Yalda

Massoud Bakhshi
Eine Gameshow, in der es um Leben und Tod geht. Yalda zeigt nicht nur auf, wie tragisch diese echte Absurditität im iranischen Recht ist, sondern stellt grundsätzlich Fragen nach den Rechten unterpriviligierter Schichten und Gruppen.
In einem iranischen Fernsehstudio werden die letzten Vorbereitungen für die Livesendung «Freude der Vergebung» getroffen. Die Übertragung fällt mit dem jährlichen Yalda-Fest zusammen, an dem traditionell bei einem üppigen Festmahl mit der Familie gefeiert wird. Der Moderator hofft, dass das Publikum dadurch versöhnlich gestimmt sein wird, denn es kann im Laufe des Abends darüber abstimmen, ob der jungen Maryam ihre Straftat verziehen werden soll. «Senden Sie eine SMS mit 1 für Ja und eine mit 2 für Nein.» In dieser «längsten und dunkelsten» Nacht des Jahres geht es für Maryam wortwörtlich ums Überleben. Nachdem sie von der Justiz zur Hinrichtung verurteilt worden ist, weil man sie für den Tod ihres Ehemanns verantwortlich macht, erhält sie noch eine Chance.
Der Prozess verschiebt sich ins Fernsehen. Vor laufender Kamera trifft Maryam auf Mona, die Tochter aus erster Ehe des Verstorbenen. Vergibt die Angehörige des Opfers der Täterin, kann das Gerichtsurteil aufgehoben werden. Das iranische Rechtssystem sieht diese Option tatsächlich vor. Eine offizielle Vergebung gepaart mit einem finanziellen Schadenersatz, dem sogenannten «Blutgeld», kann als strafrechtliche Kompensation dienen.

Durch dieses System entsteht Willkür, zum Beispiel die, dass Reiche privilegiert sind, und es stellt sich überhaupt die Frage, ob es angemessen ist, dass der Staat seine Aufgabe, für eine sinnvolle Verantwortung zu sorgen, abgibt und an Private delegiert. Dieser Themenkreis ist ein vielbehandeltes Motiv des iranischen Kinos mit Vertretern wie Mohammad Rasulof oder Vahid Jalilvand.
Regisseur Massoud Bakhshi geht es um diese Machtverhältnisse, die sich in der iranischen Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen, nicht nur zwischen Opfern und Täter_innen, sondern auch zwischen den Geschlechtern oder den Sozialklassen reproduzieren. Für die Umstände des Verbrechens, das Maryam begangen haben soll, interessiert sich im Grunde niemand so genau. Als Frau in einer streng patriarchalen Gesellschaft ist sie per se schuldig, schuldig des Ungehorsams dem Mann gegenüber. So geht es Maryam selbst nicht darum, ihre Schuldlosigkeit nachzuweisen, sondern darum, Mona zu besänftigen.
Solange Maryam Monas Angestellte und damit von ihr abhängig gewesen war, hatten sich die beiden gut verstanden. Erst nachdem Monas Vater mit Maryam eine «Ehe auf Zeit» eingegangen war, geriet ihr Verhältnis ins Ungleichgewicht. Geschlechtsverkehr unter Nichteheleuten ist im Iran nicht erlaubt. Um dies zu umgehen, kann ein Paar für eine vorbestimmte Periode von Tagen, Monaten oder auch Jahren heiraten. Nach der Scheidung kann die Frau keine Ansprüche mehr stellen.

Yalda konfrontiert die Zuschauer_innen mit einer Vielfalt von Themen, die die Stellung der Frau, die Sexualität, den Umgang mit dem Gesetz und soziale Unterschiede betreffen. Der Film ist ein beklemmendes Sozialdrama mit einer durchgehenden, fast physisch spürbaren Spannung und dramatischen Wendungen. Die Idee der Realityshow, die auf einem realen Fernseh-format basiert, klagt Yalda an, daraus ergibt sich eine gewisse satirische Note, doch endet die Satire nicht in der Parodie.
Die erzählerische Dichte des Films findet auch auf formaler Ebene ihre Entsprechung. Ein schneller Schnitt, eine souveräne Kameraführung, die den Figuren abwechselnd sehr nahe kommt und ihnen dann in statischen Bildern wieder den nötigen Raum lässt, sowie ein einheitliches Farbkonzept sorgen für eine einprägsame Inszenierung. Die grösste Stärke des Films ist die Wahrung der Einheit von Raum und Zeit. Bis auf eine kurze Szene spielt die Handlung im Fernsehstudio.
Fast in Realzeit folgen die Zuschauer_innen dem Verlauf der Sendung und nehmen dabei immer wieder eine andere Sichtweise ein. Einmal ist man mit Maryam auf der Bühne, dann schaut man durch die Linse der Kamera auf das Geschehen, und ein anderes Mal beobachten wir das Ganze aus der Sicht von Maryams Mutter von hinter den Kulissen. Diese Vielschichtigkeit sorgt für eine suggestive Dynamik, die auch die Zuschauer_innen auffordert, Position zu beziehen. Schade ist nur, dass Bakhshi nicht der Versuchung widersteht, am Ende zu moralisieren und der Geschichte eine harmonische Wendung zu geben. Teresa Vena
Ab 10. Dezember in Deutschschweizer Kinos.
Regie, Buch: Massoud Bakhshi; Kamera: Julian Atanassov; Schnitt: Jacques Comets; Darsteller_in (Rolle): Sadaf Asgari (Maryam), Behnaz Jafari (Mona), Babak Karimi (Ayat); Produktion: JBA Production usw.; IRN, FR, D, CH, LUX, LBN 2019. 89 Min. Verleih CH: Sister Distribution.
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