Wilder Staffel 3

Jan-Eric Mack
Gerade wird die dritte Staffel von Wilder ausgestrahlt, schon finden die Dreharbeiten für die vierte statt. Wilder und Kägi müssen in ihrem dritten gemeinsamen Fall einen Polizist*innenmörder fangen, der den Zuschauer*innen sympathischer ist, als zu erwarten wäre.
Auf Polizist*innen hat er es abgesehen. Polizist*innen, die selbst an Verbrechen beteiligt waren und diese vertuscht haben. Der Mörder der dritten Staffel von Wilder tritt als Rächer der Ungerächten auf. Anders als in den ersten beiden Staffeln der Serie kennen die Zuschauer*innen den Täter ab der ersten Folge, während das Ermittlerduo im Dunkeln tappt.
Der Mörder, ein hagerer, mittelalter Mann (Michael Neuenschwander), dessen Motiv lange verborgen bleibt, ist als aufmerksamer und genügsamer Familienvater gezeichnet, der auf dem Land wohnt und in der Stadt Eier ausliefert – unter anderem genau in die Kantine des Polizeipräsidiums, in dem in seinem Fall ermittelt wird. Beim Fund der Leiche eines Polizisten, der von einem Hochhaus geworfen wurde, treffen die Ermittler*innen Rosa Wilder (Sarah Spale) und Manfred Kägi (Marcus Signer) wieder aufeinander. Noch sind sie in der Laune für ein wenig Geplänkel.
Sie reden über Kägis Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören, und ihr jeweiliges Liebesleben, und Kägi bringt seine Partnerin ein paar Mal mit schlagfertigen Bemerkungen zum Lächeln. Doch die Stimmung kippt spätestens nach dem zweiten Opfer, und Wilder verfällt in ihre typisch besorgte und ernste Art. Reifer und selbstsicherer wirkt, im Vergleich zur letzten Staffel, sowohl die Figur als auch die Darstellerin, die sie verkörpert. Die junge Polizistin, die unter Bewährungsdruck gegenüber ihren Eltern stand, hat sich von den Erwartungen Anderer gelöst. Genauso wenig, wie sie bereit ist, Anderen etwas Unrechtes durchgehen zu lassen, erlaubt sie dies sich selbst.

Wilder ist integer und resolut, was ihren Beruf angeht, verletzlich in Bezug auf ihr Privatleben. Diese Verbissenheit, die den Charakter prägt, führt zwangsläufig zu einer gewissen Eindimensionalität. Spale bleibt kein grosser Spielraum für Experimente. Dennoch ist ihre Darstellung einer modernen Frau, die zwischen dem Wunsch, sich beruflich zu behaupten, und ihrer Rolle als Mutter jongliert, glaubwürdig.
Als mögliches Vorbild für die Figur könnte Kommissarin Lund (Sofie Gråbøl) aus der dänischen Kriminalserie Forbrydelsen (2007–2012) vermutet werden. Auch mit der Kommissarin Saga Norén (Sofia Helin) aus der schwedisch-dänischen Serie Broen (Die Brücke – Transit in den Tod) hat Wilder Gemeinsamkeiten. Die Konstellation des ungleichen Ermittlerpaares, die im Kriminalfilmfach nichts Neues ist, aber umso häufiger angewendet wird, hat auch Drehbuchautor Béla Batthyany der Wilder-Serie zugrunde gelegt.
Wilder und Kägi kontrastieren und ergänzen sich gleichzeitig. Bei der Einen herrscht das Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit vor, den Anderen zieht es ins Freie, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn. Während Wilder eher ein zurückhaltender Charakter ist, könnte man Kägi als Exzentriker bezeichnen. Er wohnt in einem silberfarbenen Luxuswohnwagen, der an ein Raumschiff erinnert und den er irgendwo am Strassenrand oder in der aktuellen Staffel unter einer Autobahnbrücke parkt. Er trägt Cowboy-Stiefel und einen gediegenen langen, grauen Mantel. Ganz nebenbei ist Kägi auch homosexuell.

Die Rolle des Kägi ist die vielschichtigste der Serie. Trotz aller Ernsthaftigkeit und Kompetenz, die sie im Beruf auszeichnet, bietet sie Raum für Selbstironie. Signer spielt Kägi als aufbrausenden, etwas spröden Menschen, der sich seinen Vorgesetzten gegenüber nicht so unterwürfig zeigt, wie sie es gerne hätten. Immer hat er einen Spruch auf Lager. Von seinem Spitznamen «Kägi-Fret», anspielend auf die bekannte Waffel, lässt er sich nicht beirren, auch er ist, wie seine Kollegin, eher ein Einzelkämpfer, der sich aus der Gunst der Kolleg*innen nicht viel macht. Eindeutig lebt die Figur vom Charisma des Hauptdarstellers. Signer hat eine derart intensive Präsenz, dass sie die seiner Kolleg*innen in den Schatten stellt.
Milieu: Mundart
Eine der Herausforderungen der Serie, da sie im Kanton Bern spielt, war es, die Darsteller*innen ein möglichst authentisches Berndeutsch sprechen zu lassen. Signer meistert dies zum Einen natürlich dadurch, dass Berndeutsch sein ursprünglicher Dialekt ist, aber zum Anderen ganz offensichtlich auch dank eines herausragenden Gefühls für Sprache und einer perfekten Diktion, die vermutlich seiner jahrelangen Theatererfahrung geschuldet ist. In der ersten Staffel, deren Handlung im fiktiven Bergdorf Oberwies spielt, wirkten die Dialoge in der Diktion verschiedener Darsteller*innen noch recht ungelenk.
In der dritten Staffel spricht selbst Spale, ursprünglich Baslerin, dank Dialektcoach authentisches Berndeutsch. Von Staffel zu Staffel wurde überhaupt die Qualität der Serie in allen Bereichen kontinuierlich gesteigert. Souveräner wurde nicht nur die Leistung der Darsteller*innen, sondern auch die Dramaturgie. Indem sich die Erzählung des Kriminalfalls aus dem unmittelbaren familiären Umfeld der Ermittler*innen herausbewegt – in der ersten Staffel lag der Fokus noch auf Wilder und in der zweiten auf Kägi –, konnte auf ein gutes Stück an Pathos verzichtet werden.
Die dritte Staffel zeichnet sich auch durch eine noch dichtere Inszenierung aus als die vorherigen Staffeln und baut mehr Spannung auf. Man hätte trotzdem die eine oder andere Nebengeschichte weglassen können, zum Beispiel die Affäre zwischen der Frau des einen Dorfpolizisten und dem Bruder ihres Mannes, um die Handlung und das Figurenensemble nicht zu überladen. Vielleicht wäre dadurch mehr Raum für eine tiefgründigere Charakterzeichnung geblieben, die, über das Ganze gesehen, recht oberflächlich ausfällt.

Wilder greift in der dritten Staffel interessante Themen wie Polizeigewalt, Fremdenfeindlichkeit, Selbstjustiz und Eingreifen der Medien in polizeiliche Ermittlungen auf, die in US-amerikanischen Produktionen zwar nichts Neues sind, deren Übertragung auf Schweizer Realitäten die Serie aber durchaus reizvoll macht. «Wir haben hier keine Zustände wie in den USA», sagt einmal Kägis Chef bei der Bundeskriminalpolizei. Mag das auch stimmen, so kann es nicht schaden, diese geballte Negativität in einer fiktiven Geschichte durchzudenken.
Eine wesentliche Verschiebung in der Ästhetik der Serie findet in der dritten Staffel im Setting statt. Zwar spielt die Natur – wieder in ihrem winterlichen Zustand, in dem sie sowohl schön als auch bedrohlich wirken kann – eine wichtige Rolle. Wieder gibt es sehr viele Aussenaufnahmen, die dieses Mal in La Brévine, bekanntlich dem kältesten Ort der Schweiz, entstanden. Neu gesellt sich aber zu dieser vertrauten Bildwelt die Stadt dazu.
Stadt-Land-Grautöne
Regisseur Jan-Eric Mack, der dem Regisseur der beiden ersten Staffeln, Pierre Monnard, schon in der zweiten assistiert hat, räumt der kalten Betonästhetik von La Chaux-de-Fonds viel Platz ein. In der Serie wird der neuenburgische Ort zu einer fiktiven bernischen Stadt. Sichtlich fasziniert vom Schachbrettmuster der Bebauung, der urbanen Atmosphäre und der Dominanz des Betons, wissen der Regisseur und Kameramann Tobias Dengler den Stadtkörper für die Schaffung einer eigenen poetisch-melancholischen Stimmung zu nutzen.
Vielfach fanden die Aufnahmen während der sogenannten «blauen Stunde» statt, die dem Ganzen zusätzlich einen surrealen Unterton verleiht. Die Bildfindung variiert zwischen statischen Einstellungen, oft mit Untersicht-Ästhetik, die einerseits den Brutalismus der Architektur in Szene setzen und andererseits die Ohnmacht der Figuren unterstreichen, und bewegten, teils spektakulären Kamerafahrten. Damit ist die dritte Staffel von Wilder auch formal die bisher ausgefallenste und anspruchsvollste.
START Staffel 3 ab 05.01.2021 REGIE Jan-Eric Mack BUCH Béla Batthyany KAMERA Tobias Dengler SCHNITT Benjamin Fueter MUSIK Adrian Frutiger DARSTELLER*IN (ROLLE) Sarah Spale (Rosa Wilder), Marcus Signer (Manfred Kägi), Michael Neuenschwander (Martin Jesch), Roland Bonjour (Lukas Zimmermann) PRODUKTION C-Films AG, Panimage, SRF, CH 2017– STREAMING Play Suisse
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