Text: Martin Walder / 12. Dez. 2018

Brechts «Dreigroschenoper»: Welthit aus der späten Weimarer Republik. Ein Stück, ein Film, ein Roman – und ein Prozess auch noch. Moritatenschmaus in einem frechen «Milljöh»-Parcours, der demaskiert, wie ein kapitalistisches Weltgerüst von Bettlern und Bankern, Ganoven und Polizisten im Gleichgewicht bleibt. Auf Kosten von wem wohl? Noch immer lässt man sich’s gerne gefallen und übersieht durchaus nicht, wie die heutigen moralfreien Dealmaker aus Washington & Co. aus den Kulissen grinsen. Haifischzähne werden gebleckt und Messer versteckt, wie vom Gangster Macheath, den Elisabeth Hauptmann, Bert Brecht und Kurt Weill aus John Gays 200 Jahre alten satirischen Beggar’s Opera neu hatten auferstehen lassen.

Ein regelrechtes Dreigroschenfieber war da 1928 ausgebrochen, inklusive Merchandising, bevor es diesen Zweig der Werbeindustrie überhaupt gab. Aber natürlich haben die Zeitläufte die Gesellschaftskritik in der Gourmetfalle von Weills unsterblichen Songs längst zur Preziose der Unterhaltungsindustrie historisiert. Was ja keineswegs gegen sie spricht, und so solle «der Haifisch … wieder Zähne bekommen», hat sich der promovierte deutsche Brechtianer Joachim A. Lang, Autor, Filmemacher, Festivalleiter und Professor, gesagt. In Brechts Kampf um seine «Dreigroschenoper» fand er eine in der Tat interessante Ausgangslage vor, um die Aktualität des Stücks und die ästhetische Sprengkraft ihres Autors neu ins Scheinwerferlicht zu rücken.

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Das neue Massenmedium Tonfilm sollte sich nämlich den Publikumshit nicht entgehen lassen. Doch hatte sich Brechts Blick im Zeichen von Weltwirtschaftskrise und aufblühendem Nationalsozialismus politisch weiter geschärft, was mit den angeblich rein kommerziellen Interessen der Filmindustrie schwer in Deckung zu bringen war. Der Autor lieferte ein Exposé unter dem Titel «Die Beule», die Produktionsfirma Nero Film dagegen setzte im August 1930 ihren vertraglich vereinbarten (und bis heute cleveren!) Dreigroschenoper-Film durch, mit G. W. Pabst als Regisseur und der Crème de la Crème damaliger Bühnenstars. Der Autor strengte im Oktober einen Prozess an, um im Sinne eines «soziologischen Experiments», wie er sagte, die Interessen der Filmindustrie kenntlich zu machen. Was ihm auch gelang, indem er erwartungsgemäss verlor. Es wird also auch die Frage nach der Funktion und nach den Mitteln engagierter Kunst gestellt, die Brecht zeitlebens umtrieb. Aktuelles Interesse ist also gegeben.

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Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm beginnt mit dem Tag der Uraufführung vom 31. August 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm, wo alles drunter und drüber geht in der Hysterie der Menschenkunstmaschine Theater rund um die Premiere – genüsslich berichtet von den Brecht-Biografen oder in der Erinnerung des Theaterdirektors Ernst Josef Aufricht. Auch Joachim A. Langs Film will sich davon nichts entgehen lassen und serviert uns die Anekdoten quasi im Sekundentakt. Das nimmt man als einen dem chaotischen Ereignis adäquaten Einstieg ins Thema gut gelaunt noch hin. Dann aber gehts um den geplanten Film und um die Theorie. Der Berliner Schaubühnenstar Lars Eidinger thront mit Brecht-Brille, Brecht-Lederwams und Brecht-Zigarre lässig im Zwanzigerjahre-Kulissengewusel und doziert Spruchbänder am Laufmeter. Alles «100 Prozent Brecht, Brecht pur», verrät der Regisseur begeistert, und da runzeln wir doch mächtig die Stirn: Die Brecht-Pose, in der sich der Dichter ja sehr gefiel, erklärend als Film-Verfremdungseffekt? «Ein Film, der mit Sehgewohnheiten bricht» (Lang)? So mag es mit der durch Figuren und Kameraperspektive pausenlos niedergerissenen vierten Wand von Bühne respektive Leinwand gedacht gewesen sein – und erinnert leider bloss fatal an den Schulfunk vergangener Zeiten.

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Nicht genug damit, und darin läge das eigentliche Interesse an Langs Konzept: In der vorgeführten Diskussion um die Adaption soll zugleich erstmals jener Film, vom Eidinger-Brecht imaginiert, vor uns auf der Leinwand aufscheinen. Wir haben es also in einer Art Making-of mit Film im Film zu tun, und das Ganze wiederum serviert als Lehrstück und Oper in einem. Herausgekommen ist ein in den eiskalten Glasturmkulissen heutiger Bankenviertel endender Parforceritt durch Historie und Aktualität, penetrant choreografierte Glitzershow und Katheder, Stoff und Stoffproduktion, durch Überblendung von realen Protagonist_innen und ihren Rollen. Alles, alles will Experte Lang reinpacken: dokumentarische Schnipsel von damals, auch das notorische Frauengeklüngel um den Meister. Hilft nichts. Over-egged the pudding, es ist zu viel des Guten. Die Figuren bleiben als aufgemotzte Pappkameraden auf dem Set liegen. Und wir nach über zwei Stunden mit ihnen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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