Palmer

Fisher Stevens
Justin Timberlake spielt einen aus der Haft entlassenen Heimkehrer, der sich um den Wiedereinstieg in die Gesellschaft bemüht. Die Schatten der Vergangenheit machen es ihm nicht leicht, dafür hilft ihm ein kleiner, queerer Nachbarsjunge.
Eddie Palmer ist ein ernster junger Mann. Falls ausnahmsweise ein Lächeln über sein Gesicht huscht, wirkt er danach beinahe verlegen, so, als ob es ihm «passiert» wäre. Tatsächlich hat Palmer auch wenig zu lachen. Zwölf Jahre sass er im Gefängnis, nun kehrt er mit dem Bus in seine Heimatstadt zurück, und die Landschaft von Louisiana zieht an ihm vorüber.
Der amerikanische Süden mit Trailerparks, desolaten Vorstädten und verstreuten Siedlungen. Der einzige Mensch, der auf ihn wartet, ist seine Grossmutter Vivian, bei der er aufwuchs und die ihn ohne Vorbehalte wieder bei sich aufnimmt. Denn Palmer hat, wie es so schön heisst, damals einen schweren Fehler gemacht. Doch nun möchte er sein Leben zurück. Oder zumindest seine Ruhe haben und wieder einen Job.
Vieles an Palmer, inszeniert vom Schauspieler und Autor Fisher Stevens, wirkt bekannt. Denn nicht nur die Geschichte vom Heimkehrer – wahlweise aus dem Krieg oder dem Gefängnis – zählt seit Jahrzehnten zu den Standardmotiven des US-Kinos, auch die soziale Wirklichkeit, von der dieser Film erzählt, ist seit geraumer Zeit zu einem eigenen Trademark geworden. Man denkt dabei an die frühen Arbeiten von David Gordon Green oder Kelly Reichardt, Debra Granik oder Lance Hammer – und damit an einen amerikanischen Realismus, der von der ökonomischen Not ebenso erzählt wie von dysfunktionalen Familien, von einem sich rapide verändernden Männerbild und von Frauen, die sich mit mehreren Jobs über Wasser halten müssen – und all das in einem Land, das viele noch immer «God’s Own Country» nennen.

Dass Palmer kein Independentfilm ist, der in früheren Kinozeiten seine Premiere vermutlich am Sundance gefeiert hätte, sondern mit einem Star wie Justin Timber-lake besetzt ist und vom Mediengiganten Apple auf dessen Streamingkanal vertrieben wird, ist als symptomatisch für die Entwicklung des unabhängigen US-Kinos zu werten. Was sich auch in der schematischen Geschichte widerspiegelt: Palmer erzählt nicht von der sukzessiven Ausdünnung der Möglichkeiten, sondern vom Wiedereinstieg in die Gesellschaft.
Was nicht bedeutet, dass Palmer deshalb kein gelungener Film wäre, sondern bloss, dass sich Drehbuch und Regie stets auf Bewährtes verlassen: Die Grossmutter ist herzlich, aber streng; die früheren Kumpane, die Palmer damals in den Abgrund gerissen haben und noch immer gerne einen über den Durst trinken, personifizieren seine dunkle Vergangenheit; in der Schule, in der Palmer einen Job als Hausmeister findet, gibt es eine nette Lehrerin; und die drogensüchtige Nachbarin in ihrem Wohnmobil ist keine schlechte Mutter, aber nicht fähig, sich um ihr Kind zu kümmern, und so verschwindet sie plötzlich für mehrere Wochen. Und hinterlässt Palmer ihren Jungen Sam, der gerne ein Mädchen wäre, sich wie ein solches benimmt und manchmal auch kleidet. Womit für den Helden die eigentliche Bewährung beginnt.
Der Reiz dieses Films liegt also eher im Detail, im Ausbuchstabieren einzelner Momente und vor allem im trockenen Humor, mit dem Fisher Stevens die Beziehung von Palmer und Sam inszeniert. Jede Auseinandersetzung zwischen dem – gänzlich ironiefrei gezeichneten – übergewichtigen Kind mit Haarspange und Brille und seinem neuen Erzieher wird zum rhetorischen Infight, bei dem klar ist, dass am Ende jeder vom Anderen profitieren wird. Denn, wie Palmer einmal meint: Er mag zwar nicht queer sein wie sein ungewöhnlicher Zögling, aber wie es sich anfühlt, anders zu sein als die Anderen, damit hat auch er Erfahrung. Aber darum macht Palmer, wie Palmer, kein Aufheben.
START 29.01.2021 REGIE Fisher Stevens BUCH Cheryl Guerriero KAMERA Tobias A. Schliessler SCHNITT Geoffrey Richman MUSIK Tamar-kali DARSTELLER*IN (ROLLE) Justin Timberlake (Eddie Palmer), Ryder Allen (Sam), Alisha Wainwright (Maggie Hayes), June Squibb (Vivian) PRODUKTION Sidney Kimmel Entertainment, Hercules Film Fund, USA 2021 DAUER 110 Min. STREAMING Apple TV+
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