Contra

Sönke Wortmann
Ein rassistischer Professor und eine maghrebinische Studentin finden im erzwungenen Ringen zu gemeinsamem Boden. Regisseur Sönke Wortmann zeigt, dass die französische Vorlage im deutschen Nachbarland genauso relevant ist.
Naima Hamid kommt zu spät, ausgerechnet am ersten Tag des ersten Semesters ihres Jurastudiums. Der Hörsaal ist voll besetzt, Professor Richard Pohl könnte die kleine Störung übergehen und mit seiner Vorlesung fortfahren. Stattdessen beschämt er die junge Frau mit nordafrikanischem Migrationshintergrund und weist sie auf ihre Unpünktlichkeit hin. Schlimmer noch: Hier ein abfälliges Wort über zu grosse Nasen, dort eine unpassende Bemerkung über muslimische Frauen. Naima ist ob der fremden- und frauenfeindlichen Beleidigungen sprachlos und kann ihre Wut kaum zügeln.
Allerdings hat ein Kommilitone die Entgleisungen des Professors mit dem Smartphone aufgenommen und ins Netz gestellt, der interne Skandal ist öffentlich – sehr zum Unwillen des Universitätsdekans Alexander Lambrecht. Der ist aber bereit, seinem alten Weggefährten eine letzte Chance zu geben. Wenn es Pohl, dem begnadeten Rhetoriker, gelingt, Naima erfolgreich für einen bundesweiten Debattierwettbewerb zu coachen, hätte sich die Sache mit dem Disziplinarausschuss erledigt. Pohl ist über dieses Arrangement entsetzt, Naima nicht minder. Zu unterschiedlich sind ihre Temperamente. Trotzdem raufen sich die Streithähne zusammen. Naima erkennt die Chance, von einem zwar zynischen, aber doch klugen Rhetoriker zu lernen. Pohl hingegen findet immer mehr Spass daran, sein Wissen weiterzugeben.

Wem die Geschichte bekannt vorkommt: Yvan Attal hatte sie bereits 2017 unter dem Titel Le Brio verfilmt, in Deutschland lief sie als Die brillante Mademoiselle Neïla. Sönke Wortmann, der bereits mit Der Vorname eine französische Vorlage adaptierte, übertrug sie nun auf deutsche Verhältnisse. Das ergibt durchaus Sinn, hat sich doch mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass Deutschland, ebenso wie Frankreich, ein Einwanderungsland ist.
Wortmann bleibt Le Brio bis in einzelne Szenen hinein treu. Eine respektvolle Hommage an das Original, die die Perspektive nicht verschiebt, sondern gleichberechtigt dieselbe Problematik – das Verhältnis von Einheimischen und Migrant_innen – in unterschiedlichen Ländern beschreibt. Der Professor ist nämlich hier wie dort ein desillusionierter Dinosaurier, der die kulturelle Leistung seines Landes hochhält und die Unterlegenheit muslimischer Kulturen schon an ihrer Unpünktlichkeit festmachen will. Es wird also im Folgenden darum gehen, Unterschiede auszuhalten und Vorurteile abzubauen, Rassismus zu benennen und Integration zu ermöglichen.

Zuallererst ist Contra aber ein Film über die Macht des Wortes, nicht nur des feinziselierten, sondern auch des lauten, verschleiernden Wortes. Worte lügen, sie lenken vom Thema ab, sie bauen – frei nach Schopenhauers «Eristischen Dialektik» und seiner 38 Kunstgriffe – woanders ein Schlachtfeld auf, das mit dem ersten nichts zu tun hat. Dabei geht es nicht immer um die Wahrheit, sondern darum, bei Disputen die Oberhand zu behalten.
Manchmal muss man sich auch Gehör verschaffen. So lässt Pohl Naima in einer vollbesetzten U-Bahn oder auf einem belebten Platz ihre Argumente so laut vortragen, dass er sie von Weitem noch hören kann. Worte können auch beleidigen, das will ebenfalls gelernt sein. Naima erweist sich bei einem «Beschimpfungsduell» mit ihrem Lehrer als ebenbürtige, fantasievolle Gegnerin, weil sie ihre maghrebinische Kultur nicht verleugnet. Eine Eigenständigkeit, mit der sie dem «Pygmalion»-Stoff, der der Figurenkonstellation zugrunde liegt, Paroli bietet.
Mit der Geschliffenheit der Dialoge macht Contra Spass und unterhält ebenso intelligent wie komisch. Grossen Anteil daran haben auch die Schauspieler_innen. Während Nilam Farooq mit ihrer frech-forschen Art für ihre Figur einnimmt, profitiert Christoph Maria Herbst von seiner Erfahrung als Stromberg aus der gleichnamigen Fernsehserie (2004–2012): missgünstig, zynisch, gemein. Bis sich das Geheimnis seiner Figur offenbart und so Raum schafft für Gemeinsamkeit auf Augenhöhe. Wenn Pohl und Naima gemeinsam zu Bill Withers’ Song «Use Me» tanzen, um sich die Aufregung vor einem öffentlichen Auftritt zu nehmen, ist dies ein emblematisches Bild. Kurz darauf wird Naima ihre vielleicht wichtigste Verteidigungsrede halten. Sie hat gelernt, sprachlich auf die Pauke zu hauen. Und – mit einem von Schopenhauers Tricks – das Positive durch sein Gegenteil zu erklären.
Ab dem 23. Dezember in Deutschschweizer Kinos.
Regie: Sönke Wortmann; Buch: Doron Wisotzky; Kamera: Holly Fink; Schnitt: Martin Wolf; Musik: Martin Todsharow; Darsteller_in
(Rolle): Christoph Maria Herbst (Richard Pohl), Nilam Farooq (Naima), Hassan Akkouch (Mo); Produktion: Constantin Film, SevenPictures Film; D 2020. 108 Min. Verleih CH: Praesens Film.
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