African Mirror

Mischa Hedinger
Schönheit war für den selbst ernannten Afrikaexperten René Gardi nicht Erkenntnis, sondern Fetischismus. Mischa Hedinger nähert sich Gardis Bildern in einem Essayfilm, der darauf hofft, dass sich der exotistische Blick selbst desavouiert.
In seinem «Traumland Afrika» filmte der zu Lebzeiten in der Schweiz populäre Reisejournalist René Gardi (1909–2000) «Singsang, allerlei Zauber, Blutopfer» und prägte damit wesentlich das Afrikabild der Eidgenossen. Aus Gardis Nachlass kompiliert Mischa Hedinger den Dokumentarfilm African Mirror und nutzt dessen Film-, Ton- und Textdokumente, der grösste Teil davon unveröffentlicht. Dabei enthält sich Hedinger jeglichen Kommentars. Vielmehr bietet er dem «Inbegriff des sympathischen Reiseschriftstellers» Raum, sich selbst und seine Konstruktionen europäischer Überlegenheit zu demaskieren: Mit bestürzender verbaler Verharmlosung redet Gardi sich immer nur mehr hinein – reproduziert simplifizierende Klischees vom weissen Retter ohne konkreten Verweis auf die Brutalität der Kolonialmacht, spricht Schwarzen eine höhere Erkenntnisform ab, die sie zu Berufen mit hohem sozialen Prestige und demokratischen Freiheiten privilegieren würde.
Die «Matakam» – eine abwertende Fremdbezeichnung, die hauptsächlich die Volksgruppe der «Mafa» bezeichnet – sind René Gardi entweder «edle Wilde» oder «trotzige, halbwüchsige Kinder». Er träumt davon, «wie schön es wäre, wenn man rings um das ganze Mandera-Land einen hohen Zaun bauen könnte, wenn es gelänge, alles Böse, alles Überflüssige, was aus Europa kommt, fernzuhalten. Wenn man die Matakam einfach einsperrte.» Später konkretisiert Gardi den schädlichen Einfluss aus Europa: «Alle diese Märkte sind mit dem gleichen europäischen Kitsch und Tand überschwemmt. Von irgendeinem afrikanischen Handwerk ist nirgends mehr eine Spur. Man verführt die Käufer mit glitzerndem Ramsch und schafft ständig künstlich neue Bedürfnisse.» Mit der «unstillbaren Sehnsucht nach dem Unberührten» verbindet sich bei Gardi eine konsumkritische Kontaminationsphobie.

Mittels seiner Aufnahmen entwirft der selbst ernannte Afrikaexperte Gardi eine reaktionäre, zutiefst konservative Utopie: Keinerlei Bilder von Verschmutzung, Krankheit und Armut sind zu sehen, sondern die Fiktion eines makellosen, von einer Apotheose der Reinheit geprägten Arkadiens. In seinem Gegenentwurf zur westlichen Konsumkultur ist keine Irritation zugelassen: Anstelle von Schlüsselkindern und Autoritätskrisen gibt es hier nur unberührte Natur und traditionelles Handwerk. Auffallend häufig benutzt Gardi besitzanzeigende Possessivpronomen: «mein afrikanisches Traumland», «mein Mandera-Land», «mein schwarzes Arkadien». Gardis verbales Schwärmen über und seine Blicke auf nackte, mit Schweissperlen überströmte Körper werden von einer (Selbst-)Enthüllung mitten im Film überlagert: Wegen «unsittlicher Handlungen» mit Schülern hatte er 1944 in Bern einen Suizidversuch unternommen.
Schönheit ist bei Gardi nicht Erfahrung, sondern Pose, nicht Erkenntnis, sondern Fetischismus. Er filmt die Menschen in Kamerun so, dass sie als ein stilisiertes Arrangement erscheinen, und verteidigt inszenatorische Eingriffe im Dokumentarfilm: Wasserkrüge tragenden Frauen steckt er ein «Fünfernötli» zu, um «in Ruhe» filmen zu können, für eine gestellte Heiratsszene schreibt er ein Szenario, castet Filmstars, kauft Ziegen und Hühner, beharrt wegen imposanterer Bildeffekte darauf, dass die Braut für acht statt drei Ziegen eingetauscht wird. Die Menschen vor der Kamera kommen dabei nicht zu Wort und werden durch Gardis jovial veronkelte Voice-over so verkitscht und entindividualisiert, dass sie nicht mehr sind als sprach- und namenlose Repräsentant_innen einer be- und entwerteten Ethnie.

Erst als Gardi durch den «Quelle»-Tourismus – nicht unerheblich durch seine eigenen, zweifelhaft verbrämten Berichte befeuert – sein Bildmonopol zu verlieren droht, findet er das Geknipse und Getue der europäischen Urlauber lächerlich und kritisiert deren dramatische Akzentuierungen und inszenatorische Eingriffe. In dem Schwall an grossonkelhaftem Gerede blitzen momenthaft luzide Gedanken auf: «Im Grunde genommen projiziert man nur sein Inneres hinaus; und die Aussenwelt reflektiert es wieder zurück.» Mittels geschickter Montage entlarvt Hedingers Film Gardis Bild- und Tonproduktion als ein Herrschaftsinstrument des Kolonialismus, zeigt, dass Geschichte macht, wer über rechtliche und technologische Möglichkeiten verfügt, Bilder und Töne herzustellen. Genau deshalb sind Gardis Aufnahmen nicht unschuldig. Sie sind kein Abbild von dem, was war.
Gardis Mandara – Zauber der schwarzen Wildnis lief 1960 im Wettbewerb der Berlinale und erhielt dort eine lobende Erwähnung. Mit Verweis auf gravierende Defizite im Kommentartext verweigerte hingegen die deutsche Bewertungsstelle Gardis wohl bekanntestem Dokumentarfilm ein Prädikat: «Der Text ist geschwollen, phrasenhaft und von einer pausenlosen Geschwätzigkeit, die dazu angetan ist, das Bild förmlich zu Tode zu reden.» Auch in Hedingers Kompilationsfilm legt sich Gardis Voice-over penetrant auf die Bilder.
Die starke Fokussierung auf Gardi birgt nicht nur die Gefahr, die Bilder zu zerreden, sondern auch die, seine Sprache und Sichtweise zu reproduzieren. Zwar diskursiviert der Film die Figur Gardis durch Beschreibungen in Zeitungen, Leserbriefen und Zensurstellen und hinterfragt so Entstehungskontext, Distributions- und Rezeptionsformen. Trotz allem bleibt er monofokal auf Gardi zentriert und perpetuiert die von ihm angenommene kulturelle Hegemonie. Der koloniale Blick, den René Gardi auf Kamerun projiziert, wird zwar freigelegt, aber nicht effektiv durch andere Stimmen gebrochen. Erneut bleiben die Kameruner_innen stumm. Ihnen wird keine selbstermächtigende Möglichkeit geboten, neue Perspektiven auf das problematische Bildmaterial zu eröffnen.

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