Gangs of London

Gareth Evans, Matt Flannery
Einer der mächtigsten Gangsterbosse Londons wird ermordet. Während sein Sohn durch seine Rachsucht die Vormachtstellung der Dynastie gefährdet, wittern andere Clans ihre Chance. Und zwischen allen Fronten kämpft ein von der Polizei eingeschleuster Maulwurf ums Überleben.
Auf einer Baustelle in Nigeria wird ein Mann lebendig einbetoniert. In der Türkei wird ein kurdischer Soldat zu Tode geröstet. In London verwandelt sich ein kopfüber von einem Hochhaus hängender Mann in eine menschliche Fackel. Es gibt keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen diesen grausamen Morden, sie ereignen sich an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten. Und doch haben sie miteinander zu tun: Sie sind das Ergebnis eines Verbrechens, das von seinem Epizentrum in London aus internationale Wellen schlägt und auch bei der Anwendung von Gewalt keine Grenzen kennt.
Gangs of London beginnt buchstäblich mit einem Knall. Finn Wallace (Colm Meaney), mächtigster Mann der Londoner Unterwelt, wird in einem heruntergekommenen Mietshaus erschossen. Einer der beiden halbwüchsigen Täter aus einer walisischen Wohnwagensiedlung ist schnell gefasst – doch leider nicht von der Polizei. Bereits im Pilotfilm nehmen die Dinge also ihren rasanten Lauf – acht knapp einstündige Episoden folgen. Denn Wallace, der alle lukrativen Verbrechen Londons kontrollierte, hinterlässt ein Machtvakuum, das in Gangsterserien nicht nur gefüllt werden muss, sondern es im konkreten Fall erlaubt, die unterschiedlichen Erzählfäden über Statthalter, Erbprinzen und Rivalen temporeich und zugleich minuziös zu entflechten.

Am Anfang ist in Gangs of London also nicht das Wort, sondern die Rache. Und dann kommt die Bestrafung. «Punishment has got to be quiet. And out of sight», meint Ed Dumani (Lucian Msamati) zur Witwe seines besten Freundes und nunmehrigen Matriarchin Marian (Michelle Fairley). Dumani kann auf glorreiche Zeiten an Wallace’ Seite zurückblicken. Der Schwarze und der Ire waren Aussenseiter und Emporkömmlinge, ehe sie ein Imperium in der Finanzmetropole aufbauten. Nun gibt der Familienvater Dumani den Pragmatiker, der die Geschäfte weiter am Laufen halten möchte, während Sohn Sean Wallace (Joe Cole), jede Vereinbarung seiner Rachsucht hintanstellt – und damit den Zerfall der Dynastie riskiert.

Warum sich mit Krümeln begnügen, wenn man den ganzen Kuchen haben kann, lautet ein Zitat aus Stanley Kubricks Gangsterklassiker The Killing. Der Gangster will immer alles, das war im Kino so und gilt auch für das sogenannte Qualitätsfernsehen. Der Unterschied liegt, wie man aus zahlreichen Serien der letzten zwanzig Jahre weiss, nicht in der Figur, sondern in der Dramaturgie: Nicht nur der Gangster will alles, sondern auch die Serie. Der ganze Kuchen ist erst dann gegessen, wenn vorher jedes einzelne Krümel aufgespürt wurde. In Gangs of London sind das die albanische Mafia, Geldschieber der PKK, britische Drogendealer und pakistanische Investoren. Sie alle sind die Zutaten dieser High-Concept-Thrillerserie.
Der Gangster bleibt der Mythos, der er immer schon war, ob in Chicago oder London. Dass Finn Wallace in einer Welt der unsichtbaren Kapitalströme ausgerechnet neben einem Bündel Geldscheine in seiner eigenen Blutlache stirbt, ist also ein guter und zugleich böser Drehbuchwitz. Ebenso, wie sich erst in der dritten Episode herausstellen wird, der Grund seiner Anwesenheit zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, von dem nur sein wartender Chauffeur wusste. Doch dieser kann auch nicht mehr reden, weil Tote ihr Geheimnis mit ins Grab nehmen. Wenn man dafür sorgt

Evans, der mit dem Actionfilm The Raid, in dem sich eine Polizeieinheit in Jakarta unter schweren Verlusten ein Hochhaus hochkämpft, bekannt wurde, vertraut auf das Wechselspiel von Beschleunigung und Erstarrung. Wie die Ruhe vor dem Sturm muten jene Momente an, in denen noch verhandelt und gedroht wird, sich das nächste Unheil jedoch schon anbahnt; und wie ein Gewitter fegt die eruptive Gewalt ihre Opfer hinweg. Minutenlange Zweikämpfe, die vor allem der für Sean Wallace arbeitende Undercover-Polizist Elliot (Sope Dirisu) in jeder Folge überleben muss, wirken wie perfekt choreografierte Kraftakte.
Die Figur des Gangsters war schon immer gezeichnet von der Möglichkeit des Kontrollverlusts. Gangs of London überträgt dieses Charakteristikum auf die Erzählung selbst: zehn Stunden am Limit.
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