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Peter Lindbergh – Women’s Stories

Ein Porträtfilm, der sich alle Mühe gibt, seinen Protagonisten in ein tiefenpsychologisches Erklärungskorsett zu sperren – und der dem mysteriösen Wesen in seinem Zentrum trotzdem bis zum Schluss nicht wirklich nahekommt.

Text: Tereza Fischer / 05. Aug. 2019

Wo bleibt sie denn? Naomi Campbell, das Supermodel, kommt bei einem Shooting irgendwo in Südfrankreich im Jahr 2000 zu spät, und dann ziert sie sich auch noch, will nicht tun, was man von ihr verlangt. «Wie haben mich die Leute ausgehalten?», fragt die heute fast Fünfzigjährige angesichts dieser alten Aufnahmen aus dem Off. In dieser Szene in Peter Lindbergh – Women’s Stories, einer der wenigen, die sich Zeit lassen, die Arbeit des Protagonisten zu beobachten, will Campbell partout nicht in den Pool steigen, sie könne nicht schwimmen. Der Fotograf aber kennt sie schon lange und weiss seinen Charme gegen ihre kindische Sturheit einzusetzen, lässt ein paar Witze fallen, nimmt sie ein bisschen ernst, aber nur so weit, dass sie nicht beleidigt davonstampft. Am Ende steht sie doch bis zum Hals im Wasser, lacht in die Kamera, und Peter Lindbergh bekommt, was er von Anfang an wollte: ein bezauberndes Lachen, das die Aufnahme eines Colliers auf dunkler nasser Haut zu einem Ereignis macht.

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Es ist eine bemerkenswerte Szene, die viel über die Art offenbart, wie einer der bekanntesten Modefotografen die Menschen, meist Frauen, mit seiner Kamera natürlich und doch elegant, authentisch und doch unnahbar einfängt. Der 1944 als Peter Brodbeck geborene Deutsche und Wahlfranzose hat in den Neunzigerjahren die Ära der Supermodels mitgeprägt. Seine Fotografien waren schon seit den Achtzigerjahren bei den wichtigsten internationalen Modezeitschriften gefragt, weil sie erfrischend anders waren mit ihren ungewohnt dreckigen Kulissen und gewagten Inszenierungen von Weiblichkeit: als Travestie, als Tanz, als Schauspiel, als Protest oder als Invasion von Ausserirdischen. Kulissen waren Stahlfabriken, Kohlebergwerke, Ruinen, Wracks, verregnete Strände und heruntergekommene Häuser und Hinterhöfe. Die Models stehen darin nie einfach nur herum, vielmehr spielen sie eine Rolle wie in einem Film. Der Fotograf erzählt Geschichten und zeichnet dafür Storyboards. Sowohl Lindbergh als auch die Models sind ständig in Bewegung. Mit dem Klicken des Auslösers und einer atemlosen Montage vermittelt sich in Peter Lindbergh – Women’s Stories die Lebensfreude und überschiessende Energie des Fotografen. Er rennt vor den Models her in den Stras­sen, tänzelt um magersüchtig wirkende Tänzerinnen herum und zeigt sich immer sehr begeistert von dem, was sich vor der Kamera abspielt. Kein Wunder, dass ihm die Models ergeben sind und stundenlange Shootings, Regen und Kälte über sich ergehen lassen. Er gibt ihnen das Gefühl, elementarer Teil des kreativen Prozesses zu sein.

Jean Michel Vecchiet (Basquiat, Une vie) versucht bei diesem wortkargen Künstler in die Tiefe vorzustossen. Seit 1997 filmt er Lindbergh immer wieder, stellt Fragen und bekommt keine Antworten. Er ist frustriert, aber beobachtet geduldig. Im Film dominiert weniger die Geduld als vielmehr ein überschiessender Aktivismus und eine Erklärungswut, denn Vecchiet will das Autobiografische, das seiner Meinung nach in jedem Kunstwerk steckt, aufdecken, dahinterkommen, wie und vor allem warum jemand Künstler wird. Damit zwingt er sein Subjekt in ein tiefenpsychologisches Erklärungskorsett.

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Was ihm der Protagonist nicht verraten will, lässt er die Frauen in Lindberghs Leben erzählen: Freundinnen, Geliebte, Auftraggeberinnen und die Schwester. Die «Women’s Stories» sollen es richten. Es sind in erster Linie Erzählungen der Schwester aus Lindberghs Kindheit, die Vecchiet faszinieren. Diese unterlegt er mit einem Feuerwerk aus Archivmaterial, aufdringlichen Soundeffekten und mehrheitlich klischierten Musikstücken. Er geht chronologisch vor, von der Kindheit im Ruhrgebiet über die Studienzeit in Düsseldorf zum Entschluss, dank Modefotografie berühmt zu werden und in der Modemetropole Paris seine neue Heimat zu suchen.

Immer wieder montiert Vecchiet Archivbilder des Kohleabbaus, des Zweiten Weltkriegs oder der Studentenunruhen in Lindberghs Fotoserien hinein. So kommen sie als Gleichungen, als direkte Erklärungen für die Inspiration daher: etwa die Bistrostühle des Konzeptkünstlers Joseph Kosuth, die in vielen Fotografien Lindberghs wiederauftauchen. Diese simple Orientierung am Werk eines anderen Künstlers verschiebt sich jedoch zu einer fragwürdigen und aus­ufernden Analyse des Unbewussten. Dieses möchte Vecchiet nicht nur durch die ausführliche Erzählung des Lebens von Lindberghs Mutter bergen, er will auch auf unser Unbewusstes einwirken: Immer wieder verwebt er ul­trakurze Einstellungen von Flüchtlingen oder Kriegsbildern in Lindberghs Fotoserien mit ähnlichem Sujet, als möchte er uns mit unterschwelligen Bildern dazu verführen, diese Deutungen für Tatsachen zu halten. Doch all diese Erklärungsversuche im Überwältigungsmodus kommen dem Kern der Sache nicht näher: Der Protagonist bleibt von diesem psychologischen Überbau unberührt und erscheint am Ende des Films als das mysteriöse Wesen, das sich Vecchiet ursprünglich zu ergründen aufgemacht hatte. Vergeblich, zum Glück, denn damit bleibt dem Film ein interessanter Protagonist erhalten.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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