Devs

Alex Garland
Was, wenn alles vorherbestimmt ist? Und was, wenn man es schon via Quantencomputer anschauen könnte? Der feuchte Traum der Silicon-Valley-Gurus wird in Devs zum Thriller, der die Grundfesten unserer Wirklichkeit in Frage stellt.
Als Sergei (Karl Glusman) das erste Mal auf die Codezeilen blickt, die den Quantencomputer des Techunternehmens Amaya speisen, muss er sich übergeben. Der Quelltext lässt das gesamte Weltbild zusammenbrechen, das der junge Programmierer vor seiner Beförderung in das Geheimprojekt «Devs» für unumstösslich hielt. Am nächsten Morgen werden die Sicherheitskameras aufzeichnen, wie sich Sergei mit Benzin übergiesst und vor der riesigen Statue eines kleinen Mädchens, dem Firmenlogo von Amaya, selbst in Flammen setzt.
Das Geheimnis, das hinter seinem Tod, dem Supercomputer und dem Milliardenkonzern steht, wird sich aus der Perspektive von Sergeis Freundin Lily (Sonoya Mizuno) enthüllen. Sie ist nicht weniger genial als ihr verstorbener Freund und nicht weniger verschroben als die anderen Nerds, die bei Amaya arbeiten. Hinter ihrem phlegmatischen Temperament steht ein gewaltiges intellektuelles und empathisches Potenzial.
Lily tritt nicht als geschulte Spezialagentin, sondern als introvertierte Programmiererin gegen das Grossunternehmen an, für das sie selbst arbeitet. Ihre Intuition sagt ihr, dass Sergei nicht zum Selbstmord fähig wäre, ihre analytischen und technischen Fähigkeiten finden die dazugehörigen Beweise und sie tritt damit die erste der zahlreichen Volten los, die Showrunner Alex Garland um die Science-Fiction-Vision strickt, die er bereits in seinen letzten Filmen Ex Machina und der Jeff VanderMeer-Adaption Annihilation erkundet hat.

Diese Visionen führen immer seltener zu den Sternen, sondern vielmehr an die Grenzen der Verantwortbarkeit unserer Technologien. Case in point: Tech-Milliardär und Amaya-Chef Forest (Nick Offerman), der sich diesen Grenzen mit seinem Supercomputer im Eiltempo annähert. Mit langen Haaren, langem Bart, legerem Outfit und einem Salat aus der Öko-Pappbox in der Hand ist Forest die Silicon-Valley-Version eines Superschurken: ein Hybrid aus Hippie und Yuppie; die Art von Unternehmer, die die Welt der Daten und damit auch die daran gebundene analoge Welt nach ihrem Gusto gestaltet – oder auch nicht. Denn seine mit Milliarden gefütterte und von den cleversten Köpfen der Branche programmierte Maschine gestaltet eigentlich nichts. Sie gibt vielmehr das wieder, was bereits geschehen ist, gerade geschieht oder noch geschehen wird.
Amayas Quantencomputer ist der feuchte Traum der Tech-Welt, und, wie sich herausstellt, zugleich ein Albtraum für die freie Welt. Er kann schlichtweg alles berechnen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschheit, Privatleben, vergangenes Leben, kommendes Leben. Alles wird auf eine schlichte Ansammlung von Pixeln reduziert. Wie glühender Sand leuchten sie auf einer Leinwand, setzen sich zu den Schlüsselmomenten unseres Daseins zusammen, zerstreuen sich zum Bildrauschen und werden wieder absorbiert, um den nächsten Punkt des determinierten Universums zu formen.

Es ist die grosse Stärke von Devs, dass die allumfassende Berechnung des Universums nicht allein eine intellektuelle Schreckensvision ist, sondern auch ein ästhetisches Phänomen. Amayas goldener Bunker, in dem das Universum entschlüsselt, entfasert und entzaubert wird, erscheint wie ein rätselhaftes, gefährliches Wesen.
Der Computer in seinem Inneren atmet, saugt das gesamte Leben, das wir uns als frei vorstellen, in sich auf und wirft es auf seinen Bildschirm: Jesus am Kreuz, Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen, Arthur Miller und Marilyn Monroe beim Sex. Die Schlüsselmomente der Menschheitsgeschichte und voyeuristische Spielereien werden verfügbar, reproduzierbar und in ihrer Abrufbarkeit gleichermassen bedeutungslos.
Garland strickt seine visuell und erzählerisch erfreulich eigensinnige Zukunftsvision mit viel Eleganz: Theologische und kulturanthropologische Fragen fügen sich in den acht Episoden nicht zu einem prätentiösen, dystopischen Schaukampf erkenntnistheoretischer Modelle zusammen, sondern zu einem Science-Fiction-Thriller, der seine philosophischen Abzweigungen nicht als Zwang versteht. Als Lilly schliesslich selbst den Quantencomputer erblickt, wird sie eine der Kernfragen der Science-Fiction stellen: «What’s inside?» – «Everything», lautet die Antwort. Eine Antwort, die lange nicht so schön in Frage gestellt wurde wie hier.
Die Miniserie ist auf Sky Show verfügbar.
Regie, Idee: Alex Garland; Kamera: Rob Hardy; Schnitt: Jake Roberts; Darsteller_in (Rolle): Sonoya Mizuno (Lily Chan), Nick Offerman (Forest), Jin Ha (Jamie); Produktion: DNA TV, FXP; USA 2020. Streaming CH: Sky Show.
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