Lovecraft Country

In der Horror-Mystery-Serie kämpft sich ein Schwarzes Trio durch das rassistische Amerika der Fünfzigerjahre. Die wahren Monster entstammen dort nicht dem fantastischen Universum von H. P. Lovecraft. Doch wer hat hier eigentlich Angst vor wem?
Einen ganzen Krieg lang habe Atticus Turner nicht herausfinden können, wer in Korea eigentlich sein Feind war, heisst es in Matt Ruffs Roman «Lovecraft Country». Falls es einen Trick gab, um kommunistische Unterwanderer zu erkennen, sei Atticus nie dahintergekommen. Nach seiner Heimkehr habe er jene, die ihn hassten, hingegen leicht ausfindig machen können: Es waren die Weissen Amerikaner_innen.
Wie ihre Vorlage beginnt auch die Serie Lovecraft Country damit, dass Atticus (Jonathan Majors) – nun mit dem bezeichnenden Familiennamen Freeman versehen – nach dem Krieg seinen Vater in Chicago besuchen möchte. Doch Montrose (Michael K. Williams) ist verschwunden, in seiner mit Fantasyliteratur vollgestopften Einzimmerwohnung findet sich ein Hinweis auf seinen Verbleib: Die Spur führt nach Devon County, Neuengland, ausgerechnet in jenen Landstrich also, in dem der bekennende Rassist H. P. Lovecraft sein mythenbeladenes Universum errichtete. Praktischerweise ist Montrose’ Bruder George (Courtney B. Vance) der Herausgeber des «Safe Negro Travel Guide» – einer fiktiven Version des berühmten «Green Book» –, ein schwer nützliches Büchlein für reisende Schwarze in Zeiten der Jim-Crow-Gesetze. Und dass mit Atticus’ Jugendfreundin Letitia (Jurnee Smollett) eine so kluge wie kampfwillige Gefährtin das Trio komplettiert, wird sich im Laufe der Episoden noch als äusserst zweckdienlich erweisen.

Lovecraft Country funktioniert wie eine Anthologie, wobei einzelne Episoden zwar lose miteinander verknüpft sind, aber wie in Ruffs Vorlage auch eigenständig als Minierzählungen funktionieren. Auf den Familienhorrortrip nach Neuengland folgt eine Spukhausgeschichte rund um Letitias neue Immobilie in einem Weissen Stadtviertel, und so weiter. Am Ende schliesst sich der Kreis.
Auf den ersten Blick erzählt Lovecraft Country vom mutigen Kampf gegen Weisse Rassist_innen, Gespenster und Monster à la Lovecraft im Amerika der Fünfzigerjahre. Erheblich merkt man der Serie indes ihr Bemühen an, einen Gegenwartsbezug herzustellen: Der Soundtrack verknüpft Etta James und Big Maybelle mit Rihanna und Cardi B und wer sich sein eigenes Bild von Lovecrafts «Shoggoths» behalten wollte, ist dieses dank Special Effects nun los. Doch Misha Green, die mit Underground bereits eine TV-Serie über das Fluchtnetzwerk für Sklav_innen in die Nordstaaten schrieb, sowie Produzenten J. J. Abrams und Jordan Peele (Get Out, Us) wissen sehr genau, dass es nicht damit getan ist, für ihre Horror-Mystery-Serie die Weissen Held_innen durch Schwarze zu ersetzen. Sondern dass es wichtig ist zu erzählen, was es mit der Angst vor dem Unbekannten auf sich hat – und wer hier eigentlich Angst vor wem hat.

Exemplarisch deutlich wird das in der ersten Episode, in der James Baldwins historische Rede («I find myself, not for the first time, in the position of a kind of Jeremiah») aus der öffentlichen Debatte des Schriftstellers mit dem rechtskonservativen Ideologen William Buckley Jr. von 1965 zu hören ist, während Atticus, George und Letitia auf ihrer Fahrt nach Neuengland von Rassisten verfolgt und von den Sheriffs der «Sundown Towns» beinahe erschossen werden. Dort herrscht US-amerikanischer Alltag: Burgerstände, an denen Schwarze streng getrennt bedient werden; rassistische Aunt-Jemima-Werbeplakate; Schwarze Arbeiter an einer Bushaltestelle vor einem Plakat, auf dem sich eine Weisse Mittelklassefamilie über ihr neues Automobil freut. Der Rassismus, wusste Baldwin, sei gar nicht das Problem, sondern Symptom. Und die Weissen müssten sich fragen, wovor sie eigentlich Angst hätten – und wofür sie ihren Rassismus bräuchten.
In der fünften Episode, einer der stärksten Folgen, inszeniert von der aus Liberia stammenden US-Regisseurin Cheryl Dune, erfährt Letitias Schwester Ruby (Wunmi Mosako) einen grausigen Prozess der Hautwandlung, indem sie das Aussehen einer Weissen Kaufhausangestellten annimmt. Nun bekommt sie nicht nur den ihr verweigerten Job und in der Eisdiele das Softeis gratis – sie kann endlich an ihrem Chef blutige Rache üben. Die Quelle der Angst, die dem Mann in diesem Moment ins verzerrte Gesicht geschrieben steht, könnte eindeutiger nicht sein. Denn nun muss er hinschauen.
Auf Sky Show verfügbar.
Idee: Misha Green; Vorlage: Matt Ruff; Darsteller_in (Rolle): Jonathan Majors (Atticus Freeman), Jurnee Smollett (Letitia Leiws), Courtney B. Vance (George Freeman); Produktion: J. J. Abrams, Jordan Peele, Misha Green; Monkeypaw Productions, Bad Robot Productions; USA 2020. Streaming CH: Sky Show.
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