I Am Not a Witch

Rungano Nyoni
Die neunjährige Shula wird zur Hexe erklärt und als Sklavin ausgebeutet. Eine semi-dokumentarische Parabel über die Macht des Aberglaubens und die Mechanismen der Manipulation.
In Sambia werden heute noch Hexenproben durchgeführt. Sie funktionieren etwas anders als bei uns im Mittelalter: Man köpft ein Huhn und stellt es in einen kleinen weissen Kreis. Stirbt es innerhalb des Kreises, handelt es sich bei der Verdächtigten nicht um eine Hexe. Aber leider rennen ja die Hühner noch herum, wenn man sie köpft, was die Chance, freigesprochen zu werden, drastisch verringert. Derart einfach wird man zur Hexe – zumindest in Rungano Nyonis Film über ihr Heimatland Sambia.
So ergeht es auch der neunjährigen Waisen, die von den anderen Hexen später auf den Namen Shula, die Entwurzelte, getauft wird. Das kleine Mädchen hatte das Pech, dass ihr eine Dorfbewohnerin, die gestrauchelt ist und einen Wasserkanister ausgeleert hat, die Schuld dafür gibt. Sie habe sie angestarrt und verhext. Ein betrunkener «Zeuge», bringt zusätzlich seinen Traum von einem abgehackten Arm als Beweis vor. Das genügt.

Der immer noch starke Aberglaube in Sambia hat Rungano Nyoni, die in Wales studierte, zu ihrem Erstling inspiriert. Bewundernswert an diesem Debüt ist vor allem der Mut, mit dem sie verschiedene Tonarten mischt: So ist I Am Not a Witch sowohl Sozialsatire, feministische Kritik als auch surrealistisches Porträt des ländlichen Sambia.
Die Reise in dieses reale Fantasieland beginnt in einem Touristenbus zu den Klängen von Vivaldis «Vier Jahreszeiten». Das Ziel ist ein Hexencamp. Mit weiss angemalten Gesichtern sitzen meist ältere Frauen am Boden, am Rücken hat man sie mit einem weissen Band angebunden, das jeweils auf einer riesigen Holzspule aufgewickelt ist. Wofür die Bänder seien, fragt ein Tourist. «Damit die Hexen nicht davonfliegen!» Ansonsten seien sie harmlos.

Auch Shula landet in diesem Hexencamp, um das sich Mr. Banda, ein lokaler Regierungsbeamter, kümmert. Er gibt sich als Wohltäter, wenn er den Hexen etwa viel längere Bänder besorgt, die mehr Bewegungsfreiheit bieten. Allerdings tut er das nur, damit sie besser für ihn auf dem Feld arbeiten können. Er lässt Shula ein Band anlegen und ihr ein Tattoo auf die Stirn ritzen und stellt sie dann vor die Wahl, das Band in der ersten Nacht zu behalten oder es durchzuschneiden und sich in eine Ziege zu verwandeln. Obwohl sich Shula nie äussert, ob sie eine Hexe sei, ist die Wahl gar keine: Denn alle, auch die Frauen selbst, haben den Aberglauben verinnerlicht. So behält auch Shula ihr Band, das mit der schweren Holzspule verbunden ist – eine grosse Last für ihre schmalen Schultern.
Weil die Feldarbeit für sie zu anstrengend ist, wird Shula von Mr. Banda dazu missbraucht, Verbrechen «aufzuklären». Aus den ihr vorgeführten Angestellten eines Hotels oder einer Plantage soll sie dank ihrer angeblichen übernatürlichen Kräfte die Diebe identifizieren. Zur Belohnung nimmt sie Mr. Banda mit nach Hause zu seiner Ehefrau. Auch sie war eine Hexe, lebt nun aber als feine Dame. Die Aussicht auf einen solchen sozialen Aufstieg könnte durchaus Hoffnung vermitteln, doch Shula muss bald merken, dass man das Stigma, die Spule mit dem weissen Band, nie mehr loswird. Auch Bandas Frau muss sie ausserhalb des Hauses mit sich führen. Fortan erzählt Rungano Nyoni elliptisch auf ein tragisches (auch etwas abruptes) Ende hin.

Nyoni hat mit Laien gearbeitet. Ihre demokratische Idee, die Hexendarstellerinnen aus möglichst vielen verschiedenen Stämmen zu rekrutieren, hat auf dem Set oft zu chaotischen Situationen geführt. Plötzlich war sie nicht mehr die einzige Regisseurin, denn die Übersetzer_innen für die fünf verschiedenen Stammessprachen interpretierten ihre Anweisungen teilweise so unterschiedlich, dass, nachdem sie «Action!» gerufen hatte, jede Hexe etwas anderes tat. Die kleine Maggie Mulubwa jedoch erwies sich als Glücksfall für den Film: Mit reduziertem mimischem Spiel gibt sie Shula als erschrecktes Kind, das umringt von manipulierenden Erwachsenen oft nur noch versteinert ausharren kann. In den wenigen Augenblicken, in denen ihr Gesicht erstrahlt, hört sie aus der Ferne dem Schulunterricht zu und darf für kurze Zeit selbst dorthin. Doch am Ende siegt der Aberglaube über das Recht auf Schulbildung. Ob das Schlussbild Hoffnung darstellt, bleibt offen: An den Spulen flattern zwar abgeschnittene Bänder im Wind, doch aus der Ferne ist das Meckern von Ziegen zu hören.

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