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James ivory photo credit francesca lanaro

James Ivory

Sinnliche Literaturadaptionen wie A Room with a View oder The Remains of the Day ­haben ihn berühmt gemacht. Nun ist James Ivory in jene Stadt zurückgekehrt, in der seine Filmkarriere einst begonnen hatte. Ein Gespräch über die neue Rolle, die er im ­hohen Alter noch angenommen hat: nicht mehr als Regisseur, sondern als Drehbuchautor.

Text: John Bleasdale / 07. Mär. 2018

Vor fünfzig Jahren landete ein junger amerikanischer Soldat in Venedig. Mit einer Aufenthaltsbewilligung für zwei Wochen in der Tasche, einer Filmkamera und einem finanziellen Zustupf von seinem Vater erwanderte er die schwimmende Stadt und schuf seinen ersten Film, Venice: Themes and Variations. Der Soldat hiess James Ivory, und sein Dokumentarerstling wurde gleich ein Erfolg, denn er errang einen Platz in den «New York Times»-Liste als einer der besten Dokumentarfilme des Jahres 1957.

Rückkehr zu den Anfängen

Wir treffen uns im Hotel Bauer und sprechen über Trump, während wir auf das Wassertaxi warten, das uns zum Set eines weiteren Venedigfilms bringen wird: der Adaption von Henry James’ Roman «The Aspern Papers», bei der Ivory als Produzent mitwirkt (Kinopremiere für 2018 angekündigt). Ich frage ihn, wie es zu dieser Zusammenarbeit gekommen ist: «Ich habe mit Julien Landais zu Abend gegessen, da man sprach über die Ver­suche, den Film zu realisieren. Und ich erzählte, dass wir es auch versucht hatten, Ruth [Prawer Jhabvala] und ich. 2011 schrieben wir an einem Drehbuch. Aber mitten in den Schreibarbeiten brach ich mir das Bein. Wir stellten daraufhin die Arbeit ein. In dieser Zeit wurde Ruth krank. Als sie 2013 starb, musste ich das Projekt ganz fallen lassen. Meine Version spielte 1950 und nicht in den 1880er-Jahren. Es war in der Zeit angesiedelt, in der ich das erste Mal Venedig erlebte.»

In Landais’ Film spielt Vanessa Redgrave die alte ­Matrone Juliana, eine Figur, die Henry James der Halbschwester von Mary Shelley Claire Claremont, die auch Byrons Geliebte war, nachempfunden hatte. Am Set beobachten wir, wie sie den US-amerikanischen Wissenschaftler konfrontiert, der die Schriften des verstorbenen Dichters Aspern bekommen will. Ivory verfolgt die Szene auf dem Monitor und spricht ab und zu mit Landais über ein Detail oder mit einem Schauspieler über eine Dialogzeile. Seine Beziehung mit Vanessa Redgrave ist offensichtlich von gegenseitigem Respekt und Zuneigung geprägt: «Vanessa arbeitet nur eine Woche lang am Film und fragte deshalb, ob ich dabei sein könnte, weil wir uns schon ewig kennen, seit The Bostonians. Die Merchant Ivory [Produktion] hat vier Filme mit ihr gemacht. Ich sagte zu und bin sehr froh, ihre Performance zu sehen. Es ist beinah ein historisches Ereignis, die Kombination von Vanessa Redgrave und Henry James in Venedig zu erleben.»

Ich weise auf seine offensichtliche Affinität mit der Geschichte hin. «Es war etwas vom Ersten, das ich von James gelesen hatte. Ich bin mir fast sicher, dass ich es gelesen hatte, als ich hier meinen ersten Film drehte, denn ich zitierte daraus in meinem Film. Danach wollte ich immer einen Spielfilm in Venedig machen; es hat bloss nie geklappt. Meine Version von «The Aspern Papers» konnten wir ja nicht verwirklichen. Die Stadt mitten im Wasser ist wundervoll, man kann sich ihrem Zauber kaum entziehen. Das Unpraktische daran scheint niemanden zu stören. Die Schwierigkeiten, herumzukommen und Dinge zu besorgen, vor allem wenn man einen Film dreht. Bei meinem ersten Film trug ich das ganze Equipment alleine mit mir herum, und das mitten im Winter.»

Schon bald nach seinem Debütfilm traf Ivory Ismail Merchant, den Mann, der während eines halben Jahrhunderts sein Geschäfts- und Lebenspartner sein sollte. Als Produktionsduo Merchant/Ivory zusammen mit ihrer künstlerischen Partnerin Ruth Prawer ­Jhabvala wandten sie sich Indien zu, und Europa wurde zu einem Zwischenstopp. «Wir drehten The Householder in Indien, mit Satyajit Rays gesamter Crew, weil Ray gerade nicht an einem Film arbeitete. Ich habe nicht versucht, wie er zu sein, und meine Geschichten unterscheiden sich von seinen: Ein anderer Landesteil und eine andere Art von Menschen kommen darin vor. Aber ich wurde mir später bewusst, wie sein Stil, Filme zu machen, mir zuzusagen schien, denn ich übernahm ihn. Bestimmte Dingen, die er tat, habe ich nie mehr aufgegeben. Und wenn ich auf alles, was ich gemacht habe, zurück­blicke, so liegt dem immer eine Einstellung aus einem von Rays Filmen zugrunde. Welchen visuellen Stil ich auch habe, ich habe ihn von Ray und im Besonderen von Subrata Mitra, seinem Kameramann.»

Aus den Händen geben

Mit 89 Jahren hat Ivory eine neue Rolle angenommen. Das Drehbuch zu [art:call-me-your-name:Call Me by Your Name], der bereits viel Beifall seitens der Kritik erhalten hat, ist die Adaption von André Acimans gleichnamigem Roman. Es ist das erste Drehbuch, das Ivory geschrieben, aber nicht selbst verfilmt hat. Ich frage ihn, wie es dazu kam. «Ursprünglich sollte ich als Produzent fungieren, man fragte mich aber, ob ich daran interessiert sei, mit Luca Guadagnino Koregie zu führen. Das schien eine gute Idee, denn es gibt sehr viele Szenen, die in Italien spielen. So sagte ich zu, wollte aber mein eigenes Drehbuch schreiben. Das tat ich, und es dauerte etwa neun Monate. Die Investoren entschieden sich in der Zwischenzeit allerdings gegen eine Doppelbesetzung der Regie. Sie waren davon überzeugt, dass zwei Regisseure die Dreharbeiten verlangsamen würden, weil sie alles diskutieren würden. Ich akzeptierte es, denn ich war auch gar nicht sicher, ob es mir von der Regie-Gewerkschaft, der Directors Guild, erlaubt worden wäre. Für Koregie gelten enorme Einschränkungen. So entschied man, dass Luca alleine Regie führen würde, aber nach ­meinem Drehbuch.»

Auf die Frage, wie es für ihn gewesen sei, das erste Mal das eigene Drehbuch in die Hände von jemand anderem zu legen, meinte Ivory: «Es war ja auch diesmal die Absicht, dass ich mein Script auch verfilme, wie ich es immer getan habe. Mit dieser Prämisse habe ich es verfasst. Ich schrieb es nach meinem Gusto und erfand zusätzliche Szenen, wie ich wollte. Plötzlich fand ich mich aber in der Position, bloss der Drehbuchautor zu sein, in der ich einfach auch nicht die gleiche Entscheidungsmacht habe wie der Regisseur. Zwar wurde mein Honorar für das Script erhöht, aber damit war es definitiv aus meinen Händen. Was immer ich dann noch sagte, hatte nicht mehr dasselbe Gewicht. Was völlig okay ist. Aber als Regisseur hätte ich beispielsweise nie daran gedacht, Ruth nicht am weiteren Prozess zu beteiligen, insbesondere bei der Montage.»

Alte Tricks, neue Pläne

Offensichtlich schmerzt ihn der Verlust an Einfluss noch ein bisschen: «Das beste Beispiel dafür, wie vergleichsweise unbedeutend die Autoren sind, ist der Umstand, dass sie nie in den Schnittraum eingeladen werden. Ruth war immer dabei, nahm sich etwa eine Woche Zeit für die Visionierung des Rohschnitts. Normalerweise ging sie danach davon, ohne sich etwas anmerken zu lassen und ohne etwas zu sagen. Erst als wir beim folgenden Treffen zusammenkamen, liess sie uns wissen, wo sie Probleme sah. Und wir haben daraufhin Szenen nachgedreht! Ismael hat das immer verheimlicht, obwohl er von Anfang an wusste, dass das passieren würde. Das hat er den Geldgebern nie gesagt und immer heimlich gedreht. Bei allen unseren Filmen. Wir versammelten die Schauspieler_innen, die wir brauchten, meist nur zwei oder drei. Es waren Kleinigkeiten, ein Close-up, aber manchmal auch eine ganze Szene. Und wenn es ein Studiofilm war, ­sassen die Verantwortlichen ohnehin meilenweit weg in Holly­wood und wussten nicht, was wir taten. Wir haben es ihnen jedenfalls nicht gesagt.»

Welche Dinge mussten denn korrigiert werden? «Meistens war es eine schwache ­Schauspielerleistung, und wir mussten jemanden, der nicht überzeugend war, stützen. Das hiess oft, dass wir ihre oder seine Leinwandpräsenz minimierten. Manchmal mussten wir auch radikaler eingreifen, etwa den ganzen Anfang des Films abhacken. Oder umgekehrt das Ende, wenn wir das Gefühl hatten, die Geschichte sei vorher schon fertig erzählt. Das war eigentlich immer gut, weil es den Film kürzer machte.» Ich will wissen, ob er denn bei den Dreharbeiten zu [art:call-me-your-name:Call Me by Your Name] gar nicht involviert gewesen sei: «Ich war nie auf dem Set, obwohl ich es ursprünglich vorhatte. Sie schienen glücklicher, wenn ich nicht kam.»

In einem Alter, in dem sich viele auf ihren Lorbeeren ausruhen würden, flackert in James Ivory immer die Leidenschaft. Er bittet mich, auf meinem Smartphone das Poster von [art:call-me-your-name:Call Me by Your Name] zu vergrössern, damit er vergnügt seinen Credit studieren kann. Obwohl die Schatten im Palazzo bereits lange werden, wird Ivory an diesem Abend noch bis zehn Uhr bleiben, wenn der lange Drehtag zu Ende geht. Danach wird er sich bei einem Abendessen verabschieden, um am nächsten Tag wieder nach New York zurückzukehren, neue Pläne ausbrütend, mit mehr Arbeit vor sich.

(aus dem Englischen von Tereza Fischer)

(Bild: Francesca Lanaro, courtesy the artist)

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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