The Forty-Year-Old Version

Radha Blank
Wenn mit 40 die Karriere doch nicht durchgestartet ist und die Knie knacken, wird es Zeit, sich neu zu erfinden. Radha Blank schlägt im bislang Weissen, männlichen Genre der existenzialistischen Selbstbetrachtung einen erfrischenden Pflock ein.
Die Jokes sitzen in diesem Film, und das schon im Titel. The Forty-Year-Old Version heisst Radha Blanks Regiedebüt im Original, und das klingt gesprochen wie The 40-Year-Old Virgin, Regiedebüt von Comedystar Judd Apatow, in dem einst Steve Carrell erst im mittleren Alter seine Unschuld verlor. Auch an Radha, Protagonistin von Mein 40-jähriges Ich, wie Netflix den Film hierzulande vermarktet, geht der Sex vorbei.
In der ersten Szene liegt sie allein im Bett und stöhnt frustriert ein bisschen bei den Nachbar_innen hinter der Wand mit. Kurz vor ihrem 40. Geburtstag leidet sie am Älterwerden (auf der Tonspur knirschts gefährlich, wenn sie in die Knie geht), am Geldmangel und an einer ins Stocken geratenen Karriere als Theaterautorin. Selbst die Kids in ihrem Schauspielworkshop in Harlem wissen Bescheid. «Ich habe Sie gegoogelt, ihr letztes grosses Ding war 2010 oder so.»
Radha Blank, die hier eine Version ihrer selbst spielt, hat den Film zugleich geschrieben und inszeniert. Am Sundance gewann The Forty-Year-Old Version den Regiepreis, danach verhinderte die Pandemie einen Kinostart. Der wäre hochverdient gewesen, denn der Film, der seit Anfang Oktober auf Netflix läuft, ist eigentlich einer für den grossen Saal.
Der Humor ist trotz aller flotten Sprüche eher bitter und lakonisch, die Pointen werden nicht durch schnelle Schnitte optimiert, sondern auch mal im Raum einer Einstellung stehen gelassen – was ganz wunderbar zur Poesie des Scheiterns passt, die sich durch den Film zieht. Radha Blank lacht hier eben auch viel über sich selbst. Dieser Gestus sowie Eric Brancos auf 35mm gedrehte Schwarz-Weiss-Bilder erinnern an Woody Allens New-York-Urtext Manhattan, aber auch an Frances Ha, Noah Baumbachs Porträt einer ähnlich charmant scheiternden Tänzerin. Im Dialog mit diesen Filmen wird aber auch deutlich, dass die kreative Lebenskrise in der Regel ein ziemlich Weisses Motiv ist.

Neben dem Älterwerden kämpft Radha nämlich auch mit den spezifischen Problemen einer Schwarzen Frau, die sich in einem ziemlich Weissen Milieu behaupten muss. Die New Yorker Theaterwelt fährt zwar auf Diversity ab, reserviert die entscheidenden Positionen aber noch immer einer kleinen kulturellen Elite. Prägnant erzählt Blank davon in einer so komischen wie bitteren Szene, in der Radha auf einer Party ihr Gentrifizierungs-Stück «Harlem Ave» an den Weissen Mann bringen will. Sie fürchte sich vor dem düsteren Harlem, bekommt sie da zu hören, das Stück klinge gar nicht wie von einer Schwarzen Autorin geschrieben. Radha geht dem Typen direkt an die Gurgel, doch ein Schnitt verbannt sie gleich wieder in die Tristesse ihrer Wohnung.
Dort aber beginnt Radha erst frustriert, dann zunehmend begeistert, einen Freestyle-Rap über das Leben mit 40, über Vergesslichkeit, trockene Haut und Blähungen: «Warum will ich furzen, doch mein Arsch will mich nicht lassen?» Die kreative Energie ist zurück und der Film bei seinem eigentlichen Plot angekommen: Die scheiternde Theaterautorin Radha wird zur Hip-Hopperin RadhamMUS Prime. Auf diesen Plot heruntergebrochen, würde The Forty-Year-Old Version formelhafter klingen, als er ist: die Aussenseiterin, die sich einen unwahrscheinlichen Traum erfüllt.

Die Stärke von The Forty-Year-Old Version ist aber gerade, wie bekannte Genremotive nicht einfach durchgespielt, sondern in eine komplizierte Welt gestellt werden. So wird etwa «Harlem Ave» schliesslich doch aufgeführt, mitsamt Ghetto-Gewalt für den Effekt und versöhnlicher Note fürs Weisse Publikum – gewissermassen selbst gentrifiziert.
Die Rollen in Radhas innerem Showdown, auf den der Film hinausläuft, sind also klar verteilt: brotlose, aber dafür echte Selbstverwirklichung auf der Freestyle-Bühne gegen den Verrat an den eigenen Prinzipien an der Theater-Premiere. Dass die Dinge dennoch komplizierter sind, erzählt ein Track, in dem die frisch gebackene Rapperin das Genre des poverty porn parodiert.
Hip Hop ist hier nicht die authentischste aller Kunstformen, sondern ein Medium, um den Fallstricken der Authentizität auf den Grund zu gehen. Oder wie es in der synchronisierten Rhyme-Fassung heisst: «Willst du ganz weit nach vorn, schreibst du mir besser ’nen Poverty Porn.» Mit ihrem so spielerischen wie nachdenklichen Debüt hat sich Radha Blank dieser Logik der Kulturproduktion zum Glück radikal verweigert.
Ab dem 9. Oktober auf Netflix.
Regie, Buch: Radha Blank; Kamera: Eric Branco; Schnitt: Robert Grigsby Wilson; Darsteller_in (Rolle): Radha Blank (Radha),
Reed Birney (Josh Whitman), Imani Lewis (Elaine); Produktion: Hillman Grad; USA 2020. 129 Min. Streaming CH/D: Netflix.
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