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2018 09 14 mh 016

Die Sprache des Körpers lesen

Für ihn ist ein Dreh stets eine Baustelle. Und das ist gut so, denn das Unfertige lässt sich gemeinsam weiterdenken. Der Kameramann Michael Hammon schätzt das Spontane etwa in seiner Zusammenarbeit mit Andreas Dresen ebenso wie die Präzision, wie er sie in Stefan Haupts Zwingli umgesetzt hat. Seine Arbeit erfordert Einfühlungsvermögen, Fantasie und Ausdauer. Ein Gespräch über Krisen und Glücksmomente zwischen Improvisation und Planung.

Text: Thomas Binotto / 12. Dez. 2018

Braucht es mehr Interieur für ein Werkstatt­gespräch als zwei wacklige Stühle und eine einsame Kaffeemaschine?
Filmbulletin: Weshalb treffen wir uns gerade hier?

Michael Hammon: Jeder Film ist eine Baustelle. Man lässt sich dabei auf einen Prozess mit vielen Unsicher­heiten ein. Selbst wenn ein komplettes Drehbuch vorliegt. Bei der Arbeit mit Andreas Dresen steht am Anfang praktisch ein blankes Papier, eine Idee, vielleicht drei Zeilen. Danach entsteht allmählich ein Exposé von vielleicht zwei Seiten, dann über mehrere Wochen hinweg eine Outline von ungefähr einem Dutzend Seiten. Und all das wird im Team zusammen mit Andreas entwickelt. So ist meine Arbeit: immer Baustelle. Ständig Neubeginn. Stets auf Abruf. Nie ganz und gar angekommen.

[…]

Clair obscur 01 0

Sie haben inzwischen viele Dokfilme gedreht. Darunter auch drei mit Pepe Danquart.

Ich habe Dokfilme immer geliebt und liebe sie auch heute noch. Aber früher hat mich beim Drehen vor allem die Einschränkung durch das für Dokfilme übliche 16-mm-Format gestört. Auf einer Rolle hatten nur zehn Minuten Platz. Mit Vor- und Nachladen konnte man auf maximal dreissig Minuten kommen. Beim Dreh von Höllentour über die Tour de France durfte ich an einem Tag im Mannschaftswagen vom Team Telekom mitfahren. Da sass ich also vorne neben dem Sportdirektor Mario Kummer. Mitnehmen durfte ich nur drei Filmrollen, weil im Auto jeder Quadratzentimeter mit Material vollgestopft war: Reifen, Werkzeuge, Fahrradtechnik. Aber eingequetscht in meinem Sitz dachte ich dennoch: «Cool. Ich habe dreissig Minuten für eine Etappe von vielleicht fünf Stunden, was kann da schon schiefgehen?»

Wir vermuten: Das war zu optimistisch gedacht …

Der Rennverlauf entpuppte sich als äusserst dramatisch. Andreas Klöden, eigentlich als Held unseres Films geplant, musste ganz am Anfang der Etappe wegen Rückenschmerzen absteigen und die Tour aufgeben. Und ich war im Wagen des Teamleiters hautnah dabei. Super! Das musste ich drehen, dieses deprimierte Gesicht Klödens, den völlig fertigen Sportdirektor. Unglaubliche Intensität. Damit war die erste Rolle weg, noch bevor das Rennen richtig lanciert war. Dann rasen wir die Berge rauf und runter, mit 100 km/h, Mario die eine Hand am Lenker, mit der anderen gibt er Wasser raus. Was habe ich da geschwitzt. Und natürlich gedreht, denn nur so konnte ich die Dramatik der Situation einfangen. Eine weitere Rolle weg. Schliesslich ein dramatischer Sturz im Feld, dem Lance Armstrong nur mit einer spektakulären Querfeldeinfahrt über die Wiese ausweichen konnte. Damit war auch die dritte Rolle zu Ende. Und dann kam die Zielankunft mit dem überraschenden Sieg von Alexander Winokurow, ebenfalls aus dem Team Telekom. Und ich hatte keinen Film mehr. Scheisse!

Auch die Spielfilme mit Andreas Dresen tragen oft dokumentarische Züge.

Halbe Treppe haben wir auf Mini-DV gedreht, eigentlich ein unsägliches Format aus dem Amateurbereich. Aber ich traute das Andreas absolut zu. Wir hatten grossartige Schauspieler, eine tolle Geschichte. Als der Film dann fertig war und im Wettbewerb der Berlinale lief, da wurde mir allerdings mulmig. «Wenn die meine Bilder sehen, dann denken sie alle: Was für ein Scheisskameramann.» Erst da habe ich zu überlegen begonnen, was wir gemacht hatten. Und doch war dieser Film nur möglich geworden, weil wir ihn genau so gedreht haben […]

Das ganze Gespräch können Sie in der Printausgabe von Filmbulletin lesen: Ausgabe 8/2018 bestellen

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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