Malcolm & Marie

Sam Levinson
Die Netflix-Produktion ist ein Kammerspiel in Schwarzweiss, die im Lockdown als Notlösung entstand. Es wird durchweg geredet und diskutiert, doch die eigentliche Botschaft ist beglückend einfach.
Malcolm & Marie gibt es seit Anfang Februar zu sehen und bisher kann der Film seine Kritiker*innen, vorsichtig ausgedrückt, wenig überzeugen. Beim Durchlesen der Reviews kommt man schnell in den Genuss von spitzen Punchlines. «Deeply unlikable» findet man den Film zum Beispiel, ein «claustrophobic example of pandemic filmmaking». Der Film mache «aus allem eine Pose», sei belanglos, gefalle sich zu sehr. Spannungslos, oder schlimmer noch, «a failure on nearly every level». Dem Regisseur und Drehbuchautor Sam Levinson wirft man gar «diabolische Eitelkeit» vor.
Ist Malcolm & Marie wirklich so furchtbar? Sind die Erwartungen an ein Unterhaltungsprodukt, die sich in den Artikeln unerfüllt zeigen, nicht allzu hoch gesteckt?
Schuld daran ist der verflixte Metadiskurs. Allzu unbedacht und leichtsinnig breitet der Film ihn aus. Die Hauptfigur ist ein von sich eingenommener Regisseur, es geht ums Künstlersein oder Seinwollen: Eitelkeiten, Posen, Parolen im Filmgeschäft. Dabei reduziert sich der Film nicht auf die wörtliche Bedeutung seiner bisweilen grossspurig ausufernden Dialoge – nicht alles hier ist für bare Münze zu nehmen. Wichtig sind die Gefühlswallungen hinter den Worten.

Malcolm und Marie liefern sich an einem Abend einen heftigen, über Stunden andauernden Streit. Ein Regisseur und Drehbuchautor (gespielt von Shooting-Star John David Washington) und seine Partnerin Marie (Zendaya) kehren nach der geglückten Premiere seines Debütfilms spät abends nach Hause zurück. Diesen schamlos schönen Bungalow werden sie – von kurzen Ausflügen in den umschliessenden Garten abgesehen – für die ganze Filmlänge nicht wieder verlassen. Der Kameramann Marcell Rév wird die grosszügigen Räume umschweben, die Protagonist*innen in Close-up filmen, öfters auch die langen Flure entlang.
Von aussen durch die bodentiefen Fenster sieht man zu Beginn, wie Malcolm sich feiert, wie er mit einem Glas Whiskey in der Hand aufgekratzt alleine tanzt. Später, in einer sehr komischen Szene, durchstöbert er das ganze Haus auf der Suche nach seiner Kreditkarte, tippt die Daten dann hastig ins Handy, um die erste, hinter einer Paywall platzierte Besprechung seines Erstlingswerks zu lesen, von einer «white lady critic» verfasst. Er regt sich auf, fühlt sich missverstanden, gekränkt, aber im Recht. Neben diesem Malcolm bleibt für andere wenig Platz übrig. Marie muss sich diesen erkämpfen.
Der Streit, der zwischen ihnen unmittelbar danach entflammt, ist einer scheinbaren Kleinigkeit geschuldet: In seiner Ansprache hat sich Malcolm bei vielen bedankt, nur nicht bei Marie. Dabei liefert ihre Biografie – Drogensucht und Entzug schon mit Zwanzig – für sein Drehbuch die authentische Vorlage. Sie fühlt sich übergangen, ihrer eigenen Stimme beraubt. Es folgt eine vielleicht zu wohltemperierte Kammerspiel-Schlacht, lange Monologe im gleichmässigen Wechsel. Harte Brocken sind es, die die beiden einander zuwerfen. Fragen über Authentizität und künstlerische Willkür, das Politische, die Kritik gemischt mit Schuld, Vorwürfen, den angestauten Konflikten ihrer Beziehung. Hin und wieder wird der Spielvorgang sichtbar, aber auch das macht grösstenteils Spass.
Malcolm & Marie will nicht vom Kino als Medium erzählen – so viel (oder so wenig) steht hier nicht auf dem Spiel. Die Netflix-Produktion handelt in erster Linie von zwei Menschen: Schön, klug, aber nicht in der Lage, mit Kritik umzugehen. Gerade darin liegt vielleicht der «diabolische» Reiz dieses Films.
START 05.02.2021 REGIE, BUCH Sam Levinson KAMERA Marcell Rév SCHNITT Julio Perez MUSIK Labrinth DARSTELLER*IN (ROLLE) John David Washington (Malcolm), Zendaya (Marie) PRODUKTION Little Lamb, USA 2021 DAUER 106 Min. STREAMING Netflix
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