The Plot Against America

Thomas Schlamme, Minkie Spiro
Die USA wählen einen isolationistischen Präsidenten und driften dem Faschismus entgegen. Die Romanadaptation erzählt keine Gegenwartsgeschichte, sondern eine alternative Abzweigung der Geschichte im Jahr 1940. Doch das Timing der Serie im Wahljahr 2020 ist durchaus mit Absicht gewählt.
Was wäre, wenn … Ein Satzanfang, der Welten eröffnet. Und eine Prämisse, die Philip Roth dazu brachte, mit «The Plot Against America» eines seiner ungewöhnlichsten Bücher zu schreiben. Was wäre, wenn 1940 statt Franklin D. Roosevelt der Flugpionier, Nationalheld und Nazisympathisant Charles A. Lindbergh zum Präsidenten der USA gewählt worden wäre?
Im Zentrum der alternativen Geschichtsschreibung steht Roth’ eigenes, zehnjähriges Alter Ego und dessen Familie, die in Newark im Bundesstaat New Jersey lebt. Zusammen mit Vater Herman, Mutter Bess und seinem grossen Bruder Sandy lebt Philip im jüdischen Quartier in einer kleinen, aber feinen Wohnung in einem Zweifamilienhaus.
Ja, was wäre aus den amerikanischen Jüd_innen geworden, wenn die USA, statt Hitler die Stirn zu bieten, mit ihm ein Abkommen geschlossen hätten, das das Land vom Zweiten Weltkrieg verschont hätte? Roth exerziert diese Anordnung, in der die grosse Politik sich auf einmal mit dem behüteten Alltag an der Summit Avenue vermischt, in einer Tragödie durch, in der in kürzester Zeit die scheinbar steinharte Sicherheit der Demokratie und des Liberalismus für die religiöse Minderheit zu Pappkarton verkommt, der im Regen zerfleddert.

In einer sechsteiligen Serie haben David Simon, Reena Rexrode und Ed Burns nun die Verschwörung gegen den Rechtsstaat für HBO zum Leben erweckt. Und sie taten es mit Liebe zum Detail. Über die stündigen Folgen von The Plot Against America hinweg dreht die Spirale von einer weit entfernten Bedrohung für die Familie, die in der Serie Levin heisst, langsam hinab zur todernsten Furcht um Leib und Leben.
Die einzelnen Figuren kämpfen alle ihren eigenen Kampf mit oder gegen die neue Realität: Philips (Azhy Robertson) Vater Herman (Morgan Spector), einst in seiner Abscheu gegenüber Charles Lindbergh von seinem Umfeld bekräftigt, steht immer mehr auf verlorenem Posten. Während andere Jüd_innen nach Kanada ziehen, sträubt er sich, sein Land den Faschist_innen zu überlassen. Doch als die Familie im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms nach Kentucky, in den ruralen Südwesten des Landes verpflanzt werden soll, wo Lynchmobs herumziehen, gibt es für den aufbrausenden Patrioten bald keinen Ausweg mehr.

Am anderen Ende der gespaltenen Meinungen darüber, ob Lindbergh und seine America-Firsters das Land in den Abgrund oder in eine glorreiche Zukunft führen, steht ausgerechnet Tante Evelyn, Mutter Bess’ (Zoe Kazan) Schwester, gespielt von Winona Ryder. Sie lehnt sich an die starke Schulter von Rabbi Lionel Bengelsdorf (John Turturro), der Lindberghs Präsidentschaftskampagne unterstützt und für dessen Administration höchstpersönlich das Umsiedlungsprogramm für Jüd_innen entwirft.
Irgendwo dazwischen findet sich Cousin Alvin (Anthony Boyle), der an der Seite Kanadas in den Krieg gegen Hitler zieht, dabei ein Bein verliert und als gebrochener Mann in die Heimat zurückkehrt, die ihn nur misstrauisch beäugt.

The Plot Against America zeigt in seinen langsamen Schraubendrehungen Entscheidung um Entscheidung auf, wie fliessend der Übergang vom Rechtsstaat zum faschistischen Regime ist. Wer sich jemals gewundert hat, weshalb Jüd_innen Nazideutschland nicht spätestens dann verliessen, als Hitler die Macht ergriff, erhält mit der Serie eine nuancierte Antwort. Die Erzählung bleibt dabei immer dicht an den überzeugend gecasteten Familienmitgliedern dran. Sie lassen die Geschichte glaubwürdig werden und verleihen der übergreifenden Anordnung Gut vs. Böse die nötigen Grautöne.
America First, ein Präsident, der sein Land isoliert und den Rechtsstaat unterwandert: Wen das auch an die aktuelle politische Lage der Vereinigten Staaten erinnert, ist gemäss Drehbuchautor und Produzent Simon auf dem richtigen Weg. In einem von HBO produzierten Podcast zur Serie sagte er: «Ich wollte, dass das Publikum in den USA in das Wahljahr hineingeht. Es ist vielleicht das wichtigste Wahljahr seit langem, und ich wollte, dass die Leute sich an diese Miniserie erinnern, wenn sie ihre Stimme abgeben.» The Plot Against America ist damit auch als ziemlich unverblümte Wahlempfehlung zu sehen. Denn, was wäre, wenn Donald Trump noch eine Amtszeit im Weissen Haus sitzen würde?
Die Serie ist seit Ende Mai auf Sky Show verfügbar.
Idee/Buch: Ed Burns, David Simon, Reena Rexrode; Vorlage: Philip Roth; Regie: Thomas Schlamme, Minkie Spiro; Produzent_in: Ed Burns, David Simon, Joe Roth, Susan Goldberg u. a.; Kamera: Martin Ahlgren; Darsteller_in (Rolle): Winona Ryder (Evelyn Finkel), Morgan Spector (Herman Levin), Zoe Kazan (Bess Levin), Anthony Boyle (Alvin Levin), John Turturro (Rabbi Lionel Bengelsdorf); Produktion: HBO, USA 2020.
Gefällt dir Filmbulletin? Unser Onlineauftritt ist bis jetzt kostenlos für alle verfügbar. Das ist nicht selbstverständlich. Deine Spende hilft uns, egal ob gross oder klein!