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Les gardiennes 5

Les gardiennes

Zu schön, um wahr zu sein. Xavier Beauvois möchte eine Geschichte über den Ersten Weltkrieg erzählen und darüber, wie die Frauen jene Lücke schliessen mussten, die die Männer hinterliessen. Beides gelingt ihm nicht.

Text: Philipp Brunner / 14. Mär. 2018

Manchmal ist an einem Film nicht die Handlung das eigentliche Problem, sondern die Art und Weise, wie sie umgesetzt wird. Im Zentrum der Geschichte von Les gardiennes steht die verwitwete Hortense, die einen stattlichen Bauernhof führt. Die Zeiten sind hart, denn die Männer fehlen, die in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs sind: die Söhne Constant und Georges genauso wie der Schwiegersohn Clovis. Und so blei­ben nur Tochter Solange und die jugendliche ­Marguerite, um bei der Bewirtschaftung des Hofs zu helfen. Um besser über die Runden zu kommen, stellt Hortense die verwaiste Francine als Magd an, die sich als ebenso dankbar wie fleissig erweist. Für eine Weile scheint alles in geregelte Bahnen zu kommen. Doch dann stirbt Constant «auf dem Feld der Ehre», Clovis wiederum gerät in Gefangenschaft. Und als wäre das nicht genug, verliebt sich Georges während seines Fronturlaubs in Francine, während sich Solange mit einem amerikanischen Soldaten einlässt. Um Haus und Hof zu beschützen und dem Gerede im Dorf ein Ende zu bereiten, greift Hortense zu einer Lüge: Das moralische Fehlverhalten der Tochter schiebt sie der Magd in die Schuhe und jagt sie vom Hof – im Wissen, dass sie damit einen Fehler begeht, der nicht wiedergutzumachen ist.

Les gardiennes 2

Dieses Handlungsgerüst hätte sich ohne weiteres dazu geeignet, der Frage nachzugehen, wie sich die Bedingungen des Kriegs auf das Leben der Frauen auswirken. Doch der Film misslingt aus einer ganzen Reihe von Gründen. Für die Bildgestaltung hat sich Beauvois auf seine angestammte Kamerafrau Caroline Champetier verlassen, mit der er seit N’oublie pas que tu vas mourir (1995) in jedem seiner Filme zusammengearbeitet hat. Sie liefert ihm für Les gardiennes Bilder von ausgesuchter Schönheit, führt ihre Kamera betont ruhig und setzt immer wieder auf unbewegte Einstellungen, deren Kompositionen geradezu makellos sind. Auch ihre Beleuchtung ist erlesen, mal zaubert sie kostbare Chiaroscuro-Effekte, dann wieder giesst sie goldfarbenes Licht warm und schmeichelnd über die ganze Szenerie. Nicht nur die exquisite Ausstattung, auch die Stofflichkeit der Kostüme scheint durch ­Champetiers Arbeit schier mit Händen greifbar. Dazu passt eine Tonspur, auf der in den langen Phasen, in denen die Figuren schweigend ihrer Arbeit nachgehen, die Geräusche wie durch eine akustische Lupe vergrössert sind: das Knarren der Fuhrwerke, das hohle Scherbeln frisch gefertigter Kohle, das Rauschen des reifen Korns im Wind, das Knirschen der Schuhe im Kies.

Les gardiennes 4

Doch die geschmackvollen Bilder und Töne gleiten ins Geschmäcklerische ab und sind dem Thema des Films – bäuerliches Leben und weibliche Erfahrungshorizonte unter den Bedingungen des Kriegs – eigenartig unangemessen. Zu schön ist alles herausgeputzt, zu sehr sind Ausstattung und Kostüme Ton in Ton gehalten: Die weissen Leinenblusen der Frauen sind nie anders als frisch gewaschen, kein einziger Schweisstropfen rinnt in diesem Film, auch nicht während der wiederholten Ernteszenen, die wie ein pastorales Idyll daherkommen. Überhaupt beginnen sich die ostentative Ruhe der Bilder und das absichtsvolle Largo der Montage störend auszuwirken. Auf- und Abtritte der Figuren wirken zunehmend theaterhaft, Dialog­zeilen klingen hölzern deklamiert, und längst nicht alle Darsteller_innen scheinen sich in ihren Rollen wohlzufühlen. Das gilt besonders für die grosse Nathalie Baye, die zum dritten Mal mit Beauvois zusammenarbeitet. Als wortkarge Matriarchin Hortense vermag sie zwar zu überzeugen, doch als Bäuerin agiert sie auffallend ungelenk. Ein paar unverzeihliche Fehler im Drehbuch und die süssliche Musik tun ein Übriges, sodass sich Les gardiennes mehr und mehr als Staffage entpuppt, die zweifellos schön anzuschauen ist, aber nur sehr bedingt an das herankommt, was sie zu sein vorgibt.

Les gardiennes 1

In der Darstellung der bäuerlichen Existenz erreicht der Film weder den herben Realismus von Francis Lees Debüt God’s Own Country noch kann er die Macht des Krieges so spürbar machen, wie dies Philippe Van Leeuw in seinem letztjährigem Insyriated gelang. Der Krieg bleibt bei Beauvois eine leere Behauptung. Als Charakterstudie der Matriarchin Hortense bleibt der Film schliesslich auf halbem Weg stehen, und für ein Melodram lässt er die Emotionen von Figuren und Zuschauer_innen auf zu kleiner und unpräziser Flamme köcheln. So ist Les gardiennes am Ende wohl vor allem eines geworden: ein preziöses Kriegsdrama.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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