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Three Faces

Jafar Panahi darf sein Land, den Iran, nicht verlassen und ist zudem mit einem Arbeitsverbot belegt. Trotzdem liefert er mit Three Faces einen seiner prägnantesten Filme.

Text: Patrick Straumann / 22. Dez. 2018

Ein Geländewagen mit zwei Passagieren verlässt Teheran, Ziel ist ein entlegenes Dorf in der türkischsprachigen Provinz des Irans. Geplant war die Reise nicht: Der Filmemacher am Steuer und seine Begleiterin, die Schauspielerin Behnaz Jafari, haben auf ihrem Smartphone Aufnahmen einer jungen Frau erhalten, die vor laufender Kamera ihren Suizid ankündigt und sich anschliessend das Leben nimmt. Grund für ihren Selbsttod sei die Weigerung ihrer Familie, sie eine Schauspielausbildung absolvieren zu lassen. Jafari, die als Serienstar grosse Popularität geniesst und im Video von der Selbstmörderin persönlich angesprochen wird, zweifelt an der Authentizität der Aufnahmen. Um sich Klarheit über das Schicksal dieser jungen Frau zu verschaffen, hat Jafari allerdings nicht gezögert, ihre aktuellen Dreharbeiten zu unterbrechen. Der Gesichtsausdruck des Fahrers neben ihr ist meist unergründlich, was vermutlich auf die unklaren Konturen seiner Figur zurückzuführen ist. Jafar Panahi firmiert nicht nur als Regisseur von Three Faces, er tritt auch, wie schon in Taxi Teheran, als dessen Hauptfigur auf, als Filmemacher mit seinem eigenen Namen.

Seine Erkundungsfahrt durch die entlegene Provinz, aber auch zahlreiche szenische Motive orientieren sich hier so deutlich an Abbas Kiarostamis Spätwerk, dass man Three Faces zunächst als Hommage an den 2016 verstorbenen Meister lesen muss: Das Thema des Suizids hatte auch die Dramaturgie von Kiarostamis Le goût de la cerise bestimmt, während der ironische Blick, den Panahis Kamera auf das Dorfleben richtet, an den magischen Realismus von Le vent nous emportera erinnert. Auch an Close Up scheint Three Faces anspielen zu wollen: Beide Filme vermessen die Grenzzonen zwischen Dokumentarfilm und Fiktion, und in beiden Produktionen sind es die Beschädigungen, die das Filmgewerbe anrichten kann, die den Inszenierungen ihren Takt verleihen.

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Ihr ganz eigenes Profil beziehen Panahis Filme jedoch in erster Linie aus der Schärfe seiner (sozialen) Beobachtungen. Dies mag auch die offene Feindseligkeit erklären, die die iranischen Behörden seinem Werk entgegenbringen: Im Gegensatz zu Kiarostami, der die Einflussnahme der Zensur als eine dialektische Kraft im kreativen Prozess betrachtete, hat Panahi seit 2010 Drehverbot und riskiert im Fall einer Reise ins Ausland ausgebürgert zu werden. In Three Faces manifestiert sich der Wille zu einer klaren Sicht allerdings weiterhin unvermindert: Gleich eingangs sehen wir, wie der Filmemacher sich das Gesicht wäscht und die Frontscheibe seines SUVs säubert, als misstraute er seinem eigenen Wahrnehmungsvermögen.

Die «Wirklichkeit», in die die Besucher_innen aus Teheran bei ihrer Ankunft im Dorf eintauchen, ist denn allerdings auch verblüffend komplex. Auf dem Friedhof begegnen sie etwa einer alten Frau, die sich lebend in das eigenhändig ausgehobene Grab gelegt hat (und nachts eine Gaslaterne anzündet, «um die Schlangen fernzuhalten»). Die am Strassenrand und im Teehaus versammelten Männer klagen über die mangelnde Gas- und Wasserversorgung und fiebern dem Ausgang von Jafaris Fernsehserie entgegen. Im Elternhaus der Selbstmörderin Marziyeh Rezaei tritt ihnen deren jüngerer Bruder entgegen, den die Vorstellung einer möglichen Emanzipation der Schwester in blinde Rage versetzt. Ziemlich genau in der Hälfte des Films taucht Marziyeh jedoch wieder auf und will ihren inszenierten Suizid als Hilferuf verstanden wissen. Ihr Täuschungsmanöver lässt sich als Hinweis dafür sehen, dass die soziale Ausgrenzung in der patriarchalischen Gesellschaft einem symbolischen Tod gleicht. In einer ebenso überraschenden wie eleganten Wende öffnet Panahi in der Folge jedoch die Brennweite seines Films und nimmt die soziale Position der Schauspielerinnen in den Blick, deren Karrieren unverhofft zum Zerrspiegel der iranischen Geschichte werden.

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Offensichtlich wird dies, nachdem Panahi am Ende neben Behnaz Jafari und Marziyeh eine dritte Actrice den fiktiven Raum seiner Inszenierung betreten lässt: Shahrzad, die unter dem Schah als Filmstar und Sängerin Karriere machen konnte, wurde nach der islamischen Revolution als Paria behandelt und hat sich seit geraumer Zeit in einer ärmlichen Behausung in der Nähe von Marziyehs Dorf niedergelassen, wo sie sich als Malerin und Dichterin über Wasser hält. Während ihr Behnaz Jafari und Marziyeh einen Besuch abstatten, wird Panahi sie nur aus der Ferne und flüchtig beim Pflanzengiessen zu Gesicht bekommen. Immerhin: Nachts, als das Haus in der Dunkelheit liegt und im Inneren das Licht angeht, zeichnen sich auf dem Vorhang drei Silhouetten ab, als ob sich die Frauen zumindest auf dieser improvisierten Leinwand zu einem gemeinsamen Auftritt vereinen könnten. In diesem ebenso überraschenden wie subtilen Querverweis auf die utopische Dimension des Kinos könnte man eine politische Geste erkennen, interessanterweise scheint sich Panahi jedoch vor allem für die komplexen Verhältnisse der Gegenwart zu interessieren: Der Virilitätskult der Dorfbevölkerung kommt zunächst indirekt, in der Faszination für ein verletztes Zuchttier zum Ausdruck, das die Strasse blockiert – später, als ein Mann Behnaz Jafari von der Beschneidung seines Sohnes erzählt, wird das Thema erneut und nun in persönlicherem Ton zur Sprache kommen. Dass im Dorf für Aussenstehende nicht alles auf Anhieb verständlich ist, wird wiederum in der Szene offensichtlich, in der ein Bauer den Besucher_innen aus Teheran das akustische Kommunikationssystem erklärt, mit dem der Verkehr auf der unübersichtlichen Bergstrasse geregelt wird.

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Kontrolle und Improvisation stellen die beiden Pole dar, die der Inszenierung ihre singuläre Form verleihen: Die Regieführung erstarrt weder im Konzeptuellen, noch scheint sie je an Stringenz zu verlieren. Die Entscheidung, die Erkundung der kulturellen und politischen Spannungsfelder in der Weite des Hinterlands, fernab der Hauptstadt, voranzutreiben, hat sich augenscheinlich bewährt. Three Faces ist zu Panahis prägnantester Arbeit seit langem geworden – der Zensur zum Trotz.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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