News of the World

Paul Greengrass
Paul Greengrass’ Film mit Tom Hanks und Helena Zengel ist ein gradliniger Western über einen gradlinigen Captain, der von einem wilden Kind von seiner Bahn gebracht wird. Und eine sanfte politische Allegorie für die Biden-Ära und ein zu versöhnendes Amerika.
Geradeaus, die gerade Route, von Ort zu Ort, Town Hall zu Town Hall, das ist das Programm des ehemaligen Captains der Konföderierten und Buchdruckers Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks), der, immer Richtung Vergessen von Trauma (Bürgerkrieg) und Trauer (tote Frau, Cholera), auf seinen Stationen Nachrichten aus Provinz, Union und Welt verliest. Sein System zu sprengen, dafür wirft ihm der Film ein wildes Kind in den Weg, Johanna Leonberger (Helena Zengel), westlicher und Western-Topos galore, eine zweifache Waise, als Kind von Kiowa entführt, die deutschen Einwanderereltern ermordet, und nun wurde auch ihr Kiowastamm abgeschlachtet, ihr Schwarzer Begleiter gelyncht.
«I’m the Captain now» kann sie nicht sagen, aber nimmt doch mal Gewehr und Zügel des Lebens in die Hand. Denn gerettet werden muss hier eigentlich vor allem der Kidd, damit er kein lost cause wird, und es ist die wilde Weisse Waise oder, wahlweise, Weise, die dem Mann den Weg zeigt, der sie nun eigentlich zu ihren freudlosen Verwandten bringen soll.

Das Gerade und das Gekrümmte, die Linie und der Kreis, der ausgestrecke Zeige- und der angewinkelte kleine Finger, die Hauptstrasse und die Prärie drumherum: das sind die Kulturtechniken, Geometrie, Gesten und das Gelände dieses Films. Die gerade Linie der kaukasischen Existenz führt an die Scholle, an die Ackerfurche, in die trost- und bücherlose Arbeitsexistenz der deutschen Tante, die «geradeaus» wohnt, wo es keine Geschichten gibt, vorwärts, immer vorwärts, die Sachen hinter sich lassend. Johanna, Zengel hat Expertise darin, sträubt sich, bäumt sich dagegen auf, hat ein anderes Programm: Um vorwärts zu kommen, müssen wir uns erinnern. Dass direkt nach diesem Gedächtnisgebot, der grossen Lektion des Films, die Kutsche samt Pferden den Berg hinunterstürzt, verkompliziert die Sache doch eigentlich erheblich.
Ohnehin wird ein anderer Holismus eher evoziert, als dass ihm beredt Bahn bereitet würde, Hanks’ Captain ist eher der silent type, Mischung aus Gary und Anderson Cooper, und mit den Kiowa- und Deutschversatzstücken von Zengels Johanna wird ja kein Skript voll. Also die Neuigkeiten aus der Welt. Grosse Politik und kleine Kuriositäten, technische Innovationen, Epidemien, Vermischtes, alles wird dramatisch vorgetragen von einem aufrichtigen Anchorman des Wild West, der seine eigene Redaktion ist und seine Nachrichten kompiliert aus den Zeitungen des Landes. Wo er die her bekommt: keine Ahnung, weder Film, erstaunlich eigentlich für einen von Paul Greengrass, noch Hanks’ Captain sind an der Infrastruktur dessen interessiert, was Kidd seinen gebannten Newsreel-Hörerschaften da vorliest.
Der Messenger ist die Message, und erschossen werden soll er bitteschön auch nicht. Nicht von einer Mädchenhändlerbande mit einem schönen Felsenhinterhalt im Budd-Boetticher-Stil oder einem sezessionistischen Spätwestern-Räuberbaron, der Propaganda will, aber einen Aufstand bekommt. Denn im sanft revisionistischen Western wecken Nachrichten aus den Nordstaaten demokratisches Begehren und Ausgebeutetensolidarität und gerechte Insurrektion. Wie ging das nun weiter / mit dem Minenarbeiter?

Metaphorische Anker setzend und Eisenbahnverbindungen bauend, Hanks Kidd wird Agent einer Union, die eben nicht nur vorwärts soll, ohne Rückschau. Ein Moderator, nicht von Präsidenteninaugurationen, aber von föderalen Ansprüchen und konföderierten Ressentiments. Wir leiden doch alle. Das Infotainment wird zum Dienst an einer (niemals) kommenden Gesellschaft, sagt nicht nur, was ist, sondern auch, was war und sein könnte. Western sind oft Allegorien, und diese ist eben an eine Gegenwart gerichtet, die Tom Hanks als Autorität anerkennt, eine versöhnliche Verständigung zwischen rot-weissem Süden und blau-weissem Norden für möglich und sinnvoll erachtet und den Western da für ein zielführendes Genre halten könnte.
Mit dem Western ist Paul Greengrass, Prozeduralist des postklassischen Handkamera-Action-Kinos (Bourne), Affektauteur der immersiven Inszenierung menschengemachter Katastrophen (United 93, Captain Phillips, 22 July), geradezu klassisch geworden, elegisch und elegant. Konsequent zumindest bleibt der Film in dieser Genrelogik.
Für seine Kiowa ist es eh zu spät, die sind schon konsequent jenseitig, spuken nur noch, Schemen einer genozidalen Geschichte, durch die texanischen Stürme, immerhin zur Stelle, Indians ex tempestate, wenn ein Pferd gebraucht wird. Aber erinnern soll man sich, das gibt das blonde Ziehkind auf. Keine Einheit, keine Heilung ohne Erinnerung. Keine Heilung ohne Rechenschaft, die amerikanische Formel der Stunde: das wäre ein anderer, ein unversöhnlicherer Film. Die Nachrichten der Welt sind also schon längst wieder woanders. Letztes Jahr sollte der Film ins Kino kommen. 2020 ist schon verdammt lang her.
START 10.02.2021 REGIE Paul Greengrass BUCH Paul Greengrass, Luke Davies KAMERA Dariusz Wolski SCHNITT William Goldenberg MUSIK James Newton Howard DARSTELLER*IN (ROLLE) Tom Hanks (Captain Jefferson Kyle Kidd), Helena Zengel (Johanna Leonberger) PRODUKTION Perfect World Pictures, Playtone, Pretty Pictures, USA 2020 DAUER 118 Min. STREAMING Netflix
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