Hillbilly Elegy

Ron Howard
Der Bestseller «Hillbilly Elegy» galt 2016 als das Trump-Erklärbuch der Stunde, es werfe einen erhellenden Blick in den «Korb der Bedauernswerten», hiess es. Der hochkarätig besetzten Verfilmung von Ron Howard schlägt dagegen nun starke Abneigung entgegen. Weshalb?
Man schreibe das Jahr des Herrn, ertönt aus dem Off kräftig eine Pastorenstimme: «1997, eine Epoche des Wohlstands.» Sonnenstrahlen fallen durch Baumkronen, der Prediger preist «die Wunder des Lebens, die nie heller erstrahlten». Im Bild eine Ameise auf einem Wurzelstock, watende Frösche im Flussbett, Vater und Sohn auf der Ladefläche eines Pick-ups, mit Hund und Bier.
In Jackson, Kentucky, scheint die Welt noch in Ordnung; im Bundesstaat, den sie Bluegrass State nennen wegen der blaugrünen Grasweiden – der aber ideologisch tiefrot ist. Trump wies Biden bei der Präsidentschaftswahl in Kentucky klar in die Schranken.

Regisseur Ron Howard lässt zum Einstieg Bilder ablaufen, die zunächst wirken, als wären sie für einen Südstaaten-Tourismuskatalog gemacht. Aber dem Idyll wohnt die Misere inne: Hier eine Autoleiche im hohen Gras, dort Menschen mit zerfurchten Gesichtern und schlechten Zähnen. «Für manche von uns», stellt der Prediger nun klar, der aus einem Transistorradio spricht, «bleibt der amerikanische Traum, die Hoffnung unseres Volkes, unerreichbar.» Aber man dürfe den Glauben nicht verlieren, fügt er hinzu, gerade in Zeiten wie diesen, in der überall die Familien auseinanderbrächen.
Mit dem Intro pflockt Howard die Grundpfeiler der Geschichte ein: Hillbilly Elegy, die Adaption des autobiografischen Bestsellers von J. D. Vance, erzählt von einer zerrütteten Familie aus der US-amerikanischen Unterschicht, von tiefem Elend und sozialem Aufstieg, kurz, dem letztlich doch unkaputtbaren amerikanischen Traum.

1997 ist J. D. (Owen Asztalos) ein Teenager. Den Sommer verbringt er in ebendiesem Jackson, wo die Familie verwurzelt ist, den Ort nennt er sein Zuhause. Aber aufwachsen tut er in Middletown, Ohio, darniederliegendes Industriegebiet im sogenannten Rostgürtel. Von einer Epoche des Wohlstands ist hier nichts zu sehen. Der Grossvater arbeitet im Stahlwerk, die Grossmutter (beeindruckend verhärmt: Glenn Close) verdämmert vor dem Fernseher, die Mutter (Amy Adams) wechselt die Männer, verfällt den Drogen.
«Wer mit 13 schwanger wird, macht sich aus dem Staub», antwortet sie, als J. D. wissen will, wieso man Jackson überhaupt verlassen habe. In der Schule war die Mutter die zweitbeste des Jahrgangs, aber irgendwann begann der Abstieg. Der Sohn jedoch schaffte den Aufstieg: Als junger Mann (gespielt nun von Gabriel Basso) hat es J.D. zum Jurastudenten an der Eliteuni Yale gebracht.

Die Rahmenhandlung erzählt vom Yale-J. D., der ein wichtiges Bewerbungsgespräch anstehen hat und just in dem Moment den Anruf bekommt, dass seine Mutter im Krankenhaus liege. Heroinüberdosis. J. D. macht sich auf nach Ohio – eine Reise gleichsam in die Vergangenheit: In ausgiebigen Rückblenden kehrt der Film wiederholt zurück zum jungen J. D. und zur Frage: Was lief schief bei der Mutter, was besser bei ihm?
Hillbilly Elegy sieht sich fast durchwegs verrissen. Howard liefere nichts als neoliberal-abgeschmackte Antworten, lautet die Kritik, er singe das hohe Lied der Vereinzelung: Jeder müsse für sich schauen, am Elend ist man selber schuld. Aber das ist eine verkürzte Lesart des Gezeigten. Denn Howard unterstreicht zum Beispiel sehr wohl die haarsträubenden Unzulänglichkeiten des US-amerikanischen Gesundheitssystems: So hat die Mutter nach der Überdosierung kaum die Augen aufgeschlagen, bevor sie bereits wieder aus dem Krankenbett befördert wird. Oder dann muss J.D. ein halbes Dutzend Kreditkarten jonglieren, um ihr einen Platz in der Entzugsklinik zu sichern.

J. D. Vances «Hillbilly Elegy» galt 2016 als Trump-Erklärbuch der Stunde, es werfe einen erhellenden Blick in den «Basket of deplorables», den «Korb der Bedauernswerten», wie Hillary Clinton die Globalisierungsverlierer einst bezeichnete. Die starke Abneigung, die der Verfilmung nun entgegenschlägt, irritiert. Ja, man kann Howard vorhalten, eher dick aufzutragen, die klobigen Hans-Zimmer-Kompositionen helfen nicht. Aber Hillbilly Elegy wirft einen empathischen Blick auf Menschen, die sich abseits der Metropolen im Stich gelassen fühlen, und in den Verrissen glaubt man denselben Dünkel zu spüren, den das «progressive» US-Amerika vor vier Jahren abzulegen versprach.
Regie: Ron Howard; Kamera: Maryse Alberti; Schnitt: James Wilcox; Musik: David Fleming, Hans Zimmer; Darsteller_in (Rolle): Gabriel Basso (J. D. Vance), Amy Adams (Bev), Glenn Close (Mamaw); Produktion: Imagine Entertainment, Netflix; USA 2020. 116 Min. Verleih CH: Ascot Elite Entertainment; Streaming CH: Netflix.
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