Wanda, mein Wunder

Bettina Oberli
An der Goldküste rotiert die gehobene Gesellschaft. Die polnische Pflegerin ist schwanger, der bettlägerige Patriarch war’s. Herbstzeitlosen-Regisseurin Bettina Oberli beweist mit der Ensemble-Komödie eine Giftigkeit, wie sie
viel zu selten ist im Schweizer Film. Aber Oberli zieht sie nicht ganz durch.
Man hat eine Arbeitskraft gerufen, und es kommt die Polin Wanda (Agnieszka Grochowska). Die Wegmeister-Gloors – Geldadel, rechtes Zürichseeufer – haben sich eine Pflegerin ins Haus geholt, sie soll zum Familienoberhaupt Josef (André Jung) schauen. Denn seit einem Schlaganfall ist der Patron bettlägerig. Aber es bleibt nicht beim Pflegejob. Elsa (Marthe Keller), Josefs Frau, erklärt Wanda, wie der Hase läuft: Die Putzfrau ist nach Portugal zurückgegangen, es muss Mehrarbeit geleistet werden. «Was macht sie in Portugal?», fragt Wanda. «Sie heiratet.» – «Schön.» – «Ja, schön, aber ich hab’ jetzt keine Putzfrau mehr!»
So also denkt man bei den Wegmeister-Gloors. Und die Polin soll sich nicht zieren wegen der Extrabüez. Immerhin stellt Elsa ihr gönnerhaft 200 Franken in Aussicht, zusätzlich zu den, nun ja, 9000 Franken, die Wanda für drei Monate Pflegedienst bekommt. Als Wanda 600 Franken vorschlägt, zieht Elsa ein Gesicht. «Ich red’ ja nur von bisschen Haushalt.» Soviel zur Wertschätzung, die der Hilfskraft entgegengebracht wird. Dem Klassenkonflikt ist das Feld bereitet, die Szenen sitzen. Regisseurin Bettina Oberli hat das Drehbuch zusammen mit Cooky Ziesche geschrieben, die sonst für den Sozialrealisten Andreas Dresen abreitet.

Das passt: Ziesche versteht sich auf ihre Wandas. Und die Globetrotter-in Oberli – sie wuchs zeitweise in Samoa auf, lebte in New York und Berlin – hat den wachen Blick von aussen auf die einheimische Provinz-Bourgeoisie. Oberli/Ziesche treffen präzise den Ton, die Dialoge sind geschliffen, und eine Stunde lang wirds nur noch besser. Auch der Patron fordert nämlich Zusatzleistungen von Wanda, und er redet nicht von «ein bisschen Haushalt». Immerhin, er bezahlt bar, und der Schein, der übers Bettlaken wandert, ist violett. Wenig später, man kann sich’s denken, ist Wanda schwanger.
Damit beginnt das Drehen der Eskalationsspirale. Und alle haben ihre Agenda: Der Sohn des Hauses (Jacob Matschenz) – ein Träumer, der die Firma übernehmen soll, aber lieber Singvögel nachahmt – hat sich in Wanda verliebt; die hysterische Tochter (Birgit Minichmayr) fürchtet, dass das Kind der Polin ihr das Erbe streitig machen könnte. Oder ist die Hilfskraft gar eine Erpresserin? Und Elsa, klar: Sie würde ihren Mann am liebsten am Grunde des Zürichsees wissen.
Niemand kann’s mit niemandem, an der Goldküste geht’s zu und her. In der Filmmitte rotiert die gehobene Gesellschaft wie in einem abgründigen Familienstück von Thomas Vinterberg. Wanda, mein Wunder ist bis dahin von einer Giftigkeit, wie sie viel zu selten ist im Schweizer Film. Leider buchstabiert Oberli das Drama in der zweiten Hälfte zurück, sie sucht nach Auswegen aus den Verwicklungen. Ist es die schweizerische Harmoniesucht?
So oder so: Das hochklassige Ensemble ist bester Spiellaune. Mit Marthe Keller, die zuletzt auch in Schwesterlein als verhärmte Frau brillierte, kann sowieso kaum eine hier im Land mithalten; beim Luxemburger André Jung hat sogar noch der fremdgehende Patriarch seinen Charme. Oder dann die burgtheatergrosse Birgit Minichmayr, die sich wie keine zweite auf Kratzbürsten versteht.
Schliesslich Agnieszka Grochowska als die gute Wanda: Sie sieht sich herumgeschubst in dem grossbourgeoisen Geschacher, aber ein Kuhhandel ist nicht zu machen mit ihr. Wieso übrigens plötzlich eine Kuh zusammen mit Wandas polnischer Familie bei den Wegmeister-Gloors im Garten steht, soll nicht verraten sein. Grochowska gelingt es jedenfalls, die starke Frau hinter der gedemütigten Hilfskraft zu zeigen. Den Menschen hinter der Arbeitskraft, die man gerufen hat.
START 29.04.2021 REGIE Bettina Oberli BUCH Bettina Oberli, Cooky Ziesche KAMERA Judith Kaufmann SCHNITT Kaya Inan MUSIK Grandbrothers DARSTELLER*IN (ROLLE) Agnieszka Grochowska (Wanda), Marthe Keller (Elsa), André Jung (Josef), Birgit Minichmayr (Sophie), Jacob Matschenz (Gregi) PRODUKTION Zodiac Pictures; Schweiz 2020 DAUER 111 Min. VERLEIH Filmcoopi Zürich
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