Borat Subsequent Moviefilm

Jason Woliner
Was ist Rudy Giulianis Hotelzimmerpeinlichkeit gegen den Real-Life-Auftritt des Anwalts vor dem Four Seasons Total Landscaping? Der zweite Borat-Film offenbart in erster Linie die Hilflosigkeit politischer Satire in der (Post-)Trump-Ära.
Der Mann ist Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Als Sascha Baron Cohen 2006 zum ersten Mal Schnurrbart und Polyesteranzug anlegte, um als vermeintlicher kasachischer Reporter Borat Sagdiyev Amerika zu bereisen, durchschauten nur wenige seiner Gesprächspartner_innen die Verkleidung, und eine ganze Reihe von ihnen liess sich vor laufender Kamera zu abenteuerlichen bis beängstigenden Aussagen hinreissen. Wobei im Rückblick weniger die satirischen Spitzen wider gewisse Auswüchse des «American Way of Life» im Gedächtnis bleiben, als die Kunstfigur Borat selbst.
Genau das wird nun für das inmitten des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs und der Corona-Pandemie produzierten Sequel zum Problem. Zu den wenigen komplett authentisch wirkenden Szenen in Borat Subsequent Moviefilm zählt ausgerechnet eine kurze Passage, die zeigt, wie Cohen in seiner Borat-Kostümierung durch die Strassen spaziert und alle paar Meter von Passant_innen abgefangen wird, die ihn sofort erkennen und Selfies mit ihm aufnehmen möchten.
Da die Frontalattacken des ersten Films offensichtlich nicht mehr funktionieren, versuchen sich Cohen und Regisseur Jason Woliner an einer Reihe von Ausweichmanövern. Zunächst einmal schlüpft der Comedian im Laufe des Films in eine ganze Reihe weiterer Verkleidungen. Als effektiv erweist sich insbesondere eine Hillbilly-Kostümierung, mithilfe derer Cohen am Rande einer Militia-Kundgebung einige Trumpisten dazu bringt, Zeilen wie «Journalists – what we gonna do / Chop ’em up like the saudis do» mitzugrölen.

Ausserdem ist Borat nicht mehr allein unterwegs. Mit im Gepäck (zunächst ganz wortwörtlich) hat er seine fünfzehnjährige Tochter Tutar (Maria Bakalova), die er dem amerikanischen Vizepräsidenten Mike Pence als Geschenk darreichen möchte. Die Storyline um Tutar wird zum zentralen dramaturgischen Gerüst: Begeistert von der Idee, die «neue Melania» zu werden, lässt sich die drecksstarrende kasachische Göre bereitwillig zum All-American-It-Girl ummodeln, nur um später einen spektakulären Emanzipationsprozess zu durchlaufen – mit Vorliebe vor den Augen des Hillsborough Republican Women’s Club, dem sie nach ihrem ersten Masturbationsversuch einen enthusiastischen Erfahrungsbericht präsentiert.
Solange der Film sich auf Tutar konzentriert, funktioniert der Schritt in Richtung Fiktion teils recht gut, insbesondere, weil Bakalova sich als eine grossartige und enorm wandlungsfähige Darstellerin erweist. Die klamaukig-überdrehten Auftritte gelingen ihr ebenso wie die deutliche Mimikry amerikanischer Youtube-Starlets. Insgesamt jedoch nimmt der weitgehende Verzicht auf «echte» Pranks dem Konzept einiges von seiner Schärfe. So darf man sich etwa fragen, worin genau der Witz einer Nummer bestehen soll, in der eine Bäckerei auf Borats Drängen hin den Schriftzug «Jews will not replace us» mit Zuckerguss auf einer Torte platziert, wenn aufgrund von Kamerapositionierung und Montage klar zu erkennen ist, dass es sich um eine komplett inszenierte Szene handelt.

Ein tiefer liegendes Problem, auf das in den letzten Jahren bereits verschiedentlich verwiesen wurde, dürfte darin bestehen, dass subversive Medieninterventionen fast schon automatisch ins Leere laufen, wenn sich die politische Sphäre selbst nur noch als Wurmfortsatz des Trash-TV inszeniert. Paradoxerweise führt ausgerechnet Trumps Abwahl noch einmal besonders deutlich die gegenwärtige Hilflosigkeit politischer Satire vor Augen. In der vermeintlich spektakulärsten Szene des Borat-Sequels gelingt es Tutar/Bakalova, Rudy Giuliani nach einem Interview auf ein Hotelbett zu locken, wo sich der Trump-Anwalt an seinem Hosenstall zu schaffen machen beginnt.
Auch wenn die Situation nicht gar so eindeutig sein mag, wie man zunächst annehmen könnte, ist der Fremdschamfaktor extrem hoch – und doch: Was ist Rudys Hotelzimmerpeinlichkeit gegen seine schon jetzt legendäre Pressekonferenz vor dem Gartenbauunternehmen Four Seasons Total Landscaping, die vor wenigen Wochen die gesamte Schäbigkeit der Trump’schen Attacken wider die Mechanismen der parlamentarischen Demokratie mit fast schon unheimlicher Präzision auf den Punkt gebracht hat?
Ab 23. Oktober auf Amazon Prime Video.
Regie: Jason Woliner; Buch: Sacha Baron Cohen, Anthony Hines, Dan Swimer, Nina Pedrad; Kamera: Luke Geissbuhler; Musik:
Erran Baron Cohen; Schnitt: Craig Alpert, Michael Giambra, James Thomas; Darsteller_in (Rolle): Sacha Baron Cohen (Borat), Maria Bakalova (Tutar), Tom Hanks (Tom Hanks); Produktion: Amazon Studios, Four by Two Films; USA 2020. 96 Min. Streaming CH/D: Amazon Prime Video.
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