The Undoing

Susanne Bier
Ein Mord zieht einer High-Society-Therapeutin und ihrer Familie den Teppich unter den Füssen weg, der ein Leben lang für sie ausgerollt wurde. Showrunner David E. Kelly und Regisseurin Susanne Bier lassen die Upper-East-Side-Oberschicht viel Dreck werfen, inszenieren den Schmutz aber allzu sauber und ordentlich.
Die Diagnose, die Grace Fraser (Nicole Kidman) ihrer Patientin stellt, ist eine Selbstdiagnose. Nicht allein der Mann sei der Grund dafür, dass ihre Ehe scheitert, sondern das falsche Idealbild, das sie auf diesen projiziert habe. Sie sei schlichtweg nicht fähig zu sehen, wer ihr Mann wirklich ist. Auch die Therapeutin wird ihren langjährigen Ehemann Jonathan (Hugh Grant) erst durch die Begegnung mit der jungen Mutter Elena (Matilda De Angelis) kennenlernen.
Elena ist buchstäblich ein Fremdkörper unter den High-Society-Müttern, die wie Grace ihre Kinder auf eine Eliteschule in Manhattan schicken. Sie ist nicht im mittleren Alter, nicht wohlhabend, nicht aus einer alteingesessenen Familie und im Kreis der High-Society-Ladys damit nicht willkommen. Allein Grace wendet sich ihr zu. Noch einmal wird sie ihr unerwartet begegnen und sehr nahekommen. Dann wird Elenas von dutzenden Hammerschlägen zugerichtete Leiche gefunden. Hauptverdächtiger ist Graces kürzlich verschwundener Ehemann Jonathan.
Über sechs Episoden ziehen Showrunner David E. Kelly und Regisseurin Susanne Bier ihrer Protagonistin und deren Familie jenen Teppich unter den Füssen weg, der ein Leben lang für sie ausgerollt wurde. Der Einzige, der neben Grace noch aufrecht steht, ist ihr Vater Franklin (Donald Sutherland), ein Multimillionär alter Schule; so alter Schule, dass er im modernen New York wie ein Aristokrat des alten Europa auftritt. Alles andere steht erst mal Kopf.
Der fröhlich-misanthrope Charme ihres Mannes ist plötzlich nicht mehr der Charme eines britischen Kinderonkologen, sondern der eines gesuchten Mörders. Mit jeder neuen Information, jedem neuen Indiz, das das Detektivduo O’ Rourke und Mendoza (Michael Devine, Edgar Ramirez) Grace auftischt, bricht ein Stück der perfekten Upper-East-Side-Ehe und des dazugehörigen Lebens weg, bis sich Grace die Frage stellt, wie viel Substanz dieses Leben überhaupt jemals hatte.

Unschuldig ist auch Grace keineswegs. Während die Medienwelt, die Ermittler und die Justiz auch sie zunehmend als Mitverdächtige ins Visier nehmen, versucht die Therapeutin mithilfe ihres Vaters, alle Verbindungen zum angeblich von ihrem Mann verübten Mord zu kappen. Das Ziel ist dabei jedoch nie die Wahrheit. Jede Aussage, jedes Treffen und jeder Medienauftritt steht im Dienst der eigenen Deutungshoheit. Schuld und Unschuld verkleben sich im Mahlwerk dieses Prozesses zu einem undurchsichtigen Abbild der Geschehnisse. Die von Grace engagierte Staranwältin Haley Fitzgerald (Noma Dumezweni) nennt es muck, Schmutz.
Dieser Schmutz, das bewusste Verschmieren der Wahrheit, ist der Kern, um den Susanne Bier die Erzählung inszeniert. Die ist, für eine Serie, die sich mit den dreckigen Seiten der Macht im Allgemeinen und den Perversionen der Upperclass im Speziellen beschäftigt, erstaunlich glatt. Die ohnehin obligatorisch hohe production value von HBO-Serien wird in The Undoing durch die opulenten Fassaden Manhattans unterstrichen: Die prachtvollen Luxuswohnungen, der Schulhof der Privatschule und die Säle der Frick Collection bilden das detailverliebte Dekor für die geschliffene Inszenierung, die ohne Brüche und Risse die Mechanik des whodunit laufen lässt.

Auch die Brüche des Familienlebens – in einem Werk von Bier geradezu obligatorisch – werden fliessend in die Mechanik des Verbrechens integriert. The Undoing ist ein rigoros getakteter, glatt inszenierter Thriller. Einzig Grace als unzuverlässige Erzählerin unterläuft die lineare Struktur der Verbrechensaufklärung. In kurzen Schnipseln oder präzis gesetzten Volten deutet Bier immer wieder die fehlenden, sprich: verschwiegenen Teile des Puzzles an, die nicht allein vor den Ermittlern, sondern auch vor den Zuschauer_innen zurückgehalten werden. «That’s what rich entitled people do», fasst es die Staranwältin zusammen, die als Einzige erfahren genug scheint, mit diesem Sumpf aus Halbwahrheiten umzugehen.
Das ist spannend genug, schafft es aber nie, die Fassaden, in die sich auch Kelly und Bier ein wenig verlieben, endgültig einzureissen. Es mag um die Perversionen und Abgründe des ultrareichen New York gehen, der Schmutz aber, mit dem diese um sich werfen, perlt doch allzu oft an den glatten Oberflächen der Upper East Side ab.
Ab 30. November auf Sky Show.
Idee: David E. Kelly; Regie: Susanne Bier; Kamera: Anthony Dod Mantle; Schnitt: Ben Lester; Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine; Darsteller_in (Rolle): Nicole Kidman (Grace Fraser), Hugh Grant (Jonathan Fraser), Noah Jupe (Henry Fraser), Donald Sutherland (Franklin Reinhardt); Produktion: Blossom Films, HBO, Made Up Stories; USA 2020. Streaming CH: Sky Show.
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