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Srbenka 1

Srbenka

Ein umstrittener Theaterregisseur mit seinen probelmatischen Methoden, bei der Arbeit beobachtet. Daraus entsteht auch ein Porträt Kroatiens, zerrissen zwischen Vergangenheitsbewältigung und neuem Nationalismus.

Text: Silvia Posavec / 05. Dez. 2018

Die Vergangenheit interessiere ihn nur so weit, wie sie sich auf die Gegenwart auswirke, betont der kroatische Dokumentarfilmer Nebojša Slijepčević. Die Vergangenheit, das ist in diesem Fall der Kroatienkrieg, und die Gegenwart ein Kroatien, in dem revisionistische Kräfte zum (Wieder-)Erstarken von Nationalismus und zu Fremdenfeindlichkeit beitragen. Slijepčević wagt sich mit seinem zweiten Film Srbenka auf diese konfliktbeladene politische Bühne, denn er will dem historischen Revisionismus etwas entgegensetzen. Er will die kroatischen Zuschauer_innen die Polarisierung der eigenen Gesellschaft vor Augen führen.

Im Zentrum von Srbenka stehen die Proben zum neuen Stück des Theaterregisseurs Oliver Frljić, der wie kein anderer Kulturschaffender in Kroatien polarisiert. Nicht selten finden Proteste vor den Theatern statt, in denen er seine Stücke aufführt. Im Stück «Alexandra Zec» von 2014, dessen Vorbereitungen Slijepčević filmisch begleitet, greift Frljić die wahre Geschichte eines zwölfjährigen serbischen Mädchens auf, das mit seiner Familie in Zagreb lebte und noch vor Kriegsbeginn gemeinsam mit ihren Eltern von kroatischen Milizen brutal hingerichtet wurde. Das Skandalöse an der Geschichte ist nicht nur die Tat, sondern die Tatsache, dass die fünf Mörder ihr Vorgehen detailliert gestanden haben und trotzdem freigesprochen wurden. Der Fall Zec beschäftigt die Gesellschaft bis heute.

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Slijepčević geht bei seinem Filmprojekt von der gewagten These aus, dass der Zwiespalt, indem sich das ganze Land befindet, sich im Kleinen in Frljićs Ensemble widerspiegelt. Er begleitet es von den ersten Gruppensitzungen und Recherchearbeiten bis zum Eröffnungsabend. Einen Grossteil filmt er während nervenaufreibender Proben, in denen die Beteiligten immer wieder im Spiel die letzten Stunden der jungen Alexandra durchleben. Das setzt Erinnerungsprozesse frei, die Frljić noch weiter anstachelt. Er bringt seine Schauspieler an ihre Grenzen. Um den Plot anzureichern, bedient er sich nicht nur der eigenen, sondern auch der Biografien seiner Darsteller_innen, lässt diese in das Stück und die Inszenierung einfliessen.

Diese beunruhigenden Vorgänge beobachtet Slijepčević oft, ohne die Kamera auf das Geschehen auf der Bühne zu richten. So gelingt es ihm, sich von Frljićs Inszenierung zu distanzieren und den Blick auf dahinterliegende Prozesse und innere Konflikte der Schauspieler zu richten. Wir hören etwa das Geschrei einer gewaltsamen Entführungsszene, sehen jedoch Frljićs gebannten, bald manischen Blick in Richtung Bühne. Diese Aufnahmen entblössen seine Lust an der Eskalation.

Immer wieder lenkt Slijepčević den Blick auf die Schauspieler neben der Bühne, wenn sie alleine in der Umkleidekabine in Gedanken versunken sind oder sich physisch und psychisch auf das, was kommt, vorbereiten. So hält er die individuellen Reflexionen über ihre eigenen Gewalt-, Kriegs- und Diskriminierungserfahrungen fest, die sonst nur sublimiert im Theaterstück vorkommen würden. Die Wut zum Beispiel, die einer lange Zeit allgemein auf Serben hegte, da er sie beschuldigte seine Kindheit zerstört zu haben. Der Schauspieler beschreibt, dass er sich in dem Moment, in dem er mit seiner Familie gezwungen war, vor den einrückenden Truppen der Jugoslawischen Volksarmee zu fliehen, seiner Nationalität bewusst wurde. Hier stösst der Regisseur zu einem Kernproblem vor: Es geht um Identität. Um Identitäten, die sich zum Teil erst durch die Erfahrung einer äusseren Aggression herausgebildet haben. Daraus erwächst jedoch eine Ambivalenz, denn aus der Opferrolle gibt es kein Entkommen, würde deren Aufgabe doch zur Dekonstruktion der eigenen Identität führen.

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Dreh- und Angelpunkt des Films bildet denn auch die Opfermetapher der Figur Alexandra Zec. Gleich zu Beginn des Films lernen wir eine junge Frau kennen, sie ist etwa in dem Alter, in dem Alexandra heute wäre. Auf der leeren Tribüne des Theaters wird sie von Slijepčević interviewt, ihr Name bleibt unbekannt und auch ihr Bezug zum Theaterstück. Doch bald wird klar, dass sie zur serbischen Minderheit in Kroatien gehört. Unter Tränen schildert sie, welchen verbalen und körperlichen Attacken sie in ihrer Kindheit ausgesetzt war, nur weil sie Serbin ist. Später wird Alexandra Zec von einer der Schauspielerinnen verkörpert. In Frljićs Inszenierung erlebt sie die Tatnacht – sie wird entführt, gefesselt, ermordet und begraben. Daraus hat es eine der wenigen Bühnenszenen in den Dokumentarfilm geschafft, sie zeigt die Darstellerin geknebelt und gefesselt auf einem Stuhl. Doch am wichtigsten für Srbenka ist die erst zwölfjährige Nina Batinić, die sich als Protagonistin des Films entpuppt. Sie ist eines von vier Mädchen, die mit Einverständnis der Eltern mitmachen und im Stück als Häschen verkleidet (Zec heisst auf Kroatisch Hase) die Figur der Alexandra zu ihren Gefühlen und Gedanken befragen. Die Mädchen sind während den Proben dabei und beobachten auch die teilweise brutalen Szenen auf der Bühne. Bald fällt Slijepčević unter ihnen Nina auf. Während die anderen Mädchen unbefangen scheinen, wirkt sie immer häufiger in sich gekehrt, traurig und unsicher. In einer beklemmenden Szene, die auch dem Film den Titel gibt, vertraut Nina dem Ensemble und den Regisseuren an, dass sie wie Alexandra Zec Serbin ist. Sie schildert, wie sie als siebenjährige ihre Mutter entsetzt fragte: «Mama, bin ich eine Srbenka?» Der Ausdruck, den sie verwendet, ist ihre eigene Wortschöpfung, denn sie kennt das richtige Wort für die Bezeichnung ihrer Nationalität nicht. Sie schafft ein neues Wort für etwas, was sie nicht verstehen kann und nicht glauben will.

Frljić verwendet, wie auch bei seinen erwachsenen Schauspieler_innen, die Geschichte des Mädchens für sein Theaterstück. Immer wieder kommt es zu heiklen Situationen, in denen er das Mädchen vorführt und bittet seine Nationalität offenzulegen. So drängt er sie zunehmend ins Abseits. Bis zum Ende des Films steigert sich Ninas innerer Kampf: Nach der Premiere folgt ihr die Handkamera in die Umkleidekabine. Wieder scheinen die anderen Mädchen vergnügt und erleichtert, während Nina es eilig hat hinauszukommen. Schnell läuft sie über das Treppenhaus hinaus auf die Strasse. Die Kamera ist ihr immer noch dicht an den Versen, bis sie schliesslich anfängt zu rennen. Indem sie davonläuft, nimmt Nina endgültig die Rolle des Opfers an. Das Ensemble, als Welt im Kleinen, reproduziert die Diskriminierung, die in Kroatien wieder blüht.

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Srbenka zeigt, dass es in Kroation auch viele Jahre nach Ende des Kriegs nicht egal ist, welcher Ethnie man angehört. Slijepčević führt ins Feld, dass sich in seinem Heimatland nicht nur ethnische Minderheiten diskriminiert und zunehmend systematisch ausgegrenzt fühlen. In seinen Augen ist die Botschaft seines Films auf andere diskriminierte Gruppen übertragbar. Doch kann man, angesichts der schwierigen Vergangenheit, die Diskriminierung von Serben in Kroatien tatsächlich so einfach mit anderen Opfergruppen gleichsetzten? Kolleg_innen aus der kroatischen Kulturszene scheint das problemlos zu gelingen. So bedauert etwa die Autorin Ivana Sajko in einem Artikel für «Zeit Online» das Unvermögen der Menschen in Kroatien, in dem Opfer Alexandra auch die im Krieg gefallen kroatischen Kinder zu erkennen. Sie selbst geht einen Schritt weiter und identifiziert sich am Ende ihres emotionalen Lageberichts mit der fliehenden Nina, da sie sich selbst gezwungen sah, ins intellektuelle Exil nach Berlin zu gehen. In der Tat verlassen viele junge Kroat_innen ihre Heimat, doch meistens ist die schlechte ökonomische Lage und weniger die zunehmende nationalistisch-konservative Stimmung im Land der Grund.

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Srbenka feierte grosse Erfolge an Filmfestivals. Beim Filmfestival Vision du Réel Nyon erhielt er die Auszeichung «Buyens-Chagoll», die an Arbeiten verliehen wird, welche an eine humanistische Tradition anknüpfen und vom der Jury als Zukunftsweisen angesehen werden. Lob auf so hohem Niveau könnte auch ein Grund dafür sein, weshalb die Kritiken in Kroatien recht leise ausfallen. Slijepčević hatte deutlich gemacht, dass er auf alles gefasst sei und aber davon ausginge, dass die meisten seiner einheimischen Kritiker seinen Film gar nicht erst sehen würden. In der Tat ist es nicht einfach den Film in Kroatien zu Gesicht zu bekommen und etwas über ihn zu erfahren. Die Medien lassen sich auf die Kontroverse des Films nicht wirklich ein.

Frljić und Slijepčević sind Autoren einer ambitionierten jüngeren Generation in Kroatien. Im Rahmen neuer dokumentarischer Formen und im Kontext des postdramatischen Theaters finden sie problemlos Platz im europäischen Diskurs. Vielleicht muss man es als eine Form ideologischer Entwicklungsarbeit verstehen, wenn politisch ambitionierte Filme, die im Ursprungsland kein Publikum finden, internationale Preise gewinnen. Die Frage bleibt aber, wie kann man einen Film machen, der die Polarisierung offenlegt und eine Chance hat, von einem breiten Publikum gesehen zu werden.

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