Iniciales S.G.

Daniel Garcia, Rania Attieh
Eine zerschlagene Nase, ein gereiztes Ego und eine argentinische Nationalmannschaft, die verliert. Die Zutaten für den
tragikomischen Niedergang eines Nobodys sind in diesem südamerikanischen Import schmackhaft vermengt.
Sergio Garces ist ein arrogantes Arschloch. Keine einfache Ausgangslage, um ihn als Hauptfigur für einen Spielfilm beliebt zu machen. Immerhin: Er ist auch ein trauriges Arschloch, und die Geschichte, die Rania Attieh und Daniel Garcia in Iniciales S.G. mit ihm erzählen, ist in ihrer Tragikomik äusserst unterhaltsam. Zum Beispiel, wenn der «Held», gespielt von Diego Peretti, auf der Schüssel sitzt und zu Pornos auf seinem Handy masturbiert. Es klingelt, und nach einem kurzen Gespräch mit seinem Anwalt nimmt er sein Geschäft wieder auf, als wäre nichts gewesen.
Die Nonchalance, mit der erzählt wird, wirkt halb wie eine Rebellion, halb wie eine unendliche Erschöpfung. Der Film nimmt sich selber sicher nicht ganz ernst, und doch hätte alles irgendwie so passieren können.
Garces, in seinen Fünfzigern, ist ein Mann, der immer auf dem zweiten Platz landet. Das wird dem Publikum aus dem Off schon in der ersten Szene erzählt, in der der hauptberufliche Statist eine Wasserleiche spielen muss. Doch nicht mal das kriegt er hin. Zum Leidwesen der Filmcrew zappelt er im Wasser. Zum Leidwesen einiger weiterer zuckt der Gereizte in Iniciales S.G. über den Film hinweg auch durch die argentinische Hauptstadt im Jahr 2014. Doch zuerst muss er selbst noch ein bisschen mehr leiden. Erst wird er auf dem Fahrrad von einer Autotür gerammt, kurz darauf wird er aufgrund einer alten Geschichte wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe und einer psychologischen Behandlung seiner Wutprobleme verurteilt.

Eine harte Geduldsprobe für den alternden Pornodarsteller, Kiffer und Serge-Gainsbourg-Coverband-Sänger. Seine Hymne singt er denn auch gleich selbst: Kaum ein Soundtrack passte je so exakt wie die Faust aufs Auge wie seine spanische Adaption von «Requiem pour un con». Zur verdonnerten Therapie kommt es natürlich nicht, auch wenn sich Garces in seinen Augen redlich bemüht hat und nur ein paar Minuten zu spät zur ersten Sitzung auftaucht. Stattdessen beschimpft er die Rezeptionistin der Praxis durch die Sprechanlage, bis diese mit der Polizei droht. So viel zum anger management.
Hoffnung auf die Wendung seines Schicksals setzt Garces aber ohnehin nicht auf Introspektion, sondern auf die argentinische Nationalmannschaft, die auf dem Weg ist, sich in das Finale der Fussball-WM gegen Deutschland zu kicken. Wenn Argentinien gewinnt, gewinnt auch er. Und wenn das Land verliert, bedeutet das auch für ihn nichts Gutes, ist er überzeugt. Das ist die ganze Spiritualität des Proto-Machos.
Der Verlierertyp Garces drängt sich geradezu als Sinnbild für die Nation auf. Und der Film führt seinen Antihelden vor allem mit der Kommentierung des Erzählers auch konsequent als Pars pro Toto für das leidende Land auf. Ja, auch das stolze Argentinien machte in den letzten Jahrzehnten – ach was, im letzten Jahrhundert – keine einfache Zeit durch. Als die Mannschaft gegen Deutschland im Finale verliert und, genau wie Garces, wieder einmal auf dem zweiten Platz landet, ist der erzählerische Kniff überdeutlich.

Doch zu dem Zeitpunkt hat der Mann schon ganz andere Probleme. Seine Prophezeiung des Unglücks erfüllt er gleich selbst, als er einmal mehr die Beherrschung verliert und (Achtung: Spoiler!) kurzerhand seinen Nachbarn im feststeckenden Lift erwürgt, als dieser ihn in einer Panikattacke angreift. Glück im Unglück hat er wiederum mit Jane (Julianne Nicholson), einer New Yorker Businessreisenden und seiner Geliebten, die ihn samt Leiche in seinen Armen vor seiner Wohnung überrascht.
Statt die Polizei zu rufen, kündigt sie ihrem Mann in den USA die Scheidung auf dessen Nachrichtenband an und hilft dem Mörder, den Toten verschwinden zu lassen. Wenn Garces für Argentinien steht, drängt sich spätestens hier wieder die Analogie zum Weltgeschehen auf. Schliesslich waren die amerikanischen Geheimdienste, wie man hierzulande seit den Crypto-Leaks weiss, in den Verbleib der «Desaparecidos», den von der Militärjunta Getöteten und Verschleppten, bestens eingeweiht.
Doch selbst die gute Seele Jane, die sich an seine Brust wirft, lässt den cabrón kalt. Man wusste es ja schon zu Beginn: Dieser Typ ist für ein romantisches Happy End nicht zu haben. Und ahnte man nicht auch schon, dass seine Geschichte stattdessen ein tragisches Ende nehmen würde? Immerhin hat er dann in seiner letzten Rolle, mit der sich der Kreis schliesst, mit Stillhalten keine Mühe mehr.
Der Film läuft ab 18. Juni in den Deutschweizer Kinos.
Regie/Buch: Rania Attieh, Daniel García; Kamera: Roman Kasseroller; Schnitt: Leandro Aste, Daniel García; Musik: Bill Laurance, Maciej Zielinski; Darsteller_in (Rolle): Diego Peretti (Sergio Garces); Julianne Nicholson (Jane); Walter Jakob (Pancho). Produktion: Shortcut
Films, Argentinien 2019. Dauer: 98 Min. Verleih CH: trigon-film.
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